Einburgern
Jedes Jahr werden zirka 30 Menschen neu Bernburger*innen. In diesem Frühjahr gehörte auch die Familie Lauter aus Deutschland dazu. Wie lässt man sich einburgern und was kostet es?
Seit der Einburgerung fährt Jonas Lauter mit einem anderen Gefühl mit dem Tram über die Kirchenfeldbrücke in die Stadt «Jetzt fühle ich mich auch als Berner», sagt er. Auf seiner Identitätskarte stehen zwei Heimatorte. Seit der Einbürgerung 2020: Muri (BE); als frisch gebackener Bernburger: Bern.
Die Lauters leben seit sechzehn Jahren in Bern und besitzen seit drei Jahren den Schweizer Pass. Jonas Lauter (43) ist Ingenieur, seine Frau Sina Lauter (43) Architektin. Die beiden haben nach dem Studium ihre berufliche Laufbahn in der Schweiz begonnen und wohnen seither im Kanton. Ihre Kinder, heute 9 und 12 Jahre alt, sind hier aufgewachsen.
Seit sich die Familie entschieden hat, sich einburgern zu lassen, vergingen etwa zwei Jahre. Lauter vergleicht den Prozess mit der Einbürgerung in die Einwohnergemeinde. Es gebe bei der Burgergemeinde zwar keinen Test, den man bestehen müsse, doch vieles verlaufe ähnlich. Das zeigt sich auch bei den Aufnahmekriterien: Die der Burgergemeinde sind teilweise dieselben wie die der Schweiz.
Bescheid wissen
«Da ihr jetzt Schweizer seid, könnt ihr auch Bernburger werden», sagte ein guter Bekannter und Bernburger zu Jonas Lauter, als die Familie gerade das Schweizer Bürgerrecht erhalten hatte. Lauter wurde hellhörig. Bis zu diesem Zeitpunkt wussten er und seine Familie nicht, dass auch sie Bernburger*innen werden könnten.
Lauters sind nicht die einzigen, die nicht wissen, dass das möglich ist. Auch nicht alle Berner*innen wissen davon. Informationen zur Einburgerung muss man auf der Website der Burgergemeinde suchen. Nur wer weiss, dass es sie gibt, findet sie.
Steuert die Burgergemeinde aktiv eine bestimmte Zahl ihrer Angehörigen an? Nicht zu gross, um exklusiv zu bleiben, nicht zu klein, um sich die Existenz zu sichern?
Die Burgergemeinde gibt sich offen: «Jede und jeder kann sich einburgern lassen, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind», sagt Simone Mülchi, Präsidentin der Burgerkommission. Sie gehört dem vorberatenden Gremium an, das die Einburgerungsgesuche beurteilt. Den Entscheid, ob jemand eingeburgert wird, fällt dann das burgerliche Parlament, der Grosse Burgerrat.
Die Burgergemeinde strebe weder eine Unter- noch eine Obergrenze für die Zahl der Bernburger*innen an, sagt Mülchi explizit: «Wir sind neutral.»
Festgehalten sind die Voraussetzungen, unter denen man das Burgerrecht erhalten kann, im Burgerrechtsreglement. Die Bedingungen sind:
Besitz des Schweizer Pass.
Enge Verbundenheit mit Bern verspüren (ideell oder örtlich).
Hinter den Zielen und Werten der Burgergemeinde stehen wollen (dazu gehört die Bereitschaft, sich ehrenamtlich in einer Zunft oder der Burgergemeinde zu engagieren).
Einen guten Leumund haben.
Handlungsfähig sein oder die Zustimmung des Vormunds oder der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde haben.
Geordnete wirtschaftliche Verhältnisse und den Lebensunterhalt ohne finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand bestreiten.
Klar ist damit: Menschen, die bereits Sozialhilfe beziehen, können sich – wie auch im Schweizer Bürgerrecht – nicht einburgern lassen. Der Grund: Mit der Einburgerung übernimmt die Burgergemeinde die Sozialhilfe und den Kindes- und Erwachsenenschutz. Das heisst: Wer Burger*in ist, im Kanton Bern wohnt und in eine Situation gerät, in der er oder sie Unterstützung durch die Sozialhilfe beantragt, kann auf die Zunft – oder die Burgergemeinde bei Angehörigen ohne Zunftangehörigkeit – zählen. Sie entlaste somit die anderen Gemeinwesen, sagt Simone Mülchi. Das bedeutet aber auch: «Personen, die sich einburgern lassen, müssen sich quasi in dieses System einkaufen.»
