Abschiede – Stadtrat-Brief #40

Sitzung vom 21. November 2024 – die Themen: GaP; Veloverleih; Regenbogenhaus; Demokratie-Hürden; Kindergarten Schlossmatt; Pumptrack; Gendern; Fifa-Geld; Redner*innenpult. Mitglied der Woche: Irina Straubhaar (GLP)

Stadtrat-Brief
(Bild: Silja Elsener)

Er hoffe, dass er auch künftig Debatten mit dem Stadtrat führen werde, sagte Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) nebenbei in einem seiner Voten.

An der letzten Stadtratssitzung vor dem städtischen Wahltag diesen Sonntag war Wehmut unüberhörbar. Wegen der Befürchtung, nicht wiedergewählt zu werden – wie bei von Graffenried. Oder wegen der Gewissheit, dass Auftritte im Stadtrat bald der Vergangenheit angehören – wie beim abtretenden Finanzdirektor Michael Aebersold (SP).

«Der Sonntag wird emotional», gab Stadtratspräsidentin Valentina Achermann (SP) ihren Kolleg*innen mit auf den Heimweg: «Tragt Sorge zueinander.» 

Still und leise aus dem Rat verschwindet eine Gruppierung, die jahrzehntelang zu dessen Inventar gehörte: die Grün-alternative Partei (GaP). Sie habe sich entschieden, nicht an den Wahlen 2024 teilzunehmen, weil es «an Zeit und Menschen fehlt, den Wahlkampf zu stemmen», schreibt die Partei, die sich selbst «radikalgrün» nennt.

Die GaP hiess früher Demokratische Alternative. Als Daniele Jenni und Luzius Theiler sie 1976 gründeten, war sie die erste grüne Partei der Deutschschweiz. Anwalt Jenni setzte sich unermüdlich für die Grundrechte randständiger Menschen ein. Und gegen Wachstumsideologie und Konsumismus. 

Jenni starb 2007. In seiner Kanzlei arbeitete Simone Rebmann, die heute Machado heisst und noch bis Ende dieses Jahres als einzige GaP-Vertreterin im Stadtrat sitzt. Seit dem Tod von Luzius Theiler im November 2023 fehlen der GaP die historischen Zugpferde. Zudem habe das Engagement von Simone Machado gegen die Corona-Massnahmen die Zahl der GaP-Unterstützer*innen wohl halbiert, schreibt die Partei selber.

Schweigen will die GaP trotzdem nicht: Sie werde auch künftig von ihrem Beschwerderecht Gebrauch machen, um «Grünflächen zu erhalten und Bäume zu schützen».

Portrait von Irina Straubhaar im Rathaus Bern, aufgenommen am 31.10.2024 für hauptstadt.be
Ratsmitglied der Woche: Irina Straubhaar

Die Juristin und Raumplanerin Irina Straubhaar (36) sitzt seit 2022 für die Grünliberale Partei (GLP) im Stadtrat. Sie ist in einem Planungs- und Beratungsbüro Projektleiterin im Mobilitätsbereich.

Warum sind Sie im Stadtrat?

Weil ich mich für die Gesellschaft einsetzen will. Ich bin der Überzeugung, dass wir als Gesellschaft, als Staat, als Demokratie nur funktionieren, wenn sich möglichst viele irgendwie beteiligen können und wollen. Ich finde, das kann man auf ganz verschiedene Weise machen. Ich engagiere mich beispielsweise auch in einem Ruderclub ehrenamtlich als Trainerin. Mein politisches Mandat ist für mich eine andere Art mich zu engagieren.

Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?

Dass ich schon mal mit den Tourenskiern an eine Sitzung komme.

Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?

Ich finde es schade, dass meinem Eindruck nach differenzierte Sichtweisen manchmal wenig Gehör finden. So zum Beispiel unsere Argumentation in der Budgetdebatte.

Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?

Wenn ich merke, dass meine Voten wahrgenommen werden. Und noch besser finde ich, wenn sie eine Reaktion – ob zustimmend oder nicht – erzeugen.

Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?

Ich wohne in der Länggasse und fühle mich da sehr wohl, weil der Schumacher neben der Kaffeebar und das Sanitärgeschäft vis-à-vis von der Migros sind – sich also eine schöne Mischung ergibt. Aber am liebsten habe ich die Altstadt am Abend, weil man dann in Ruhe durch die Lauben spazieren kann.

Darüber debattierte der Stadtrat:

