YB, Verwaltungsgericht, Klimawandel
News vom Samstag – Hauptstadt-Brief #530
Die Young Boys, der finanzkräftige Berner Fussballclub, tut viel für mehr Menschlichkeit. Er engagiert sich gegen Rassismus, für gesellschaftliche Diversität, gegen häusliche Gewalt, fördert Frauenfussball auf allen Ebenen, unterstützt krebskranke Kinder. YB will mehr als Fussball. Ich finde das bemerkenswert.
Ebenso bemerkenswert finde ich, wie YB diese warme Ausstrahlung mit eisiger Businesskälte kombiniert. Gestern Freitag feuerte die YB-Chefetage den zuletzt erfolglosen Cheftrainer Giorgio Contini (52). Das Team liegt in der Tabelle auf Rang 5, das sei zu wenig. Vor elf Monaten war der fünfsprachige Contini, zuvor Assistent von Nati-Coach Murat Yakin, als Mann präsentiert worden, der das strauchelnde YB zurück in die Gewinnzone führt. Das gelang vorübergehend. Aber seit diesem Sommer fällt das Männerteam durch unfassbare Leistungsschwankungen auf. Häufig liegen nur Minuten zwischen Kunst und Katastrophe.
Am Donnerstagabend würgten die YB-Profis gegen die Grasshoppers ein 3:3 hin und irritierten durch zwei Platzverweise. Die YB-Chefs gingen danach nicht ins Bett, sondern telefonierten die halbe Nacht mit dem Management ihres neuen Wunschtrainers. Am Freitagmorgen stellten sie zuerst Contini frei. Sein Vertrag (und die Lohnzahlungen) laufen weiter bis 2027.
Nach dem Mittag präsentierten sie Gerardo Seoane (47), den neuen Coach. Der Luzerner, genannt Gerry, ist eine YB-Kultfigur: Er war zwischen 2018 und 2021 bereits YB-Trainer und führte die Berner zu drei Meistertiteln hintereinander. «Willkommen zurück daheim, Gerry», kommentiert der Fussballblog Zum Runden Leder lapidar. Am Sonntag, beim ausverkauften Heimspiel gegen den FC Basel, steht Seoane erstmals an der Seitenlinie.
Seit die «Hauptstadt» publiziert – März 2022 – hat YB mit Leaderfigur Christoph Spycher an der Spitze unglaubliche vier Trainer entlassen. Jetzt klammert sie sich mit Gerry an die Kraft der erfolgreichen Vergangenheit. Kein Hollywood-Schauspieler könnte YBs latente Verzweiflung besser darstellen als die zerknitterten Gesichter von Spycher und YB-Präsident Marcel Brülhart in den hauseigenen Videos zum jüngsten Trainerwechsel.
Was zeigen sie? Dass der Spagat zwischen offenem Herz und unerbittlichem Fussball-Business auch mit Gerry nicht einfacher wird. Hopp YB!
Das gebe ich dir ins Wochenende mit:
- Verwaltungsgericht: Die strenge Praxis der kantonalen Migrationsbehörden zur privaten Unterbringung von abgewiesenen Asylsuchenden war rechtswidrig. Das hat das Berner Verwaltungsgericht am Donnerstag in einem Grundsatzentscheid festgestellt. Meine Kollegin Jana Schmid hat die Verhandlung verfolgt. Hier kannst du ihren Bericht lesen. Das Urteil betrifft die Praxis der Migrationsbehörden, Personen die private Unterbringung zu verweigern, wenn diese keinen Pass beschafften. Das haben Betroffene und Organisationen in der Vergangenheit mehrfach kritisiert. Auch Grossrät*innen stellten sich dagegen, weil die Privatunterbringung durch einen Entscheid des Grossen Rates gesetzlich verankert wurde und deshalb mit der Praxis der Wille des Gesetzgebers missachtet werde. Der zuständige Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) hat die Behördenpraxis in der Vergangenheit vehement verteidigt. Das Urteil müsste dem nun einen Riegel schieben. Auf Anfrage der «Hauptstadt» zeigt sich Müller allerdings wenig einsichtig. Er sei «überrascht» und beharrt darauf, dass die Migrationsbehörden das Gesetz korrekt angewendet hätten. Das Verwaltungsgericht wolle seiner Ansicht nach «dem klaren Gesetzeswortlaut keinen Vorrang geben».
