Karin Ingold
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Karin Ingold: «Die Stadt Bern ist anders vom Klimawandel betroffen als eine Bergregion oder das Rhonetal und braucht entsprechend andere Massnahmen.» (Bild: Danielle Liniger)

«Die Menschen müssen die Lösungen cool finden»

Um die Auswirkungen des Klimawandels bewältigen zu können, sollten Städte wie Bern sich stärker vernetzen, sagt die Berner Politik-Professorin Karin Ingold. Und auch das Wissen der Einwohner*innen abholen.

Sie haben im Mai an einer Tagung des Bundesamts für Umwelt über die Anpassung an den Klimawandel referiert, auch Bundesrat Albert Rösti sass im Publikum. Was haben Sie den Entscheidungsträger*innen erzählt?

Zentral ist die Einsicht, dass die Anpassung an den Klimawandel je nach Region anders aussieht. Die Stadt Bern ist anders vom Klimawandel betroffen als eine Bergregion oder das Rhonetal und braucht entsprechend andere Massnahmen. In Bern stehen Hitzetage und Extremwetter wie etwa Hochwasser im Vordergrund.

Das scheint naheliegend.

Ja, gleichzeitig ist aber auch wichtig zu verstehen, dass die verschiedenen Städte und Regionen trotz ihrer Unterschiede voneinander lernen können. Bis jetzt sucht jede*r für sich nach Lösungen. Das muss nicht sein: Zum Beispiel könnten alle Gebiete, die von der gleichen Gefahr – etwa Überschwemmungen – ähnlich bedroht sind, in thematischen Arbeitsgruppen Erfahrungen und beste Praktiken austauschen. So würden Massnahmen, die sich an einem Ort bewährt haben, vielleicht auch an anderen Orten Vorteile bringen.

Karin Ingold

Karin Ingold, geboren 1978, ist Professorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern und Vize-Präsidentin des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung. Sie führt die Gruppe «Policy Analysis and Environmental Governance» an der Universität Bern und am Wasserforschungsinstitut Eawag. Sie forscht unter anderem zu Energie-, Klima- und Wasserpolitik sowie zu Landnutzung und Biodiversität.

Findet denn dieser Austausch noch nicht statt?

Nicht im nötigen Ausmass. Es fehlt ein Gremium, das diesen Austausch festschreibt und organisiert. Da wäre wohl der Bundesrat in der Pflicht, ein solches Gremium einzusetzen. Idealerweise wären in den Arbeitsgruppen Vertreter*innen von Bund, Kantonen und Gemeinden vertreten, so dass die drei Staatsebenen – neben dem inhaltlichen Austausch – die Zuständigkeiten klären und ihre Massnahmen aufeinander abstimmen können.

Wie würde die Bevölkerung der Stadt Bern von diesem Austausch profitieren?

Mir fällt eine Studie ein, die in der Stadt Genf durchgeführt wurde. Es wurde untersucht, wo in der Stadt sich die Hitze staut und wie Bäume die Luft kühlen können. Die Resultate lassen sich auf die Stadt Bern übertragen. Durch einen institutionalisierten Austausch könnten mehr Städte – und auch ihre Bewohner*innen – von solchem Wissen profitieren. Die Stadt Bern andererseits ist Vorreiterin in anderen Themen, wie zum Beispiel dem Hochwasserschutz, oder der nachhaltigen Ernährung in städtischen Kantinen. Auch diese Erfahrungen könnten natürlich weitergegeben werden, und Bern könnte als Vorbild dienen.

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«Bis jetzt sucht jede*r für sich nach Lösungen. Das muss nicht sein», sagt Karin Ingold. (Bild: Danielle Liniger)

 

An Wissen scheint es mir nicht zu mangeln im Klimadiskurs, viel eher an tatsächlichen Handlungen. Die Stadt Bern etwa hat sich für 2045 das Netto-Null-Ziel gesetzt, es aber bisher nicht geschafft, die Emissionen signifikant zu reduzieren. Wie lässt sich die Lücke zwischen Zielen und getroffenen Massnahmen schliessen?

Dafür habe ich kein Rezept. Wichtig ist, zwischen Mitigation, also der Reduktion der Emissionen, und Adaption, den Anpassungsmassnahmen, zu unterscheiden. Die Mitigation wäre einfach: Man muss «nur» fossile Energien durch erneuerbare ersetzen. Die Adaption ist viel komplexer. Da verstehe ich eher, dass die Handlungsträger*innen erschlagen sind.

 

Mit Reto Nause hat die Stadt Bern einen bürgerlichen Gemeinderat, der für die Umwelt zuständig ist. Welche Auswirkung hat seine politische Färbung auf die Klimapolitik der Stadt?

