Dampfzentrale – Hauptstadt-Brief #482

Samstag, 28. Juni 2025 – die Themen: Dampfere; Tinu Weber; Palästina-Polemik; Rundes Leder; Stadtrat; Tempo 30; Bahnverkehr; Kantonswahlen; Gastro-Brief.

Illustration zum Hauptstadt Brief
(Bild: Marc Brunner, Büro Destruct)

Die Dampfzentrale ist für mich ein historischer Ort, weil sie den Aufbruch vom grauen zum farbigen Bern markiert. Ich verbinde mit ihr, dass Auseinandersetzungen unbernisch vehement und doch konstruktiv geführt werden können.

In der Nacht vom 2. Mai 1987 besetzten 1000 Menschen das leerstehende Kraftwerk und feierten illegal ein Kulturfest, mit dessen Konfetti- und Euphorie-Regen die verspätet anrückende Polizei überfordert war. Züri-West-Sänger Kuno Lauener beschrieb das Ereignis im Song Hansdampf präzis wie ein Historiker: «Dr Himu brönnt überem Gaswärkareal», unvorstellbar, «wüus das z’Bärn gar nid git».

So wurde die Dampfere zum legalen Kulturort.

Jetzt gerade brennt der Himmel wieder – über der inzwischen längst von der Stadt subventionierten, etablierten Dampfzentrale. Vor zwei Wochen hat Kultur Stadt Bern mitgeteilt, dass sie den Leistungsvertrag mit der Dampfzentrale für die Periode ab 2028 neu ausschreibt. Das bedeutet: Es entsteht ein Wettbewerb. Der Vertrag mit der bisherigen Betreiberin, dem Verein Dampfzentrale, wird nicht automatisch weitergeführt. Die Stadt wünscht sich ein dichteres Programm mit mehr Tanz.

Dagegen wehren sich die bisherige Geschäftsleitung und ihr Team mit unbernischer Vehemenz. Für heute Samstag (14 bis 17 Uhr) rufen sie zu einem für alle zugänglichen, öffentlichen Austausch live in der Dampfzentrale auf. «Ein Lieblingsort in Bern steht auf dem Spiel», steht in der Einladung, so, als stünde die Dampfzentrale vor der Schliessung. Auch Promis wie SP-Nationalrätin Tamara Funiciello suggerieren auf Social-Media-Posts, es gehe um die Dampfere per se. Und nicht darum, wie sie bespielt wird.

Was auffällt: Der Vorstand des Vereins Dampfzentrale kommt in der Einladung zum Austausch nicht vor. Dabei ist ihr die Geschäftsleitung unterstellt. Sind sich GL und Vorstand über das Vorgehen nicht einig? Auf Anfrage der «Hauptstadt» schlägt Präsidentin Brigitte Hilty Haller diplomatische Töne an, stellt aber klar: «Die Neuausschreibung stellt das Haus Dampfzentrale als Berner Kulturort nicht in Frage. Es ist uns extrem wichtig, das zu betonen.»

Rein terminlich fordere die Neuausschreibung der Stadt die Dampfzentrale schon heraus. Noch ist sie nicht veröffentlicht, aber bereits Ende September müssen Bewerber*innen für den Leistungsvertrag eine Eingabe machen. Angesichts der bevorstehenden Sommerferien ein enges Zeitfenster, findet Hilty.

Dass die Dampfzentrale mit den Berner Kulturschaffenden und der Öffentlichkeit in einen offenen und konstruktiven Dialog treten muss, findet laut Hilty auch der Vorstand. Aber er will nichts überstürzen. Die entscheidende Frage, ob überhaupt und mit welchem Konzept der Verein Dampfzentrale sich um den Leistungsvertrag ab 2028 bewirbt, will er vertieft analysieren und an einem «sorgfältig aufgegleisten Workshop» nach der Mitgliederversammlung im August klären, hält Hilty fest. Der GL hingegen sei es wichtig gewesen, noch vor den Sommerferien einen Anlass zu machen.

Man könnte sagen: Die GL geht aufs Ganze, der Vorstand geht es taktisch an. In der Dampfzentrale wird es auch fast 40 Jahre nach der ersten Besetzung weitergehen. Offen ist aber wie. Das kann auch eine Chance sein. Wobei etwas Hansdampf-Geist von damals auch heute helfen kann.

