Wahlen 2024

«Wir haben eine Wohngemeinschaft gegründet»

Die grosse Wahlliste mit der SVP sei eine Zweckgemeinschaft, mit der die GLP einen Sitz in der Stadtregierung erreichen könne, sagt deren Präsident Michael Hoekstra. Er sieht darin keinen Wortbruch.

Michael Hoekstra
Liste - Gemeinsam für Bern
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«Es gibt keinen Plan B»: Für Michael Hoekstra, Präsident der Stadtberner Grünliberalen, ist die Gemeinderatsliste mit allen Mitte-Rechts-Parteien alternativlos. (Bild: Danielle Liniger)

Die GLP will auf einer grossen Mitte-Rechts-Liste für die Berner Stadtregierung kandidieren. Sie legen sich also mit der SVP ins Bett, einer Partei, die Sie oft kritisieren, auch wegen deren fehlendem Anstand. Warum wollen Sie das machen?

Michael Hoekstra: Wir legen uns mit niemandem ins Bett. Wir haben eher eine Wohngemeinschaft gegründet, in der jede Partei ihr eigenes Zimmer hat. Alle Parteien auf der Liste werden weiterhin ihre eigenen Positionen vertreten. Es ist weder ein Rechtsrutsch der GLP noch ein Linksrutsch der SVP. Aber die Liste drückt im Sinne der Konkordanz den Anspruch aus, dass die wichtigsten Parteien in der Regierung vertreten sind.

Ist die GLP machtgeil, wie Ihnen das von der Linken vorgeworfen wird?

Nein. Wir als drittstärkste Partei wollen mitregieren. Darum machen wir diese Liste. Das hat nichts mit machtgeil zu tun. 

Warum ist diese Liste der richtige Weg, einen Sitz in der Regierung zu erreichen?

Wir haben es in den letzten zwei Wahlen 2016 und 2020 anders versucht. Vor vier Jahren hat unsere Mitte-Liste mit Reto Nause einen Sitz geholt. Die Liste mit FDP und SVP jedoch keinen. Es gelang Mitte-Rechts damals nicht, zwei Sitze zu machen. Mit der Folge, dass die Meinungsvielfalt in dieser Stadt nicht gemäss den Wähleranteilen angemessen in der Regierung repräsentiert ist. Die Zweckgemeinschaft «Gemeinsam für Bern» ist die ultima ratio, die das nun ändern soll.

Letzten Frühling hat die GLP-Führung eine gemeinsame Liste mit der SVP noch ausgeschlossen. Was hat sich geändert?

Viele Gespräche, viele Berechnungen, viele Diskussionen. Wir haben verschiedene Szenarien geprüft und sind jetzt überzeugt, dass die Liste «Gemeinsam für Bern» die einzige Lösung ist, zu zwei Sitzen zu kommen. Und wenn drei bisherige Gemeinderät*innen nicht mehr antreten, müssen wir die Chance nutzen. Wir wollen, dass künftig auch die GLP-Politik im Gemeinderat vertreten ist.

Michael Hoekstra
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«Die Chancen auf einen Sitz sind arithmetisch gut», sagt Hoekstra. «Wir müssen aber unsere Wähler*innen davon überzeugen, dass dies der richtige Weg ist.» (Bild: Danielle Liniger)

Die GLP wird aber wortbrüchig. Wie erklären Sie das Ihren Wähler*innen?

Ich habe Mühe mit dem Wort wortbrüchig. Es muss möglich sein, dass man in einem Prozess nach Prüfung aller Fakten seine Meinung anpasst. Im Sommer ging man noch von anderen Optionen aus, die nun nicht mehr zur Verfügung stehen. Jetzt ist die gemeinsame Liste der richtige Weg.

Aber es ist doch so, dass die Partei «Die Mitte» Sie gehörig unter Druck gesetzt hat, weil sie nicht mehr wie bisher auf eine Mitte-Liste setzen wollte.

Gemeinsam mit der Mitte hätten wir wohl einen Sitz gehalten. Ein zweiter Sitz ausserhalb von Rot-Grün-Mitte wäre aber in weiter Ferne geblieben. Und es geht jetzt darum, das finanzpolitische Gewissen im Gemeinderat zu stärken und die Meinungsvielfalt in der Regierung besser abzubilden. 

Wie gross ist die Chance, dass die GLP einen Sitz erreicht?

