Wahlen 2024

So links wie Bern

Rot-Grün-Mitte zementiert bei den Wahlen in Bern seine satte Mehrheit und holt im Gemeinderat wieder vier Sitze. Schlappe für Bürgerliche: Nur GLP-Frau Melanie Mettler ist in die Regierung gewählt.

Impressionen von den Wahlen der Stadt Bern,  fotografiert am Sonntag, 24. November 2024 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Dreifacher Triumph für die SP: Sie siegt bei Gemeinderat, Präsidium und Stadtrat. (Bild: Manuel Lopez)

Die Stadt Bern ist die politisch am weitesten links liegende Stadt der Schweiz. Doch sie wird noch linker. Und grüner. Das ist die Kürzestzusammenfassung des städtischen Wahlsonntags.

Seit 32 Jahren hat das Rot-Grün-Mitte-Bündnis (RGM) die Mehrheit. Seit acht Jahren besetzt RGM vier von fünf Sitzen in der Regierung. Erstmals überhaupt rauften sich die Parteien von Mitte-Rechts – EVP, GLP, Mitte, FDP und SVP – zusammen, um wenigstens wieder einen zweiten Sitz ins bürgerliche Lager zu holen.

Und was passiert?

RGM steigert den Wähler*innenanteil sogar noch. 66,8 Prozent sichern die 4:1-Mehrheit souverän ab: Mit Marieke Kruit, Matthias Aebischer (beide SP), Ursina Anderegg (GB) und Alec von Graffenried (GFL) gelingt dem kompletten RGM-Ticket die Wahl in den Gemeinderat, der nun auch eine Frauenmehrheit hat.

Melanie Mettler, Nationalrätin der Grünliberalen, ist die einzige Vertreterin der Liste «Meh Farb für Bärn!» im Gemeinderat. Damit ist klar: Es gibt in der neuen Stadtregierung nicht nur eine klare linke, sondern erstmals auch eine Mehrheit der drei Stadtberner Parteien, die sich als grün bezeichnen: Grünes Bündnis, Grüne Freie Liste, Grünliberale.

Für Mitte-Rechts ist diese Wahl ein Desaster. «Meh Farb für Bärn!» trat mit fünf sehr guten Kandidat*innen an. Doch die Koalition leistete sich einen – im Gegensatz zu RGM – so uninspirierten Wahlkampf, dass Rot-Grün trotz anhaltender Kritik an ihrer (Finanz-)Politik letztlich leichtes Spiel hatte.

Impressionen von den Wahlen der Stadt Bern,  fotografiert am Sonntag, 24. November 2024 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Jubel mit Regierungsrätin und Co-Parteipräsidentin: Marieke Kruit holt im Kampf ums Stadtpräsidium deutlich am meisten Stimmen. (Bild: Manuel Lopez)

Der grosse Sieg

Ein bisschen erinnerte das Bild an eine Krönung: Marieke Kruit, umringt und umschlungen von vielen ihrer engsten SP-Weggefährt*innen, wartete im Eingangssaal des Berner Rathauses auf die Verkündung des Wahlresultats ins Stadtpräsidium. Und es wurde ein unglaublicher Triumph. Sie holte fast 20’000 Stimmen – über 8000 Stimmen mehr als Amtsinhaber Alec von Graffenried. Das absolute Mehr verfehlte Kruit nur um 1459 Stimmen – und das, obschon sie neben von Graffenried mit Melanie Mettler und Janosch Weyermann (SVP) zwei weitere Konkurrent*innen hatte.

Dass Kruit auch bei der Wahl in den Gemeinderat – die Voraussetzung dafür, Stadtpräsident*in werden zu können – das Bestresultat erzielte, war schon fast eine Selbstverständlichkeit. «Ich bin überwältigt», sagte Kruit. Dass sie im allfälligen zweiten Wahlgang (am 12. Januar) unterliegen könnte, ist fast unvorstellbar.

Kruits praktisch sicheres Stadtpräsidium und Matthias Aebischers nie gefährdete Wahl in den Gemeinderat: Das ist der grosse Triumph der SP. Mit ihrem Entscheid, den amtierenden Stadtpräsidenten und Bündnispartner Alec von Graffenried zu dessen Überraschung anzugreifen, ging die mit Abstand grösste Partei ein Risiko ein. Die Angriffsstrategie wurde mit der 4:1-Mehrheit belohnt – und ein Zerwürfnis innerhalb von RGM damit abgewendet. 

Impressionen von den Wahlen der Stadt Bern,  fotografiert am Sonntag, 24. November 2024 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Das Grüne Bündnis sichert den Sitz in der Regierung: Ursina Anderegg (rechts) folgt auf Franziska Teuscher (links). (Bild: Manuel Lopez)

Der grosse Jubel

Sie galt im Vorfeld als Wackelkandidatin. Denn Ursina Anderegg (GB) ist im Gegensatz zu den anderen RGM-Kandidat*innen weniger bekannt. Um diesen Nachteil aufzuholen, startete das Grüne Bündnis den Wahlkampf schon früh und in akribischer Kleinarbeit, indem Anderegg unermüdlich in den Berner Quartieren unterwegs war. Die Stunden bis zur Wahlverkündigung verbrachte sie äusserlich gelassen mit ihrer Partei an der RGM-Wahlparty.