Die politischen Ansichten seien der Burgergemeinde nicht wichtig und würden im Gespräch nicht thematisiert, sagt Mülchi.
Dass Zugezogene wie die Lauters oder Berner*innen, die bisher nicht viel mit der Burgergemeinde zu tun hatten, sich einburgern lassen, ist nicht die Norm. «Mindestens zwei Drittel der Anträge kommen von Menschen, die einen familiären Burger-Hintergrund haben», sagt Simone Mülchi. Das heisst, jemand aus der Familie – zum Beispiel der Ehemann oder die Ehefrau – ist bereits Burger*in.
Die Nachfrage an Einburgerungen ist moderat: Im Jahr 2022 wurden 35 Personen erfolgreich eingeburgert.
Die Rolle der Zünfte
Ein wichtiges Bindeglied beim Einburgerungsprozess sind die Zünfte. In Bern gibt es 13 Zünfte und den Verein Burgergesellschaft, der Burger*innen vereinigt, die keiner Zunft angehören. Denn zum Burger*innen-Sein gehört – ausser in Ausnahmefällen – immer eine Zugehörigkeit zu einer Zunft oder zur Burgergesellschaft.
Auch bei der Einburgerung spielt die Zunft, in die man eintritt, eine grosse Rolle. Zuerst wendet man sich an die Zunft, zu der man gehören will. Bei der Familie Lauter war es die Zunft zu Metzgern. Aus dem einfachen Grund, weil Jonas Lauter bereits jemanden kannte, der in dieser Zunft war.
Man kann Bern nicht verstehen, wenn man die Rolle der Burgergemeinde nicht versteht. Mit ihren 18’000 Mitgliedern ist sie eine der grössten und wohlhabendsten Burgergemeinden der Schweiz, die ein Drittel des städtischen Bodens besitzt. Und das ausgerechnet in der linken Stadt Bern, der sie jedoch als grosszügige Kulturmäzenin beisteht. Wie entstand die Burgergemeinde und wie wurde sie reich? Wie funktioniert sie? Wie viel Macht übt sie aus? Und: Was wäre Bern ohne die Burgergemeinde Diese Fragen arbeitet die «Hauptstadt» momentan aus diversen Blickwinkeln in einem mehrteiligen Schwerpunkt auf.
Auch die Burgergemeinde selber empfiehlt, die Einburgerung über eine Zunft einzufädeln. «Die Burgergemeinde sagte uns, es sei einfacher in eine Zunft zu kommen, wenn man bereits jemanden kennt, der dort aktiv ist», erzählt Jonas Lauter.
Der Prozess der Einburgerung startete, sobald Lauters Bekannter in der Zunft das Anliegen der Familie weitergegeben hatte.
Der Ablauf
Die Einburgerung begann mit zwei persönlichen Gesprächen mit Vertreter*innen der Zunft zu Metzgern und der Familie Lauter. Daraufhin sprach die Zunft zu Metzgern eine Empfehlung an die Burgergemeinde zur Aufnahme aus. An dieser und an weiteren Stellen im Aufnahmeprozess könnten die Zunft oder die Burgergemeinde das Gesuch auch nicht weiterempfehlen. Die Familie müsste dann entscheiden, ob sie den Antrag zurückzieht oder nicht.
Dann übernahm die Burgerkanzlei den weiteren Prozess. Ihr gaben die Lauters ihr Aufnahmegesuch ab, wo sie neben Lebenslauf und Motivationsschreiben auch Dokumente wie Steuererklärungen und -veranlagungen beilegen mussten.
Das vollständige Gesuch kam zur Burgerkommission, die es prüfte. Nach der Prüfung lud die Kommission Sina und Jonas Lauter zum Gespräch mit der Kommissionspräsidentin Simone Mülchi und Kommissionsmitglied François von Wattenwyl ein.
Die Gespräche mit Vertreter*innen der Zunft zu Metzgern und der Burgergemeinde hinterliessen bei den Lauters ein positives Gefühl. «Wir fühlten uns dadurch willkommen», sagt Sina Lauter. Das sei zentral für sie gewesen.
Sich einkaufen
Nach dem Gespräch mit der Burgerkommission erhielt der Kleine Burgerrat den Antrag, die Familie weiterzuempfehlen und berechnete die Einkaufssumme. Diese richtet sich nach dem Einkommen und Vermögen der Familie und ist einmalig mit dem Eintritt in die Burgergemeinde.
Die Einkaufssumme kommt in der Regel je zur Hälfte dem Burgerspittel und der sozialen Institution Sora zugute. Im Jahr 2022 beliefen sich die Einnahmen aus den Einkaufssummen auf 35’000 Franken.
