«Tetris für Fortgeschrittene»

In Bern soll die Fernwärme-Versorgung in diesem Jahrzehnt massiv ausgebaut werden. Ein wichtiges Puzzleteil: Das neue Holzheizwerk auf dem Rehhag-Areal, das im Herbst ans Netz geht. Ein Rundgang.

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Jahrzehntelang wurde auf dem Rehhag-Areal, an den Gemeindegrenzen von Niederwangen, Bümpliz und Oberbottigen, Lehm abgebaut. (Bild: Danielle Liniger)

Wenn bei Energie Wasser Bern (ewb) ein neues Kraftwerk entsteht, ist Patrick Vinzens häufig beteiligt. Der Maschinenbauingenieur kümmert sich um den Ausbau der Fernwärme im Berner Westen und plant auch schon den Aufbau im Osten. Das ist noch Zukunftsmusik.

An diesem Dienstagmorgen wird es für Vinzens konkreter. Er sitzt in einem Baucontainer auf dem Rehhag-Areal. Vor ihm liegt ein Tag, der für einen Kontrollbesuch im neuen Holzheizwerk vorgesehen ist. Ab Herbst soll es den Berner Westen mit Fernwärme versorgen. Aufeinander gestapelte Rohre vor dem Container verraten, dass bis dahin noch Arbeit vor dem Team von Vinzens liegt. Doch der Reihe nach.

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Dampf, Hitze, Druck – für Patrick Vinzens wichtige Parameter bei der Kraftwerksplanung. (Bild: Danielle Liniger)

Warum Holz?

Die Hälfte der Fernwärmeenergie der Stadt Bern stammt bislang aus der Verbrennung von Kehrricht. Die Abwärme ginge ansonsten verloren – so heizt sie das heimische Wohnzimmer. Der Nachteil dabei: Die Verbrennung setzt grosse Mengen CO2 frei. Es bestehen deshalb unterschiedliche Ansichten darüber, ob eine solche Wärmeversorgung wirklich klimaneutral ist.

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Auch private Haushalte verbrennen Holzschnitzel wie diese zur Wärmegewinnung. Doch das Rehhag-Heizwerk bewegt sich in anderen Dimensionen. (Bild: Danielle Liniger)

Anders ist es im Fall des Holzheizwerks. Denn dort wird Holz – also ein nachwachsender Rohstoff – für die Energiegewinnung genutzt. 15‘000 Tonnen Holz verschiedener Arten sollen in der Rehhag pro Jahr in den Ofen wandern. Es stammt laut ewb aus einem Radius von 60 Kilometern um das Heizwerk. Je kürzer die Wege, desto besser die CO2-Bilanz. Eine Besonderheit des Berner Holzheizwerks: Es ist wie eine Art Raumschiff an den schon bestehenden Holzhackschnitzellieferrant Lignocalor angedockt – beide Betriebe teilen sich das gleiche Areal. So entfallen Transportwege. Der Standort auf dem Rehhag-Areal sei auch deshalb gewählt worden, weil er sich in einer idealen Position zwischen den zu versorgenden Gebieten und der Energiezentrale Forsthaus befinde, erklärt Ingenieur Vinzens.

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Diese Halle wird im laufenden Betrieb einmal bis zur Oberkante mit Holzschnitzeln gefüllt sein. (Bild: Danielle Liniger)

Wie funktioniert es?

Die Holzschnitzel werden auf einem Verbennungsrost verbrannt und der Ofen erwärmt das kalte Rücklaufwasser aus dem Fernwärmenetz von ungefähr 50-60 Grad auf 90 Grad. Das so erhitzte Wasser fliesst dann wieder ins Netz zurück.

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Über eine sogenannte Förderschnecke gelangt das Holz zum Ofen. (Bild: Danielle Liniger)

Warum ist das Holzheizwerk wichtig?

Bis 2035 will ewb das Fernwärmenetz um 36 Kilometer ausbauen und dafür 500 Millionen Franken investieren. Erst in Richtung Westen, dann auch in die Länggasse und nach Holligen, wo die Erschliessung bereits begonnen hat.

