«Ich will Wurzeln schlagen»
Die «Hauptstadt» hat ein Ehepaar ein Jahr lang auf seinem Weg zur Schweizer Staatsbürgerschaft begleitet. Eine Geschichte von Wunsch, Wille und Wirklichkeit – mit offenem Ausgang.
Ist es das wirklich wert? Als Roxana und Keith Blackett einen Anwalt einschalten müssen, um ihre Heiratsurkunde aus Sri Lanka nachträglich beglaubigen zu lassen, kommen ihnen leise Zweifel, ob der Aufwand für das gesamte Unterfangen wirklich gerechtfertigt ist.
Dabei hatte es vergleichsweise einfach begonnen, Ende 2023 am Küchentisch der Blacketts: Vor den beiden britischen Staatsbürger*innen liegen zwei Stapel. In jedem befindet sich das rund zwanzig Seiten lange Einbürgerungsdossier der Stadt Bern – für das sind zum Beispiel Auszüge aus dem Strafregister beizulegen oder den «Nachweis über die Teilnahme am Wirtschaftsleben».
«Wir sind systematisch vorgegangen», erinnert sich Roxana Blackett: «Welche Dokumente müssen wir wie und wann beantragen? Wohin können wir zusammen gehen, wohin besser getrennt?» Trotzdem sei sie «teilweise überfordert» gewesen in Anbetracht der Behördensprache und des Zusatzaufwands, den sie neben ihrer Vollzeitanstellung bei einem Pharmaunternehmen betreiben musste.
Im März 2024 besucht das Paar eine städtische Infoveranstaltung zur Einbürgerung. Sie bringt Licht ins Dunkle einiger administrativer Einbürgerungsfragen und zugleich die Erkenntnis: «Menschen, die kein hohes Organisationslevel besitzen, werden es schwer haben».
Warum die Einbürgerung?
Die beiden Mitfünfziger*innen Roxana und Keith Blackett leben seit zehn respektive 30 Jahren in der Schweiz. Ende 2023 entscheiden sich die beiden Stadtberner*innen mit Wurzeln in Grossbritannien und Sri Lanka dazu, den roten Pass zu beantragen. «Ich will Wurzeln schlagen», sagt Roxana Blackett. Sie wolle an den Volksabstimmungen teilnehmen und gesellschaftlich involviert sein. Klar sehe niemand, ob eine Person Schweizer*in sei oder nicht – «aber man wird danach gefragt». Und ohne roten Pass lebe man auf ewig wie eine Ausländerin, ist sich Roxana Blackett sicher.
Ihr Mann Keith sagt bei einem Treffen im Sommer: «Die Schweiz soll der Ort sein, an dem ich auch in der Pension weiterlebe, egal was passiert». Der Pass gebe ihm Sicherheit. Auch er will nach rund 30 Jahren im Land endlich abstimmen. Für den Briten kommen noch praktische Gründe hinzu: Seit dem vollzogenen Brexit müssen UK-Bürger*innen bei Aufenthalten ab 90 Tagen ein Visum für EU-Länder beantragen. Für Schweizer*innen gelten dagegen im EU-Raum die gleichen Lebens-, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen wie für EU-Bürger*innen.
2114 Personen sind im Kanton Bern 2023 ordentlich eingebürgert worden. Die grösste Gruppe war mit 466 Einbürgerungen aus Deutschland. Dahinter folgen mit rund 160 Einbürgerungen Menschen aus Italien und dem Kosovo. Bürgerrechtsforscher*innen wie Barbara von Rütte beobachten, dass das seit 2018 geltende Einbürgerungsgesetz für einen deutlichen Rückgang bei den Einbürgerungen von Menschen gesorgt hat, deren Herkunft ausserhalb Westeuropas liegt.
Sie stellt fest, dass tendenziell vor allem gebildete Menschen mit hohem Einkommen aus Nachbarstaaten eingebürgert werden. Von Rütte unterstützt auch die Demokratie-Initiative der Aktion Vierviertel. Diese fordert eine Abkehr von der aktuellen Einbürgerungspraxis: Neu soll jeder Mensch, der seit *fünf Jahren in der Schweiz lebt, unabhängig vom Aufenthaltsstatus ein Recht auf Einbürgerung haben.
Kantonale und kommunale Wohnsitzfristen seien heute nicht mehr zu rechtfertigen und gehörten abgeschafft, heisst es weiter. Ebenso die vergleichsweise hohen Gebühren. Ausserdem sei es diskriminierend, wenn Menschen, die Sozialhilfe beziehen müssen, das Bürgerrecht verwehrt bleibe.