Die Einkaufssumme in die Burgergemeinde sei für die Familie Lauter etwa so hoch gewesen wie ihre zweiwöchige USA-Reise im Herbst 2022. «Deutlich unter 10’000 Franken», sagt Jonas Lauter. Da sie gleichzeitig in die Zunft eintraten, verdoppelte sich die Einkaufssumme: Die Zunft zu Metzgern verlange die gleich hohe Summe wie die Burgergemeinde, sagt Jonas Lauter.
Wer sich einburgern lassen will, muss nicht nur mit einer Einkaufssumme für die Burgergemeinde rechnen, sondern muss sich auch in die Zunft einkaufen. Wie hoch können diese Beträge sein?
Jede Zunft entscheide selbst, wie hoch bei ihnen die Einkaufssumme ist. «Wir gehen davon aus, dass die meisten Zünfte die gleiche Einkaufssumme erheben, wie die Burgergemeinde», sagt Simone Mülchi. Die Einkaufssumme der Burgergemeinde allein belaufe sich zwischen 3’000 und 13’000 Franken. Mit der Einkaufssumme in die Zunft kann sich der Betrag verdoppeln.
Bis zu 10’000 Franken kann sich die Einkaufssumme in die Burgergemeinde unterscheiden. Diese grosse Spannweite ist ihr wichtig: «Es soll für jede soziale Schicht möglich sein, sich der Burgergemeinde anzuschliessen», sagt Simone Mülchi.
Noch weniger zahlen burgernahe Gesuchsteller*innen: Der Einkaufsbetrag reduziert sich für Personen, die mit jemandem aus der Burgergemeinde verheiratet sind oder in einer eingetragenen Partnerschaft leben. Sowie für Kinder, egal in welchem Alter, deren Eltern- oder Grosselternteil Burger*in ist. Das nennt sich erleichterte Einburgerung. Hier gilt eine pauschale Einkaufssumme von 1’000 Franken.
Man kann auch als Burger*in geboren werden: Wenn die Eltern – oder der namensgebende Teil davon – Burger sind, ist das Kind ebenfalls Burger. Nachfolgende Generationen müssen also keine Einkaufssumme mehr bezahlen.
Annehmen oder ablehnen
Weiter im Ablauf: Mit dem Festsetzen der Einkaufssumme stellt der Kleine Burgerrat dem Grossen Burgerrat Antrag auf Erteilung des Burgerrechts. Der Grosse Burgerrat entschied über die definitive Annahme der Familie Lauter.
Ablehnungen sind zwar theoretisch möglich, in der Realität kommen sie aber kaum vor. Seit Simone Mülchi in der Burgerkommission ist, habe die Burgergemeinde noch nie einen Antrag abgelehnt oder jemandem das Burgerrecht entzogen.
An der Sitzung des Grossen Burgerrates vom 23. Oktober standen 18 Einburgerungs-Dossiers zur Abstimmung. Die zuständige kleine Burgerrätin Simone Mülchi erläuterte die Gesuche. Derweil wurde an der Leinwand eine Slideshow mit Fotos der Einburgungswilligen gezeigt. Von den 18 Dossier seien 17 burgernah, erklärte Mülchi. Alle 18 Einburgerungswilligen gehörten auch einer Zunft an.
Diskussion oder Fragen gab es keine. Die Einburgerungen werden nicht – wie andere Geschäfte – durch Handerheben beschlossen, sondern durch das schriftliche Ausfüllen von Wahlzetteln.
Alle Einburgerungen wurden klar gutgeheissen. Es gab nur bei zwei Dossiers je eine Enthaltung. Eines der Dossiers war das burgerferne Gesuch. (jow)
Ist der Entscheid des grossen Burgerrats positiv, ist der Rest Formalität: Der Kanton genehmigt die Einburgerung, dann folgt die Erteilung des Zunftrechts mit der Begleichung der Einkaufssumme.
Das grosse Warum
Der Grund, weshalb sich die Familie Lauter einburgern liess, ist vielschichtig und für Jonas und Sina Lauter nicht in einem Satz zu benennen. Verschiedene Aspekte spielen für die Familie eine wichtige Rolle. Einerseits habe die Sorge zur historischen Baukultur die Familie stark angesprochen. Die Burgergemeinde wolle das Erbe weitertragen und mit ehrenamtlichem Engagement eine Zukunft aufbauen. «Das entspricht uns sehr», sagt Jonas Lauter.