Mit dem Ausbau des Fernwärmenetzes trage ewb «einen wesentlichen Teil zur Umsetzung der städtischen Energie- und Klimastrategie bei», heisst es auf der ewb-Website. Die Strategie sieht vor, dass die Wärmeversorgung bis 2025 zu 40 Prozent auf erneuerbaren Energien basiert, bis 2035 zu 70 Prozent. 2021 hat der Anteil erneuerbarer Wärme an der Wärmeversorgung 27 Prozent betragen; Fernwärme deckte 15 Prozent des städtischen Wärmeverbrauchs.

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In diesen Fernwärmeleitungen fliesst die thermische Energie zu den einzelnen Haushalten. (Bild: Danielle Liniger)

Das neue Holzheizwerk ist ein relativ kleiner Bestandteil im künftigen Fernwärme-Mix der ewb. Das Heizwerk hat im Bau rund 38 Millionen Franken gekostet und soll einmal 15 Megawatt thermische Leistung liefern – zum Vergleich: im gesamten Stadtgebiet wird die Fernwärme in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren gesamthaft um 100 Megawatt ausgebaut. Weshalb das Holzheizwerk trotz der vergleichweise kleinen Grösse wichtig ist: «Es macht unser Gesamtsystem flexibler», sagt Patrick Vinzens. Das liegt nicht nur am verwendeten Rohstoff, sondern auch an einem zusätzlichen Gaskessel, der bei grossem Energieverbrauch in der Stadt zugeschaltet werden kann.

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Der zusätzliche Gaskessel sorgt für Flexibilität. (Bild: Danielle Liniger)

Weil das neue Holzheizwerk in einem bestehenden Gebäude vom Lieferanten Lignocalor aufgebaut wurde, war bei der Installation eine ruhige Hand gefragt. Ein grosser Kran habe tonnenschwere Aggregate passgenau in das Gebäude gehoben, erinnert sich Vinzens. Dieses war zu diesem Zeitpunkt noch ohne Dach. «Tetris für Fortgeschrittene» sei das gewesen. Mittlerweile sind Vinzens und sein Team auf die Zielgerade eingebogen. Bevor das Heizwerk im Herbst ans Netz gehen kann, laufen noch letzte Tests. So wird zum Beispiel das gesamte System mit Wasser befüllt und dann der Regelbetrieb simuliert. Ein Heizwerk gleicht einem Hochseetanker: es dauert längere Zeit, bis sich ein Manöver auswirkt. Im Fall des Heizwerk bedeutet das, dass ein Herauf- und Herunterfahren einen halben Tag dauert. Im Sommer, wenn weniger Wärme benötigt wird, verbrennt das Heizwerk nur noch rund ein Fünftel des Holzes im Vergleich zu den Wintermonaten.

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Weil das freiwerdende Rauchgas gereinigt wird, bevor es aus dem Schornstein austritt, kann zusätzlich Energie gewonnen werden. (Bild: Danielle Liniger)

Ist das Holzheizwerk erst einmal im Betrieb, werden dort nur selten Menschen anzutreffen sein. «Die technische Steuerung geschieht in der Energiezentrale Forsthaus», so Vinzens. Deshalb seien nur kurze tägliche Rundgänge nötig. Wenn alles rund läuft, finden die Holzschnitzel auch ohne menschliches Zutun ihren Weg auf das Förderband, um kurze Zeit später im heissen Schlund des Kessels zu verschwinden. Die kühle Logik der Fernwärme.

*Berichtigung: Anders als in einer früheren Version des Artikels behauptet, wurde auf dem Areal früher Lehm und nicht Kies abgebaut. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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Diskussion

Unsere Etikette
Roman und Katrin Gysel und Haltmeier
30. September 2024 um 09:39

Danke für den Einblick! Warum wird das Holz „einfach“ verbrannt und nicht in einer Wärme-Kraft-Kopplungsanlage (WKK) genutzt?

Weitere Überlegung: Warum wird nicht ein Gesamtsystem auf tieferer Temperatur genutzt? Das Holz sollte doch für Prozesswärme gespart werden (in der Gesamtenergiebetrachtung).

Raymond Känel
26. September 2024 um 09:15

Totaler Irrsinn ein Fernwärmenetz mit Holz aus der Region. Unseren wertvollen Wald (mit riesen Maschinen) abholzen, Biodiversität zerstören und die Ruhe, die Schlaf-/Brutplätze unserer Tiere stören. Nennt sich das nachhaltig?

Thomas Bollinger
26. September 2024 um 07:00

Gibt es da auch Abgasfilter? Entsteht Feinstaubbelastung?