Schweizer*in werden in der Badi

In Köniz gibt es jedes Jahr eine Einbürgerungsfeier für die frischgebackenen Schweizer*innen. Wer sind sie?

Einbürgerungsfeier Köniz
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Satusha lebt seit ihrer Geburt hier und fühlt sich als Schweizerin. An die Feier kam sie mit ihren Eltern. (Bild: Danielle Liniger)

Ornella Meringolo wartet festlich gekleidet an einem Stehtischchen in der Könizer Badi. Es ist Abend, aber immer noch drückend heiss. Heute erhält sie ihre Einbürgerungsurkunde. Die 55-Jährige spricht breites Berndeutsch, als Tochter italienischer Eltern wurde sie hier geboren. Genauso wie ihre Schwester, die sie an diesen Anlass begleitet. Doch während Ornella Meringolo sich freut, nun endlich abstimmen zu können, will ihre Schwester keinen Schweizer Pass.

Mit Ornella Meringolo erhalten 142 Könizer Einwohner*innen ihre Urkunde. Sie alle wurden im Verlauf des letzten Jahres eingebürgert. Etwa 100 Menschen, viele davon auch Familienmitglieder von Eingebürgerten, sind persönlich an den feierlichen Akt gekommen. Einige von ihnen wirken leicht orientierungslos im wilden Durcheinander der Badi, wo Kinder kreischen, Familien picknicken und immer wieder Mutige vom 10-Meter-Brett springen. Auf der Bühne steht eine Band, die aus den Könizer Bademeister*innen besteht, am Buffet gibt es Süssgetränke aus Coca-Cola-Bechern, Weisswein, Chips und Käse.

Und am Schluss das Gespräch

«Ich fange pünktlich an, denn Pünktlichkeit ist in der Schweiz ein hohes Gut», sagt Thomas Brönnimann, Könizer Gemeinderat (GLP) und Präsident der Einbürgerungskommission, kurz nach 19 Uhr zum Einstieg. Seine Worte sind schlecht zu verstehen. Vielleicht liegt es am Mikrofon, vielleicht auch am Lärmpegel.

In den Jahren zuvor fand die Feier an anderen öffentlichen Orten in der Gemeinde statt. Eingeladen waren jeweils zwischen gut 100 und 130 Eingebürgerten. So viele Neueingebürgerte wie in diesem Jahr waren es allerdings noch nie.

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GLP-Gemeinderat Thomas Brönnimann und die Einbürgerungskommission übergeben die Urkunden. (Bild: Danielle Liniger)

Sie alle haben ein Prozedere hinter sich, das sich über ein bis zwei Jahre zieht. Die meisten Schritte davon sind vordefiniert und standardisiert: Es braucht Wohnsitz-Bestätigungen von Gemeinden, den Nachweis von Sprachkenntnissen, weitere persönliche Dokumente. Sind alle vorhanden, gibt es ein Einbürgerungsgespräch bei der Gemeinde.

Damit wollen die Behörden herausfinden, wie gut eine Person integriert ist. Es ist der umstrittenste Teil des Einbürgerungsverfahrens. Der Einbürgerungsentscheid ist abhängig vom Urteil einzelner Kommissionsmitglieder, er wurde oft kritisiert – und auch schon persifliert. Zum Beispiel aktuell und noch bis Ende Woche auf dem Gurten im Freilicht-Theater «Da chönnt ja jede cho» (ausverkauft).

In Köniz werde die Hürde von praktisch allen Gesuchstellenden erfolgreich übersprungen, sagt Susanne Zoss. Sie arbeitet als Sachbearbeiterin Einbürgerungen in Köniz. «Liegen offensichtliche Abweisungsgründe vor, wie ein Eintrag im Strafregister, werden die Gesuchsteller schon vor dem Gespräch auf einen Rückzug des Gesuches hingewiesen.»

Durchgekommen ist ein*e Kandidat*in, wenn sie oder er das Gespräch mit der Einbürgerungskommission besteht. Es wird mit zwei von neun Kommissionsmitgliedern geführt. Ist der Ausschuss unsicher in seinem Urteil, gibt es ein zweites Gespräch vor der gesamten Kommission. Auch das ist laut Susanne Zoss selten. Die Zusicherung des Bürgerrechts wird vom Gemeinderat auf Antrag der Einbürgerungskommission erteilt.

Die Unterlagen der Gemeinde werden danach an den Kanton Bern weitergeleitet. Dieser holt beim Bund die noch erforderliche Einbürgerungsbewilligung ein und entscheidet über die Erteilung des Bürgerrechts. Zu diesem Zeitpunkt werden auch noch einmal das Strafregister und die Arbeitstätigkeit angeschaut. Es gibt also Fälle, bei denen die Gemeinde Ja sagt und der Kanton trotzdem ablehnt.