Deko vor der Heiliggeistkirche zur WEURO25 fotografiert am Dienstag, 24. Juni 2025 in Bern. (VOLLTOLL / Simon Boschi)
Bilderserie zur Fussball-Europameisterschaft der Frauen (2/16): Deko vor der Heiliggeistkirche. (Bild: Simon Boschi)

Das gebe ich dir ins heisse Wochenende mit:

  • Tinu Weber: Er sei in Bern «schon ein wenig ein bunter Hund», sagt der Berner Arzt Martin Weber (77). In seinem Leben hat er wenig ausgelassen: Er sah das Drogenelend im Kocherpark, leistete 70 Einsätze in Katastrophengebieten der Welt, engagiert sich bis heute in Nepal. Für die «Hauptstadt» hat die Journalistin Rebekka Haefeli mit ihm ein kleines Hör-Juwel geschaffen: In einer dreiteiligen Podcast-Serie, die du direkt in unserem Text-Porträt über ihn oder auf den gängigen Podcastkanälen findest, tauchst du tief in Tinus Welt ein.
  • Palästina: Die Universität Bern steckt in der nächsten Palästina-Polemik. Gestern teilte sie mit, dass sie einer ausgebuchten Veranstaltung von Amnesty International vom kommenden Montag nachträglich wieder die Bewilligung für die Raumnutzung entzogen habe. Das angekündigte Podium sei zu wenig ausgewogen. Amnesty International hatte die italienische Juristin Francesca Albanese eingeladen, Uno-Sonderberichterstatterin für die von Israel besetzten Gebiete. Laut der Nachrichtenagentur sda hatte Albanese in einem Bericht Israel Völkermord vorgeworfen.
  • Rundes Leder: Nächste Woche beginnt die Fussball-EM der Frauen. Die «Hauptstadt» bietet dir ein Extra: Autor*innen des heiteren Berner Fussballblogs «Zum Runden Leder» schreiben für uns vor allen vier Spielen, die in Bern stattfinden, sowie vor den Halbfinals und dem Final einen speziellen EM-Brief, den du in dein Postfach bekommst. Kurz, knapp und witzig erfährst du alles, was du wissen musst.
  • Stadtrat: Das Berner Stadtparlament mutete sich kurz vor der Sommerpause eine Marathonsitzung zu – und gleiste unter anderem die Schulzahnpflege neu auf. Diese wird an die Zahnmedizinischen Kliniken der Uni Bern ausgelagert. Am heftigsten debattiert wurde einmal mehr über Antisemitismus, wie meine Kollegin Jana Schmid im Stadtrat-Brief schreibt.
  • Tempo 30: Bundesrat Albert Rösti (SVP) will Gas geben – gegen Tempo 30. Wie die Tamedia-Zeitungen (Abo) schreiben, bereitet der Verkehrsminister eine Verordnung vor, gemäss der Tempo 30 «auf verkehrsorientierten Strassen» nur noch im Ausnahmefall möglich sei. Normal gelte Tempo 50. Damit droht ein starker Eingriff in die Tempolimit-Autonomie von Städten und Gemeinden.
  • Bahnverkehr: Obacht, wenn du in die Westschweiz reisen willst. Ab der vergangenen Nacht bis zum 25. August ist die Zugstrecke zwischen Bern und Freiburg wegen Sanierungsarbeiten gesperrt. Die SBB bietet Ersatzbusse sowie Umfahrungsrouten etwa über Neuenburg an. Stark erschwert Richtung Freiburg ist die Velomitnahme. Die besten Verbindungen findest du auf dem Online-Fahrplan der SBB.
  • Kantonswahlen 2026: Ende August bestimmen die Grünen, wer bei den Regierungsratswahlen im März 2026 den Sitz der abtretenden Christine Häsler verteidigen soll. Der Vorstand empfiehlt der Delegiertenversammlung eine Auswahl aus drei Personen, wie er mitteilt: Aline Trede (Stadt Bern), Lena Frank (Biel) und Beat Kohler (Meiringen). Bereits heute Samstag entscheidet in Zollikofen die SP, ob sie Reto Müller (Langenthal) oder Adrian Wüthrich (Huttwil) als Nachfolger von Christoph Ammann ins Regierungsrats-Rennen schickt.

PS: In den nächsten Tagen schaffen wir es! Noch 300 Franken, dann haben wir unser Crowdfunding-Ziel von 15’000 Franken für unseren neuen Gastro-Brief erreicht. Gibst du den letzten Mupf? Du kannst dich freuen auf baldige zweiwöchentliche Updates aus Berns Gastro-Szene, geschrieben von der erfahrenen und top-informierten Journalistin Claudia Salzmann. 

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Diskussion

Unsere Etikette
Toni Menninger
02. Juli 2025 um 11:05

Wenn die Menschenrechtsorganisation Amnesty International an der Uni Bern nicht mehr willkommen ist, stellt sich die Frage, ob die Unileitung noch auf dem Boden des Rechts steht.

Mit der Ausladung stellt sich die Unileitung auf die Seite der autoritären Regime von Trump und Netanyahu, anstatt für die unveräusserlichen Menschenrechte und das Primat des Völkerrechts einzustehen. Das ist beschämend und feige.

Fragen stellen lassen müssen sich auch jene medialen Schreihälse, die missliebige Kritik gerne als „Cancel Culture“ zu diskreditieren versuchen, aber Beifall klatschen, wenn Kritik an Israel unterdrückt, ausgesperrt und mundtot gemacht wird.