Arithmetisch gut. Wir müssen aber unsere Wähler*innen davon überzeugen, dass dies der richtige Weg ist. Und die Konkurrenz auf der Liste ist nicht zu unterschätzen. Wir müssen im Wahlkampf Gas geben.

Auf nationaler Ebene sind bei Ihrer Partei Listenverbindungen mit der SVP verpönt. Warum weichen Sie in der Stadt Bern von diesem Kurs ab?

Mangels Alternativen. Wenn Rot-Grün-Mitte mit 60 Prozent Wähleranteil 80 Prozent der Sitze holt, gibt es keine andere Option, als dass alle anderen Parteien gemeinsam ein Gegengewicht aufbauen. Das Ziel ist eine angemessene Vertretung aller Meinungen in der Regierung. Die Liste ist keine Liebesbeziehung, sondern eine Zweckgemeinschaft. Das Wahlsystem zwingt uns dazu.

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«Die GLP geht davon aus, dass man in der Regierung mit einer 3-zu-2-Verteilung wieder verstärkt über Finanzen diskutieren wird»: Die Finanzpolitik ist für die Mitte-Rechts-Liste der wichtigste inhaltliche Nenner. (Bild: Danielle Liniger)

Was wird in Bern besser, wenn die Liste «Gemeinsam für Bern» Rot-Grün-Mitte (RGM) einen Regierungssitz wegschnappt und zwei Sitze erreicht?

Die GLP geht davon aus, dass man in der Regierung mit einer 3-zu-2-Verteilung wieder verstärkt über Finanzen diskutieren wird. Man muss dringend über Prioritäten debattieren: Wo ist ein Ausbau möglich, wo kann man sparen? Mit zwei Mitte-Rechts-Vertreter*innen sollte die Regierung finanzpolitisch nachhaltiger unterwegs sein. Die Stadt Bern sollte Budgets machen, für deren Folgen nicht künftige Generationen zahlen müssen.

Ist die Finanzpolitik inhaltlich der einzige gemeinsame Nenner von «Gemeinsam für Bern»?

Das ist der wichtigste inhaltliche Nenner. Noch wichtiger ist aber: Alle Parteien auf der Liste wollen die Konkordanz wiederherstellen.

In der für die GLP wichtige Klimapolitik sind Grüne und SP Ihre Verbündeten. Ihnen fallen Sie nun in den Rücken.  

Wir fallen niemanden in den Rücken. Wir werden in der Klimapolitik weiter mit SP und Grünen zusammenarbeiten. Wir ändern unsere Positionen nicht. Im Gegenteil: Wir stärken unsere Positionen, wenn wir uns in der Exekutive beteiligen können.

Es ist wahrscheinlich, dass die GLP den Sitz einer der beiden linken grünen Parteien – GB oder GFL – wegschnappt.

Wir sind ja auch eine grüne Partei. Die grünen Anliegen würden nicht geschwächt. Sie würden einfach durch eine andere Partei mit nachhaltigen Zielen verfolgt. 

Zur Person

Der Wirtschaftsingenieur Michael Hoekstra sitzt seit 2019 für die GLP im Berner Stadtparlament, das er im vergangenen Jahr präsidierte. Seit November ist der 40-jährige Präsident der Stadtberner Grünliberalen. Hoekstra engagiert sich zudem im Verein Sunraising, der auf Berner Dächern Solaranlagen baut.

War ein Beitritt zum Bündnis RGM eine Option? 

Das funktioniert kalkulatorisch nicht, denn fünf Sitze hätte man so nicht erreicht. Damit müsste für einen GLP-Sitz bei RGM jemand über die Klippe springen. Es ist wohl ausgeschlossen, dass RGM das befürwortet hätte.

Warum ist es ihnen so wichtig, in der Regierung einen Sitz mehr zu holen? Die Mehrheit bleibt wohl auch so bei RGM.

Als Gemeinderät*in steht man einer Direktion vor und hat so Einfluss direkt zu wirken. Und in Regierungssitzungen sollten mit einem 3:2-Verhältnis stärkere Diskussionen stattfinden. Wir kämpfen in der Finanzpolitik seit Jahren für ein anständiges Budget und eine nachhaltige langfristige Strategie. Die Finanzpolitik verfehlt derzeit jegliche Ziele, die sich der Gemeinderat selbst gesetzt hat. Das wollen wir ändern.

Was ist Ihr Zeugnis der aktuellen Regierung? 

