Burgergemeinde Spezial

Kulturburger

Wie sähe die Berner Kulturlandschaft ohne die grosszügige Förderung der Burgergemeinde aus? Und warum knausert sie ausgerechnet beim Casino, das ihr selber gehört?

Burger Schwerpunkt - Kulturförderung Burgergemeinde
Generationenhaus
Plakat Burger wir fressen euch nicht!
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© Danielle Liniger
Kritik willkommen: Plakat am Eingang zu den Büros der Burgergemeinde im Generationenhaus. (Bild: Danielle Liniger)

Ein experimentelles Jazz-Album? Ein Konzert der Musikgesellschaft? Eine Lesung in der Gemeindebibliothek?

Wer ein Kulturprojekt plant und dafür Geld braucht, kann sich bei der Burgergemeinde gute Chancen ausrechnen. Den grössten Teil der Gesuche beantworten die Burger*innen positiv. Eine Quote zu nennen ist schwierig, weil es sie nicht gibt. Über den Daumen gepeilt werden aber circa vier von fünf Gesuchen bewilligt.

Für einmalige Beiträge hat die Burgergemeinde jährlich 3,2 Millionen Franken zur Verfügung. Wobei streng genommen nur 1,4 Millionen davon für Kultur gedacht sind und der Rest in Kategorien wie «Umwelt und Sport» oder «Lebensraum Stadt Bern» fliesst. Viele unterstützte Projekte lassen sich nicht richtig einordnen. Und darauf ist die Burgergemeinde stolz. Sie pflegt keinen engen Kulturbegriff und unterstützt auch Anliegen, die zum gesellschaftlichen Zusammenleben beitragen.

Zu den 3,2 Millionen Franken an frei zu vergebenden Geldern kommen weitere 4,6 Millionen, die mit Leistungsverträgen wiederkehrend ausbezahlt werden, zum Beispiel an Bühnen Bern oder die Stiftung Camerata.

Insgesamt gibt die Burgergemeinde ungefähr 25 Millionen Franken für ihr Engagement in Kultur und Gesellschaft aus. Darin enthalten sind auch Beiträge an eigene Institutionen wie beispielsweise das Naturhistorische Museum, das Berner Generationenhaus, die Burgerbibliothek oder den Forstbetrieb (zum Beispiel für die Bereitstellung von Waldplätzen für Kitas oder die Instandstellung von Spazierwegen). Ein Direktvergleich mit der Kulturförderung der Stadt Bern ist also schwierig. Dort werden 33 Millionen Franken pro Jahr für Kultur im engeren Sinne ausgegeben.

Nur für eine kulturelle Leistung reicht das Geld der Burgergemeinde ab 2024 nicht mehr: Für die 2019 eingeführte, von der Burgergemeinde selbst betriebene Kultur im sanierten Casino. Doch dazu später.

Unterstützung für viele

Die Burgergemeinde fördert nicht nur in Bern, sondern im ganzen Kanton. Und sie unterstützt auch Laienproduktionen. Oder wie Franziska Burkhardt, Leiterin der städtischen Kulturabteilung, sagt: «Ohne Burgergemeinde gäbe es weniger Angebote, weil manches schlicht nicht gefördert würde.» Auch Patrizia Crivelli, Leiterin derselben Stelle bei der Burgergemeinde, ist sich bewusst: «Ohne Burgergemeinde würde Kultur anders aussehen und viele kleine Sachen könnten allenfalls nicht stattfinden.»

«Eine Lesung in Fraubrunnen – wer würde diesen Anlass schon unterstützen, ausser der Burgergemeinde?» Es ist das Lieblingsbeispiel von Daniel Wirz. Wirz ist Burger, Mitglied des Kleinen Burgerrats und Präsident der burgerlichen Kommission Engagements in Kultur und Gesellschaft und der Kulturkommission.

Inside Burgergemeinde

Man kann Bern nicht verstehen, wenn man die Rolle der Burgergemeinde nicht versteht. Mit ihren 18’000 Mitgliedern ist sie eine der grössten und wohlhabendsten Burgergemeinden der Schweiz, die ein Drittel des städtischen Bodens besitzt. Und das ausgerechnet in der linken Stadt Bern, der sie jedoch als grosszügige Kulturmäzenin beisteht. Wie entstand die Burgergemeinde und wie wurde sie reich? Wie funktioniert sie? Wie viel Macht übt sie aus? Und: Was wäre Bern ohne die Burgergemeinde Diese Fragen arbeitet die «Hauptstadt» momentan aus diversen Blickwinkeln in einem mehrteiligen Schwerpunkt auf.