  • Veloverleih: Gegen die Stimmen der SVP hiess der Stadtrat den mit 7,6 Millionen Franken dotierten Leistungsvertrag mit der Firma Publibike gut. Sofern die Stimmberechtigten 2025 dazu Ja sagen, wird Publibike das Verleihsystem «Velo Region Bern» ab 2026 für weitere acht Jahre betreiben. Der neue Vertrag beinhaltet auch eine Investition in Form eines Ausbaus der Zahl der Publibike-Stationen. GB/JA! und Juso übten Kritik an der Bevorzugung batteriebetriebener gegenüber mechanischen Velos – aus ökologischen (Batterien) und sozialen (Preis) Gründen. Der Veloverleih dürfe nicht zum «E-Bike-Spass für Yuppies» werden, sagte Paula Zysset (Juso). Sie drang damit aber nicht durch. Mit 43 Ja- zu 22 Nein-Stimmen bewilligte der Stadtrat zudem einen Kredit von 1,5 Millionen Franken, damit Stadtangestellte die Leihvelos weiterhin zu Sondertarifen nutzen können. Dass sich damit auch der Stadtrat selber begünstigt, fand Tom Berger (FDP) «grenzwertig». Geprüft wird, ob Asylsuchende von den vergünstigten Tarifen profitieren könnten.
  • Regenbogenhaus: Einstimmig überwies der Stadtrat eine interfraktionelle Motion, die den Gemeinderat verpflichtet, die Einrichtung eines Begegnungsorts für queere Menschen voranzutreiben. Nik Eugster (FDP) erinnerte an die Zeit seines eigenen Coming-Outs, als er 16-jährig war. Damals habe es in der Stadt physische Treffpunkte wie das «anderland» gegeben, wo er sich sicher gefühlt habe. Im Zeitalter des Internets seien solche Orte verschwunden. Er würde sich auch als Privatperson finanziell für ein Regenbogenhaus in Bern engagieren, versprach Eugster. «Diskriminierung tötet, auch heute», sagte Szabolcs Mihalyi (SP). Er selbst sei mit Eugster kürzlich an der Queerhübeli-Herbstparty im Bierhübeli gewesen. «Aber die queere Community braucht unbedingt einen gut erreichbaren Treffpunkt ohne Konsumzwang», forderte Mihalyi.
  • Demokratische Hürden: Mit nur zwei Gegenstimmen überwies der Stadtrat einen Vorstoss von Tom Berger (FDP), mit dem er die Verlängerung der Sammelfristen für Volksinitiativen und Referenden fordert. Die Demokratie lebe vom Einbezug unterschiedlicher Personen  und Haltungen, sagte er. Berger erhielt Unterstützung aus allen politischen Lagern. Bernhard Hess (SVP) bezeichnete die demokratischen Hürden in der Stadt Bern als «gigantisch hoch». Die Stadtregierung muss nun eine Vorlage ausarbeiten, in der sie aufzeigt, inwiefern die Unterschriftenzahlen gesenkt und/oder die Sammelfristen verlängert werden könnten.
  • Kindergarten: Einen Baukredit von 8,4 Millionen Franken für Sanierung und Ausbau des Kindergartens Schlossmatt hiess der Stadtrat einstimmig gut. Neu sollen vier Basisstufenklassen Platz finden. Grund für den Ausbau ist die Zunahme der Wohnbevölkerung in der Umgebung, etwa im Warmbächli. Thomas Hofstetter (FDP) fand Bau- und Projektierungskosten von 8,4 Millionen Franken «sehr viel Geld». Anspruchsvolles Bauen, zum Beispiel, weil ein Grossteil der vorhandenen Gebäudestruktur wiederverwendet werde, sei einfach teuer, erklärte Stadtpräsident Alec von Graffenried. Für den Bau ausschliesslich Holz aus der Schweiz zu verwenden, sei zwar erwünscht, aber unter anderem aufgrund des Angebots auf dem Markt in diesem Fall nicht möglich. Trotzdem überwies der Stadtrat einen Vorstoss, der dies verlangt.
  • Gendern: Der Gemeinderat solle «mehr Mut bei der Verwendung gendersensibler Sprache zeigen», kritisierte Anna Jegher (JA!). Sie und Franziska Geiser (GB) fordern in einer Motion, alle Reglemente der Stadt gendergerecht zu formulieren. Stadtpräsident Alec von Graffenried zeigte sich perplex über die Kritik. Die Gleichstellungsfachstelle sei sehr engagiert, der Gemeinderat wolle sich weiter verbessern und nehme den Vorstoss gerne an. Er wurde denn auch deutlich überwiesen.
  • Pumptrack: Einstimmig beauftragte der Stadtrat den Gemeinderat, für 150’000 Franken ein Projekt zur Umsetzung eines Pumptracks im Rossfeld auszuarbeiten. Der Gemeinderat hat dieses Ansinnen aus Spargründen aus der mittelfristigen Investitionsplanung entfernt. Nun ist es wieder drin. Er wolle jetzt «nicht trötzelen», sagte Finanzdirektor Michael Aebersold nur.
  • Fifa-Geld: Er staune, dass er sich so viel Kritik habe anhören müsse, fand Michael Aebersold. Es ging um eine Motion aus seiner eigenen SP/Juso-Fraktion, in der für die Aufnahme von Finanzmitteln mehr verbindliche Richtlinien gefordert werden. Hintergrund ist, dass die Stadt in der Niedrigzinsphase ab 2018 insgesamt 1,8 Milliarden Franken beim internationalen Fussballverband Fifa aufgenommen hatte. Aebersold sagte, der Gemeinderat beachte bei der Kreditaufnahme hohe ethische und ökologische Kriterien – und selbstverständlich sei er bereit, die Motion anzunehmen. «Warum wird trotzdem so geschimpft?». Der Vorstoss wurde erheblich erklärt.

PS: Mitten in einem Votum von Béatrice Wertli (Mitte) machte sich das höhenverstellbare Redner*innenpult selbständig. Es fuhr wie von Geisterhand gesteuert auf Maximalhöhe aus. Selbst die grossgewachsene Wertli verschwand fast hinter dem spontan gewachsenen Turm. Trotz Grosseinsatz in der Ratspause konnten der Parlamentsdienst das Gerät nicht bändigen. Für den Rest der Sitzung erklommen die Redner*innen ein kleines Podest hinter dem Monster-Pult.

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