Dezidiert entschied sie sich auch als einzige dagegen, an der Vorinformation zum Wahlausgang für Kandidierende teilzunehmen. «Ich wollte diesen Moment im Kreis meiner Partei erleben», sagte sie kurz nach ihrer Wahl. Vielleicht darum war der Jubel ungleich grösser, als sie als zweitbestgewählte Person ausgerufen wurde. Ein Glanzresultat! Sie wurde umarmt, es flossen Tränen und das Juchzen wollte fast nicht mehr aufhören. 

Impressionen von den Wahlen der Stadt Bern,  fotografiert am Sonntag, 24. November 2024 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Als Stapi wohl ab-, als Gemeinderat wiedergewählt: Alec von Graffenried (GFL) am RGM-Wahlfest im Progr. (Bild: Manuel Lopez)

Die grosse Erleichterung

Wie versteinert nahm Alec von Graffenried (GFL) die Resultate der Wahl fürs Stadtpräsidium entgegen. Seine Herausforderin Marieke Kruit (SP) hatte 46,5 Prozent der Stimmen erreicht, er nur 26,4 Prozent. Er hatte feuchte Augen, und doch liess er es sich nicht nehmen, ihr sofort zum Resultat zu gratulieren. Dann folgte das über dreistündige Warten: Würde er auch aus dem Gemeinderat abgewählt werden?

Der amtierende Stadtpräsident kam mit einem gelösten Gesicht aus der Vorinformation für die Kandidierenden. Er hat zwar das schlechteste Resultat der RGM-Liste eingefahren, ist aber doch wiedergewählt. «Immer wieder wurde die Regierung kritisiert, und doch haben noch nie so viele Leute RGM gewählt wie jetzt», sagte er nach der Wahl. Ob er in einem zweiten Wahlgang fürs Stadtpräsidium antrete, wolle er am Dienstag entscheiden. Klar sei: «Ich bin auch als Gemeinderat motiviert, ich könnte mir gut vorstellen, in die Tiefbaudirektion zu wechseln.» 

Impressionen von den Wahlen der Stadt Bern,  fotografiert am Sonntag, 24. November 2024 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Katzenjammer bei Florence Pärli (FDP) und Janosch Weyermann (SVP): Trotz grosser gemeinsamer Liste hat es Mitte-Rechts nicht für zwei Sitze gereicht. (Bild: Manuel Lopez)

Die grosse Ernüchterung

Endlich hatten sich die Mitte-Rechts-Parteien – nach jahrelanger Zersplitterung – zu einer grossen gemeinsamen Liste zusammengerauft. Gereicht hat es für die Rückeroberung des zweiten Gemeinderatssitzes dennoch nicht. Gescheitert ist die Liste «Meh Farb für Bärn!» denkbar knapp. Statt der für zwei Sitze nötigen 33,33 Prozent erreichte sie 33,12 Prozent der Stimmen. Ihr fehlten rund 600 Stimmen.

Entsprechend gross war die Ernüchterung. GLP-Präsident Michael Hoekstra sprach von «Konsternation», FDP-Präsident René Lenzin von einer «gewissen Ratlosigkeit», die sich breit mache. Viele Bürgerliche nannten als Grund für die Niederlage die Autobahnabstimmung. Aber die meisten anerkannten auch, dass die linken Stadtparteien einfach besser mobilisieren können. 

Florence Pärlis Augen glänzten, als der letzte Sitz für den Gemeinderat bekannt wurde. Sie wurde knapp nicht gewählt und landete mit 13’264 Stimmen auf dem sechsten Platz. Die Stadt müsse wohl in eine finanzielle Notlage gelangen, damit sich etwas ändere, sagte sie in einer ersten Reaktion. 

In vier Jahren werde es viel schwieriger, einen zweiten Sitz zu holen, sagte Janosch Weyermann zur «Hauptstadt». Weil dann der Gemeinderat «nur» wiedergewählt werden müsse. Er sei aber mit seinem Wahlergebnis von 10'386 Stimmen zufrieden. Und Béatrice Wertli, die 12’636 Stimmen erreichte, sieht es sportlich: «Ich bin enttäuscht, denn ich wollte gewinnen.» Es sei wie im Sport: «Nun setze ich mir halt neue Ziele. Ich kann auch im Stadtrat etwas bewirken.»