Ich sehe das als Chance. Adressat*innen der Klimapolitik sind oft die Industrie und die Landwirtschaft. Politiker*innen aus dem bürgerlichen Lager haben eher Kontakte zu oder vertreten sogar diese Branchen. Diese Nähe stärkt die Überzeugungskraft und sorgt dafür, dass auch kritisch eingestellte Adressat*innen Massnahmen eher akzeptieren.

Amtsvorsteher*innen haben es in der Hand, wie zügig sie Regelungsprozesse vorantreiben und wie viele Ressourcen sie freigeben wollen.

Bei manchen Inhalten mag es der Fall sein, dass sie von bürgerlichen Politiker*innen anders ausgestaltet werden. Aber Mitglieder von Regierungen bewegen sich oft weg vom Parteidenken hin zu einem Problemdenken. Sie lösen Probleme viel eher unabhängig von der eigenen Ideologie.

 

Sie schlagen vor, vermehrt Bürger*innenräte einzusetzen.

Die Stimmbürger*innen können an der Urne nur darüber entscheiden, was ihnen die Politik vorlegt. Bei Bürger*innenräten wäre das anders: Die Menschen könnten Vorschläge machen, wie sich die Stadt Bern an die Auswirkungen des Klimawandels anpassen soll. Oft wissen die Bürger*innen recht gut, wie sie im Kleinen Probleme lösen können. Ich denke da an Projekte gegen Foodwaste in Berner Quartieren. Die Stadt dürfte von diesem Wissen profitieren. Und auch in Bereichen, in denen viele nicht wollen, dass der Staat sich einmischt, etwa der Ernährung oder der Mobilität, dürften partizipativ erarbeitete Vorschläge zu einer grösseren Akzeptanz führen.

 

Wie funktioniert so ein Bürger*innenrat?

Die Teilnehmer*innen sollten ausgelost werden und unter anderem bezüglich Alter und Geschlecht repräsentativ für die Stadtbevölkerung sein. Sie würden diskutieren und der Stadt Massnahmen vorschlagen. Jedoch besteht die Gefahr, dass sie ein hübsches Papier mit Empfehlungen vorlegen, aber die Stadt am Schluss doch nichts macht. Bei bisherigen Bürger*innenräten in anderen Schweizer Städten, die wissenschaftlich begleitet wurden, war leider genau das oft der Fall.

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Karin Ingold blickt positiv in die Zukunft: «Ich bin Optimistin und vertraue darauf, dass wir alle unser Verhalten ändern und nachhaltiger leben werden.» (Bild: Danielle Liniger)

Wie lässt sich das verhindern?

Es wäre wichtig, dass diese Bürger*innenräte von der Regierung institutionalisiert und eingeführt werden. Zudem sollten die Empfehlungen des Rates zur Agenda der städtischen Politik passen und sich in ein aktuelles Programm einfügen.

 

Sie forschen auch dazu, wie die Kommunikation von Lösungen zu klimafreundlicherem Verhalten führen kann. Was haben Sie herausgefunden?

Die Menschen müssen die Lösungen cool finden. Wenn es ein Trend wird, auf dem Dach Solarpanels zu installieren, ein E-Auto zu besitzen oder Kaffee mit Hafer- statt Kuhmilch zu bestellen, etabliert sich eine neue Normalität. Ich glaube, dass die Kommunikation von Lösungen einen grösseren Hebel bietet als die direkte Betroffenheit von Problemen. Es lässt sich eine grössere Masse von Menschen erreichen. Denn oft sind bei Ereignissen wie Hochwasser zu wenig Menschen direkt betroffen, um eine grossflächige Veränderung herbeizuführen. Die neuen Werte aber verbreiten sich durch soziale Kontakte.

 

Mit welchen Gefühlen blicken Sie in die Klimazukunft?

Ich bin Optimistin und vertraue darauf, dass wir alle unser Verhalten ändern und nachhaltiger leben werden. Heute ist es akzeptiert, an Weihnachten oder an Hochzeitsfesten kein Fleisch zu servieren. Vor 20 Jahren wäre das unvorstellbar gewesen. Solche Beispiele machen mir Hoffnung.

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Diskussion

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Ruedi Muggli
08. August 2023 um 06:05

Bei BürgerInnenräten bin ich skeptisch - eigentlich haben wir ja ein Parlament, das wir lieber nicht noch weiter abwerten sollten. Sonst aber sehr einverstanden: mit Lösungsmöglichkeiten lassen sich die Menschen eher bewegen als mit den täglichen Katastrophenmeldungen, die bloss das Gefühl vermitteln, es nütze ja doch alles nichts.