Keith Blackett zog 1994 von London nach Bern. Erzählt er heute davon, mutet es wie eine Erzählung aus einer längst vergangenen Zeit an: «Hier gab es praktisch keine scharfen Speisen und nur eine sehr begrenzte Bierauswahl.» Zugleich habe er kaum glauben können, solch gute Arbeitsbedingungen vorzufinden. Hatte er seine Arbeitstage in der IT-Branche beendet, erkundete er das Land: «In meinem Gepäck befand sich ein Reiseführer aus den 1950er-Jahren – vieles war tatsächlich noch so, wie dort beschrieben.»
Roxana Blackett kam erst 2013 in die Schweiz. Ein Headhunter hatte die Pharma-Spezialistin angeworben. «Fürs erste Vorstellungsgespräch bin ich nach Bern geflogen worden», erinnert sie sich. Sie sagte zu und arbeitete fortan nicht mehr im Nordosten Englands, sondern in Bern-Bümpliz. 14 Monate später fiel sie aus allen Wolken: Sie, die in Grossbritannien alles aufgegeben und kaum in Bern Fuss gefasst hatte, verlor ihren Job und geriet in eine Lebenskrise. Ihr Eindruck damals: «Die Schweiz ist kein Ort, an dem man keine Arbeit haben sollte.»
In der gleichen Zeit lernte sie Keith in der Magnet Kletterhalle in Niederwangen kennen – Klettern ist eine Aktivität, die sie bis heute verbindet. Rund zehn Jahre später stehen die beiden unter dem Felsenauviadukt an einem neuen städtischen Kletterspot. Sie folgen ihrer über die Jahre eingespielten Routine: Sie legen ihre Ausrüstung an und checken die Kletterrouten aus. Keith Blackett startet mit einer vergleichsweise einfachen Route. Später wird er sagen: «Man kann sehr schnell an Höhe gewinnen und hat einen tollen Blick über die Stadt. An der Brücke habe ich mich zwar geschützt gefühlt, zugleich aber auch ausgeliefert.»
Langer Atem nötig
Das Ausgeliefertsein ist ein Gefühl, das die beiden auch im Herbst ihrer Einbürgerungsprozedur begleitet. Rund ein Jahr ist vergangen, seit sie sich intensiv mit der Einbürgerung befassen, doch die Ziellinie überschritten haben sie noch nicht. «Es ist so ineffizient», sagt Roxana. «Es sind so viele Hürden», sagt Keith. Beide haben den obligatorischen Sprach- und Einbürgerungstest bestanden, mehrere hundert Franken Gebühren für Nachweise gezahlt und zum Beispiel an ihren früheren Wohnorten Ostermundigen, Neuenegg und Bern Wohnsitznachweise beantragt. Und weil ihre Hochzeitsurkunde in Sri Lanka nicht amtlich beglaubigt war, mussten sie einen Anwalt vor Ort um Hilfe bitten – eine Online-Beantragung von der Schweiz aus war in dem südostasiatischen Land nicht möglich.
Doch das alles reicht noch nicht – «wir mussten zuletzt Arbeitszeugnisse nachreichen und Schweizer Referenzpersonen angeben, die über uns Auskunft geben können», erzählt Roxana Blackett. Ende 2023 hatten sie mit dem Gedanken gespielt, den Schweizer Pass an Weihnachten des darauffolgenden Jahres in den Händen halten zu können. Als arbeitsreiches Geschenk an sich selbst sozusagen. Nun wird es auf jeden Fall erst 2025 Wirklichkeit werden.
Zeit, sich das neue Leben als Schweizer*innen auszumalen. Viel ändern werde sich nicht, sind sich beide sicher. Um dann anzufügen: «Ich werde an einer anderen Schlange am Flughafen stehen», so Keith Blackett. Und: «Ich würde gerne helfen, bei einer Abstimmung Stimmen zu zählen.»
*Korrektur: Die Demokratie-Initiative fordert, Einbürgerungen von Ausländer*innen nach fünf Jahren rechtmässigen Aufenthalts in der Schweiz zu erlauben und nicht bereits nach vier Jahren, wie zuvor geschrieben. Die ebenfalls in der Box verlinkte Aktion Vierviertel, welche die Demokratie-Initiative eingereicht hat, fordert dagegen laut Manifest, dass eine Einbürgerung bereits nach vier Jahren möglich sein soll.