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Mit Mehdi Bakhtiary wurden auch seine 9-monatigen Töchter eingebürgert. (Bild: Danielle Liniger)

Mehdi Bakhtiary musste für den Schweizer Pass den Einbürgerungstest bestehen. Ihn müssen alle machen, die über 16 Jahre alt sind. Ausgenommen sind Personen, welche in der Schweiz mindestens fünf Jahre die Grundschule besucht oder eine Ausbildung gemacht haben. «Ich habe viel dafür gelernt», sagt er. Trotzdem sei er in der Situation selbst dann völlig in Stress geraten. Er musste unter anderem die sieben Bundesrät*innen und ihre Departemente aufzählen.

Bakhtiary stammt aus Afghanistan und lebt seit 16 Jahren im Kanton Bern. «Das ist mehr als mein halbes Leben.» Auch seine 9-monatigen Zwillingstöchter Aylin und Aysan wurden mit ihm eingebürgert. Darüber ist er sehr froh.

In allen Voten der frischgebackenen Schweizer*innen ist Dankbarkeit zu spüren. Eine Dankbarkeit, die einen als Schweizerin, die zufällig mit dem Schweizer Pass geboren wurde, berührt. Und auch ein bisschen zum Nachdenken bringt. Hier, in der Könizer Badi, wo auch an anderen Tagen die ganze Vielfalt der Gesellschaft zusammentrifft, wird sichtbar, dass die Karten nicht gleich verteilt sind.

Alle ab 12 müssen zum Vorstellungsgespräch

Auch Satusha, 14, gehört zu denen, die dankbar sind. Sie ist nun Schweizerin mit Heimatort Köniz, so wie auch ihr Bruder schon seit zwei Jahren. Ihre Eltern, die aus Sri Lanka stammen, haben bisher noch kein Gesuch gestellt für die eigene Einbürgerung. «Vielleicht nächstes Jahr», sagt die Mutter. Satusha hingegen betont: «Ich bin hier geboren, ich fühle mich als Schweizerin.»

Alle ab 12 Jahren müssen zum Vorstellungsgespräch zur Einbürgerungskommission. Sind die Kinder jünger, werden sie gemeinsam mit den Eltern eingebürgert. Vielleicht darum gibt es an diesem Abend in der Badi auffällig viele Jugendliche, die so wie Satusha einzeln eingebürgert werden, während ihre Eltern, die oft aus fernen Ländern stammen, keinen Pass erhalten, aber stolz am Rand des Geschehens stehen. Denn die Zukunft ihrer Kinder ist jetzt gesicherter.

Und es gibt auch die, die aus einem Nachbarland hierher gezogen sind und gerne mehr mitbestimmen möchten. So wie Kathrin Keller, die 2009 ursprünglich fürs Masterstudium aus Deutschland in die Schweiz gekommen ist. Sie ist ein Polit-Fan. Bisher habe sie gerne ihrer Freundin die Abstimmungsunterlagen weggenommen und ausgefüllt, erzählt sie lachend. Seit sie Schweizerin ist, ist das nicht mehr nötig, denn nun hat sie ihre eigenen Unterlagen.

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Dmitry Prudnikov, hier mit seiner Frau, empfand das Einbürgerungsgespräch als «gemütlich und angenehm». (Bild: Danielle Liniger)

Sie, wie auch andere, erzählen, dass das Einbürgerungsgespräch einfach gewesen sei. So sagt etwa Dmitry Prudnikov, der ursprünglich aus Russland stammt, dass er das Gespräch als «gemütlich und angenehm» empfunden habe. «Wir haben auch gelacht», fügt er an.

Eine frisch eingebürgerte Deutsche, die lieber nicht namentlich zitiert werden möchte, betont, dass die Hürde mit dem Test und dem Gespräch ihrer Meinung nach sogar wichtig sei. «Um den Schweizer Pass zu erhalten, muss man schon etwas leisten.»

«Geografie, Politik, und so weiter. Es ist doch normal, dass man das Land kennen muss, in dem man lebt», sagt Romina Alles, die ebenfalls aus Deutschland stammt und gemeinsam mit ihrem Mann Marc eingebürgert wurde. Mit dem Schweizer Pass kann sie sich auch vorstellen, in die lokale Politik einzusteigen.

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Ornella Meringolo (links) ist nun eingebürgert. Ihre Schwester verzichtet darauf. (Bild: Danielle Liniger)

Zurück zu Ornella Meringolo. Sie empfand «die Fragerei» im Gespräch als komisch. «Da wurde ich zum Beispiel gefragt, ob ich Schweizer Freunde hätte. Und ich dachte: Hallo! Ich bin hier geboren.» Sie habe auch gar nicht gewusst, wie sie sich auf ein solches Gespräch vorbereiten sollte.

Ein knappes Jahr hat es gedauert zwischen ihrem Entschluss, Schweizer*in zu werden und dem Entscheid. Etwas ist ihr dabei aufgefallen. «Die Einbürgerung ist teuer, denn für jedes einzelne Papier zahlst du.» Insgesamt seien es bei ihr 3200 Franken gewesen. «Das muss man sich leisten können», meint Meringolo. «Ich glaube nicht, dass das für alle drinliegt.»

Ihre Schwester daneben lacht nur. «Ich bin hier geboren, ich fühle mich in Köniz daheim – aber ich hatte nie das Gefühl, dass ich mich einbürgern lassen muss.»

Dann stossen die Schwestern miteinander an.

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