Ein weiterer Grund sei der Einsatz für soziale Themen und kulturelle Einrichtungen. «Wir haben gespürt, dass wir bei der Burgergemeinde erwünscht sind, vor allem auch als junge Familie, die sich engagieren will», sagt Jonas Lauter.
Zudem freuen sich die Lauters, neue Menschen kennenzulernen, die verschiedene Hintergründe, Berufe und Herkünfte haben. Dass sich mit der Zugehörigkeit zur Burgergemeinde das persönliche Netzwerk erweitern kann, stehe für die Familie zwar nicht im Vordergrund, sei aber positiv.
Die Burgergemeinde selbst sei auf ehrenamtliches Engagement angewiesen und somit auch auf genügend Bernburger*innen, sagt Simone Mülchi. In der Burgergemeinde gibt es über 300 Funktionen, die Bernburger*innen ehrenamtlich ausüben – etwa in Stiftungen, Kommissionen und Räten. Sich zu engagieren sei aber nicht Pflicht.
Einburgerungen sind schon seit sehr langer Zeit möglich. Die Burgergemeinde hat durch ihr Reglement immer wieder gesteuert, wer und wie viele Menschen sich einburgern lassen durften.
Noch im 19. Jahrhundert sah sich die Burgergemeinde als exklusive und unerschüttliche Gemeinschaft. In diesem Selbstbild war der Status der Burger*innen naturgegeben, man erhielt ihn idealerweise durch die Geburt. Gleichzeitig war es der Burgergemeinde aber nicht erlaubt, sich abzuschotten. Eine Einburgerung musste möglich sein.
Für die Burgergemeinde war es wichtig, die neuen Burger*innen gut auszuwählen, um die Mitglieder weiterhin möglichst homogen zu halten. Sie entwickelten Kriterien, die sich im Laufe der Zeit dem sich verändernden Selbstverständnis der Burgergemeinde anpassten.
Die Höhe der Einkaufssumme hat sich im Laufe der Jahre immer wieder verändert. 1878 betrug die Einkaufssumme zum Beispiel pauschal 15’800 Franken. Seit 1992 wird die Einkaufssumme nach Vermögen und Einkommen berechnet. Schon seit Beginn an haben burgernahe Einburgerungen tiefere Einkaufssummen. Und auch das Kapital spielte eine grosse Rolle. 1889 zum Beispiel musste man mindestens 10’000 Franken steuerfreies Kapital vorweisen.
In verschiedenen Kriterien, die sich mit der Zeit wieder auflösten, zeigt sich, dass die Burgergemeinde teilweise der Zeit hinterherhinkte. So war lange Zeit sogar die Gesundheit ein (inoffizielles) Kriterium. Erst seit 2001 ist sie es nicht mehr. Ein Arztzeugnis war jedoch noch bis darüber hinaus ein Pflichtdokument. Laut der Burgergemeinde ist das heute nicht mehr der Fall.
Unverheiratete Personen waren als Burger*innen nicht gern gesehen. 1992 stand neu im Reglement, dass Unverheiratete möglichst nicht eingeburgert werden sollen. Diese Regel wurde aber wieder aufgehoben.
Durch die Veränderungen und Gleichstellung von Mann und Frau im Zivilgesetzbuch haben sich auch die Burgerrechtsreglemente – teilweise zeitversetzt – verändert. Bis 1988 verloren Frauen ihr Burgerrecht bei einer Heirat mit einem Nicht-Burger. Bis zu diesem Zeitpunkt galt, dass Frauen ihren Heimatort bei der Heirat von ihrem Ehemann übernahmen. Seit 2014 wird die Ehefrau des gesuchstellenden Manns nicht mehr automatisch Burgerin, kann sich aber erleichtert einburgern lassen.
Bis heute aber gilt: Selbst bei Erfüllung aller Kriterien war und ist die Einburgerung nicht garantiert, eine Ablehnung wäre aber schwierig.
Die Gewerkschaften des Alten Bern
«Unser grösstes Problem ist der Wald»
Kulturburger
Gute Rendite, wenig Klimaschutz
«Bei der Burgergemeinde habe ich keine Wählerschaft im Nacken»
Die rot-grüne Burgergemeinde
Verwendete Literatur:
Birgit Stalder, Martin Stuber, Sibylle Meyrat, Arlette Schnyder, Georg Kreis. Von Bernern und Burgern. Tradition und Neuerfindung einer Burgergemeinde. Hier und Jetzt. 2015
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Die Artikelserie zur Burgergemeinde wurde mit Unterstützung von JournaFONDS recherchiert und umgesetzt.