Daniel Wirz befindet mit seiner Kommission über die kulturellen Gesuche. In diesem Jahr waren es rekordmässig viele, nahezu 900. Es ist fast nicht vorstellbar, wie eine Laienkommission eine solche Flut handhaben kann. Noch wurden nicht alle Gesuche behandelt, Absagen gab es bisher für 127 Eingaben.

Die Gesuche umfassen alles, von besagter Lesung in Fraubrunnen über ein Theaterstück im Tojo in der Reitschule bis zum Werkbeitrag für ein neues Album. Wichtig dabei: das Giesskannenprinzip. «Wir sind weniger die, die einfach Nein sagen», präzisiert Wirz, «wir sagen bei vielem Ja, aber differenzieren stark beim Betrag.»

Mit anderen Worten: Auch wenn die Chance gross ist, dass ein Gesuch unterstützt wird, bekommt es in den meisten Fällen nicht so viel Geld wie angefragt.

Ein*e unterstützte*r Gesuchsteller*in erhält durchschnittlich 2500 bis 3000 Franken. Auch bei anderen Förderstellen wie Kanton und Stadt werden zwar so kleine Beiträge gesprochen, aber dort machen die grösseren Unterstützungen auch den grösseren Teil aus: Keine Giesskanne, sondern ein gezieltes Bewässern einzelner Töpfe. Was aber auch zu mehr Absagen führt.

Gunst von vielen

Die von der Burgergemeinde gesprochenen Beiträge sind klein, können aber durchaus etwas ausmachen. So sagt etwa der Berner Rapper Tommy Vercetti alias Simon Küffer: «Am Ende des Tages läuft es darauf hinaus, dieses Geld zu haben oder nicht. Und 3000 Franken sind viel für mich, fast ein Monatslohn. Darum sind sie ein wichtiger Beitrag.»

Fast jede*r Berner Kulturschaffende, der oder die es probiert hat, wurde also schon einmal von der Burgergemeinde unterstützt.

«Die Burgergemeinde würde immer auf die Gunst breiter Bevölkerungskreise angewiesen sein», heisst es in Katrin Rieders umstrittenen Wälzer «Netzwerke des Konservatismus. Berner Burgergemeinde und Patriziat im 19. und 20. Jahrhundert» (2008) zur Kulturförderung. «Doch auch mit der kontinuierlichen Vergabe von kleinen Beiträgen an Organisationen oder an einzelne Anlässe bauten sie einen breiten Kreis von AdressatInnen auf, die ihrer Wohltäterin durch diese Grosszügigkeit bindend verpflichtet blieben.»

Stimmt das? Macht die Burgergemeinde Kulturschaffende quasi handzahm, indem sie auch die Kritischen unter ihnen mit wiederkehrenden kleinen Beiträgen ruhig stellt? Die städtische Kulturleiterin Franziska Burkhardt sieht keinen Anlass für diesen Verdacht. «Im Kulturbereich handelt die Burgergemeinde meiner Meinung nach nicht berechnend, sondern aus Überzeugung», sagt sie.

Das Casino Bern, fotografiert am Dienstag, 10. Oktober 2023 in Bern. (Hauptstadt / Manuel Lopez)
Bekanntes Kulturhaus: Das Casino der Burgergemeinde. (Bild: Manuel Lopez)

Auch Simon Küffer fühlt sich nicht eingeschränkt durch die Unterstützung der Burgergemeinde. «Einerseits sind die Leute in der Kommission offen und beurteilen Gesuche aufgrund der Qualität», vermutet er. Und fährt dann mit einer interessanten Argumentation fort: Bei der Beziehung zwischen kritischen Kulturschaffenden und Burgergemeinde handle es sich auch um eine «Symbiose». «Die Burgergemeinde kauft sich mit der Förderung von kritischen Künstler*innen den Ruf ein, offen zu sein.» In der heutigen Zeit sei Kritik ja nicht ein Problem, sondern willkommen, weil sie das Selbstbild verstärke, offen, selbstkritisch und bereit zur Reflexion zu sein.

Der Fall Kultur im Casino

Kritisch muss die Burgergemeinde allerdings ihre Strategie im Casino hinterfragen. Das Casino ist eine Institution, die der Burgergemeinde gehört. Zwischen 2015 und 2019 wurde sie aufwändig für insgesamt 78 Millionen Franken saniert. Mit der Neueröffnung im Herbst 2019 wollte die Burgergemeinde erstmals alles «aus einer Hand» bieten: Gastronomie, Events, Kultur.