Für die Mitte-Rechts-Parteien steht eine schwierige Legislatur bevor. Noch vor der Verkündung der Resultate sagte Mitte-Präsidentin Laura Curau zur «Hauptstadt»: Bei einem Resultat 4:1 werde es schwieriger, in den bürgerlichen Stadtparteien genug Leute für die aktive Politik zu motivieren.

Impressionen von den Wahlen der Stadt Bern,  fotografiert am Sonntag, 24. November 2024 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Endlich ein Exekutiv-Sitz: Melanie Mettler und GLP-Kolleg*innen freuen sich. (Bild: Manuel Lopez)

Der kleine Sieg

Umarmungen, Jubelschreie: Melanie Mettler, amtierende Nationalrätin, holt für die GLP mit 17’260 Stimmen das beste Ergebnis auf der «Meh Farb für Bärn»-Liste. Zum ersten Mal sind die Grünliberalen damit im Berner Gemeinderat vertreten. 

Als Mettler zum ersten Mal an diesem Abend das Rathaus betritt, wirkt sie angespannt. Das klare Ja der Berner*innen zum städtischen Budget 2025 bereitet ihr Sorgen. 

Die GLP versammelt sich in der Rathausbar, die Stimmung ist zunächst gedämpft. Michael Hoekstra, Stadtberner GLP-Präsident, versucht es mit einem Quiz: «Welcher Musiker ist bekennender Melanie Mettler Supporter?» lautet eine der Fragen. Die Antwort ist «Greis». Mettler kommt beim parteiinternen Wetträtseln auf Platz zwei.

Beschwingt geht es zurück ins Rathaus zur Verkündung der Gemeinderat-Wahlergebnisse: Nachdem Alec von Graffenried den vierten Sitz für RGM sichert, reicht Mettler kurz Mitbewerberin Florence Pärli (FDP) die Hand. Ein flüchtiger Blick. 

Kurze Zeit später versinkt Mettler in einer Traube aus Parteikolleg*innen. Der Einzug in den Gemeinderat ist geschafft. «Ich freue mich extrem, diesen Job antreten zu können», sagt sie. Und zugleich schmerze es, dass ihre Liste keinen zweiten Sitz geschafft habe. «Das hätte dem Regierungsgremium gut getan», ist sich Mettler sicher.

Impressionen von den Wahlen der Stadt Bern,  fotografiert am Montag, 25. November 2024 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Plus 5 Sitze: SP-Stadträtinnen Babrara Keller und Valentina Achermann spätabends beim Wahlfest von RGM. (Bild: Manuel Lopez)

«We are the Champions»

Es war schon Mitternacht vorbei, und die Stimmung im Progr, wo die Rot-Grün-Mitte-Parteien den Wahlsonntag abfeierten, ging noch einmal durch die Decke. Es lief der Queen-Song «We are the Champions», Alec von Graffenried fand, RGM habe die Wahlen gerockt. Und die SP setzte ihrem siegreichen Sonntag noch einen obendrauf.

Im Stadtrat steigerte sie ihren Wähler*innenanteil auf über 32 Prozent und legt um 5 Sitze zu. Weil die Juso einen ihrer zwei Sitze verliert, kommen SP/Juso nun auf 27 Sitze. Unter dem Strich zieht die SP Stimmen von Linksaussen (Alternative Linke verliert einen Sitz) über GFL (verliert den Sitz von Co-Präsident Matthias Humbel) bis zu GLP/JGLP (verlieren zwei Sitze) ab. Innerhalb des bürgerlichen Lagers gibt es leichte Verschiebungen, aber insgesamt bleibt es stabil.

Besonders bitter endet der Wahlsonntag für Florence Pärli. Sie schafft es knapp nicht in den Gemeinderat – und verliert nun auch noch ihren Sitz im Stadtrat, weil sie nicht auf der FDP-Liste, sondern für die Jungfreisinnigen antrat. SVP-Wortführer Alexander Feuz, der mit seinem Rücktritt im Herbst die Amtszeitbeschränkung umging, wird erneut gewählt.

Gewählt wurden 48 Frauen, 31 Männer und eine nonbinäre Person. Das entspricht einem Frauenanteil von 60 Prozent. Hier kannst du die Resultate der Stadtratswahlen im Detail studieren.

PS: Die grosse RGM-Wahlparty fand wie erwähnt in der Aula im Progr statt. An Getränken in allen Farben und Prozenten mangelte es nicht. Wohl aber an Essen. Anscheinend fiel das Catering für die grosse Wahlparty etwas mickrig aus. Nach 19 Uhr war davon auf alle Fälle nichts mehr zu sehen. Und so behalfen sich viele mit bestellter Pizza oder Falafel.

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Diskussion

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Peter Birrer
25. November 2024 um 10:57

Und das Budget der Stadt Bern wird dazu einfach so durchgewunken. Hochprozentig. Schaut überhaupt jemand die wachsenden Zahlen an? RGM macht, was RGM will. Was für ein Resultat. Was für eine Schlagseite. Was für eine Stadt.