- «Hauptstadt» im Dialog: Gibt es angesichts des Klimawandels eine Schuldfrage zwischen den Generationen? Mein Kollege Nicolai Morawitz hat anlässlich des Aufenthalts der «Hauptstadt»-Redaktion im Naturhistorischen Museum mit Rolf Blickle (78) und Dominic Müller (22) ein Generationengespräch geführt. Und stiess dabei auf überraschende Ideen.
- Einbürgerung: Die «Hauptstadt» hat ein Paar, das seit langem in Bern lebt, ein Jahr lang auf dem langen Weg zur Einbürgerung begleitet. Anfang Jahr publizierten wir die Reportage. Gestern nun hat Autor Nicolai Morawitz von den beiden eine erleichtert klingende Textnachricht erhalten: Die beiden roten Pässe seien bei ihnen eingetroffen.
- Sicherheit: Nach den Ausschreitungen bei der Pro-Palästina-Demonstration vom 11. Oktober in Bern fordernbürgerliche Politiker*innen nun teils drastische Massnahmen, so etwa härtere Strafen und präventive Überwachung. Auffallend aktiv in diesem Thema sind Berner Politiker*innen der Mitte-Partei – allen voran der frühere Berner Sicherheitsdirektor und heutige Nationalrat Reto Nause. Ein aufsehenerregendes Pilotprojekt schlägt Mitte-Grossrätin Milena Daphinoff vor: Die Berner Kantonspolizei soll Polizist*innen mit «aussergewöhnlichen Gesichtserkennungsfähigkeiten» speziell schulen und als «Super-Recognizer*innen» gezielt einsetzen. Die weltweit führende Super-Recognizer-Expertin, so Daphinoff in ihrem Vorstoss, sei lokal ansässig. Es handle sich um Meike Ramon, Professorin an der Berner Fachhochschule.
- Demo: Auf vielen Baustellen in der Region Bern wurde gestern Freitag nicht gearbeitet. Grund: Rund 800 Bauarbeiter demonstrierten für bessere Arbeitsbedingungen. Wegen bisher gescheiterter Verhandlungen mit dem Baumeisterverband droht laut der Gewerkschaft Unia ab Anfang Jahr ein Zustand ohne Gesamtarbeitsvertrag.
- Gewerbe: In der Stadt Bern gibt eine weitere Bäckerei auf, weil keine Nachfolge gefunden wurde. Heute hat der traditionelle Obstberg Beck an der Bantigerstrasse in der Schosshalde letztmals geöffnet, schreibt Plattform J.
- Schiessen: Das seit 1939 bestehende Schützenmuseum, das direkt ans Historische Museum angrenzt, hat erstmals seit seiner Gründung die Dauerausstellung erneuert und öffnet diese heute Samstag erstmals fürs Publikum. Sie heisst «Gut im Schuss». Das von einer privaten Stiftung getragene Museum thematisiert die Geschichte des Schiesssports, aber auch die Rolle der Schützenvereine bei der Entstehung der demokratischen Schweiz.
PS: Der Tod ist ein Schuft. Dieses Wochenende ist Allerheiligen (1. November) und Allerseelen (2. November), zwei Tage, an denen der Toten gedacht wird. Das kann man in Bern auch mexikanisch frivol feiern: Das Historische Museum lädt zusammen mit der mexikanischen Botschaft zum Dia de muertos, an dem Farbe, Freude und Fröhlichkeit nicht zu kurz kommen.
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