Sie wollte nicht mehr nur die Räume an externe Veranstalter wie Bühnen Bern und das Berner Symphonieorchester (BSO) vermieten, sondern eigene Veranstaltungen produzieren. Aus dem Casinotheater Winterthur holte sie dazu den dort erfolgreichen Kulturleiter Nik Leuenberger, der in Bern Grosses vorhatte. Weg von der Klassik, hin zu Unterhaltungsformaten wie der gediegenen Vorweihnachts-Dinnershow «Jingle Bern» oder «Übers Chrüz», ein Crossover von Pop und Klassik mit Stars wie Sophie Hunger und Lo & Leduc.

Nächstes Jahr ist damit Schluss. Ab 2024 will das Casino Bern keine eigenen Kulturproduktionen mehr machen. Nik Leuenberger verlässt das Haus per Ende Jahr. Der Grund? Dazu sagte Burgergemeindepräsident Bruno Wild im Grossen Burgerrat vom 19. Juni, als der Entscheid begründet wurde: «Wir müssen uns vorhalten lassen: Wir haben die Komplexität unterschätzt, einen solchen Umbau zu stemmen und gleichzeitig das Konzept umzustellen und eigene Kultur zu machen.»

Burgerrats Sitzung der Burgergemeinde Bern, fotografiert am 19.06.2023 in Bern. (Manuel Lopez)
Im Grossen Burgerrat im Juni wurde die Umstellung des Konzepts im Casino kommuniziert. (Bild: Manuel Lopez)

Mit anderen Worten: Die Burgergemeinde ist mit der Idee, selbst Kultur zu veranstalten, gescheitert. Sie hatte grosse Ambitionen – und hat die nach nur vier Jahren wieder begraben. Und sie hat – ganz in bekannter Burgermanier – nicht lange gefackelt, als sich abzeichnete, dass das Casino in absehbarer Zeit keine schwarze Null erreichen würde.

Möglich gewesen wäre eine ausgeglichene Rechnung, wenn der Gastrobetrieb den Kulturbetrieb quersubventioniert hätte. Doch da waren auch noch die Corona-Jahre, da war der unrühmliche Abgang des ehemaligen Casino-Direktors. Das Casino sei etwa 2 bis 3 Millionen Franken im Rückstand gegenüber dem budgetierten Plan, sagte Wild am Rande jener Sitzung.

Möglich gewesen wäre es aber auch, wenn die Burgergemeinde von ihrer eigenen Institution nicht erwartet hätte, was sie sonst eigentlich von keinem Kulturplayer erwartet: Selbsttragend zu sein. Denn welche Kulturinstitution ist schon selbsttragend?

Der Lernprozess der Burgergemeinde

«Wir waren nicht strenger oder grosszügiger zu ihnen als zu anderen Kulturveranstaltern», sagt Kommissionspräsident Daniel Wirz. Ein Hindernis für die Veranstaltungen im Casino sei aber gewesen, dass es schwierig war, für sie Geld bei anderen Förderstellen wie zum Beispiel beim Kanton oder der Stadt anzufragen. Denn wer will schon einer burgereigenen Institution Geld geben, wenn doch hinlänglich bekannt ist, dass es die Burger*innen sind, die das Geld haben?

Wirz selber bezeichnet die Entwicklung nicht als Scheitern. «Es ist ein Lernprozess», sagt er. Die Burgergemeinde habe gelernt, dass in erster Linie wichtig sei, dass Kultur stattfinde. Und etwas weniger wichtig, von wem sie veranstaltet werde. «Wir wollten eine Bereicherung sein und nicht anderen Institutionen die Veranstaltungen wegnehmen», fügt Wirz noch an.

In Zukunft wird die Burgergemeinde im Casino wieder wie vor dem Umbau voll darauf setzen, ihre Räume für Kulturveranstaltungen zu vermieten und Gastronomie zu betreiben. Veranstalten wird sie trotzdem noch: im Naturhistorischen Museum (das der Burgergemeinde allein gehört) oder dem Generationenhaus (ebenfalls in Burgerbesitz). Was die beiden vom Casino unterscheidet: «Sie haben ein Betriebsbudget und sind nicht am Markt», sagt Wirz. Mit anderen Worten: Im Gegensatz zum Casino müssen sie nicht selbsttragend sein.

Darum bleibt die Erkenntnis: Die Burgergemeinde ist zwar die grosse Förderin und Ermöglicherin für kleinere und grössere kulturelle Projekte in Bern. Da darf es sehr gerne auch unkonventionell und abenteuerlich sein. Sehr geduldig ist sie aber nicht. Sobald sich abzeichnet, dass trotz mehrjährigem finanziellem Engagement keine Aussicht auf schwarze Zahlen besteht, zieht sie auch mal den Stecker. Sogar wenn es sich dabei um ein eigenes Projekt handelt.

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Die Artikelserie zur Burgergemeinde wurde mit Unterstützung von JournaFONDS recherchiert und umgesetzt.

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