Derzeit findet wenig Diskurs statt. Es werden zu viele Geschäfte einfach durchgewunken, weil alle gleicher Meinung sind. Es wäre gut, wenn neu zwei Gemeinderät*innen die Mehrheit hinterfragen und auf Kompromisse hinarbeiten. Das wird oft zu besseren Lösungen führen.

Das hat aber auch mit der Schwäche der Opposition zu tun, die mit Referenden nicht erfolgreich ist.

Die Resultate der Budgetabstimmungen zeigen: Die Unzufriedenheit steigt. Die Zustimmung ist nur noch leicht über 50 Prozent. Und mit zunehmender Teuerung wird das Unverständnis über die Finanzpolitik von RGM grösser.

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«Wir werden uns politisch nicht ändern und mit Rot-Grün in Themen wie dem Klimaschutz unverändert zusammenarbeiten», beschwichtigt Michael Hoekstra mögliche Kritiker*innen. (Bild: Danielle Liniger)

Nochmals zur SVP: Sie spannen für die Regierungsbeteiligung mit Autofreunden und der Atomlobby zusammen. Wie vereinbaren Sie das mit Ihrer politischen Haltung?

Wir haben unterschiedliche Positionen. Das wollen wir nicht wegdiskutieren. Wir werden uns politisch aber nicht ändern und mit Rot-Grün in Themen wie dem Klimaschutz unverändert zusammenarbeiten. 

Die SVP will auch nichts von einem menschengemachten Klimawandel wissen. Und sie verhöhnt oft die Institutionen. Ist das für Sie kein Problem?

Diese Positionen sind problematisch. Sie stehen aber bei diesen Wahlen nicht im Vordergrund. Es geht darum, dass wir als GLP den Einzug in den Gemeinderat schaffen und so unsere Positionen in die Exekutive einbringen.

Die gemeinsame Liste mit der SVP wird wohl eine Signalwirkung über Bern hinaus haben. Ist Ihr Vorgehen mit der nationalen Partei abgesprochen? 

Ich habe mit wichtigen Positionen Rücksprache gehalten. Unsere Strategie wird befürwortet oder zur Kenntnis genommen. Wir sind eine Mitte-Partei. Wir haben auf allen Staatsebenen eine Zusammenarbeit mit rechts und links. Wir wollen auch keine Türen kategorisch schliessen.

Hat Ihnen die SVP in den Gesprächen Zugeständnisse gemacht?

Wir haben in den Gesprächen viel definiert, mit dem wir umgehen können. So die gemeinsamen Ziele in der Finanzpolitik. Zudem wird die SVP mit Janosch Weyermann einen Kandidaten stellen, der inhaltlich und im Auftreten gemässigt ist. Mit ihm können wir gut auf einer gemeinsamen Liste stehen.

Die SVP könnte aber auch noch jemand anderes nominieren.

Ich gehe davon aus, dass die SVP einen Kandidaten auswählt, der für alle Pateien auf der Liste wählbar ist. Für ein Ja an unserer Mitgliederversammlung wäre ein gemässigter Kandidat seitens SVP matchentscheidend.

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Zu möglichen GLP-Kandidat*innen sagt Hoekstra: «Ich gehe aktuell davon aus, dass Melanie Mettler und Marianne Schild ihr Interesse an einer Kandidatur kundtun werden.» (Bild: Danielle Liniger)

Wer wird für die GLP kandidieren? Im Gespräch waren bisher die Nationalrätin*innen Melanie Mettler, Kathrin Bertschy und Grossrätin Marianne Schild. 

Wir sind noch im Gespräch mit möglichen Kandidat*innen. Ich gehe aber aktuell davon aus, dass Melanie Mettler und Marianne Schild ihr Interesse an einer Kandidatur kundtun werden.

Warum wird die GLP nicht für das Stadtpräsidium kandidieren? Sie wären ja die stärkste Partei der neuen grossen Liste.

Wir haben vereinbart, dass in der aktuellen Konstellation keine der Listenpartnerinnen eine Präsidiumskandidatur stellt. 

Was ist der Grund für die Zurückhaltung?

Wir haben das so vereinbart.

Sie greifen Alec von Graffenried nicht an. Sind die Parteien also mit seiner Arbeit zufrieden?

Dieser Entscheid, nicht anzutreten, hat mit seiner Arbeit nichts zu tun.

Was passiert, wenn Alec von Graffenried die Wahl in den Gemeinderat nicht schafft? Treten Sie dann für das Stadtpräsidium an?

Das kann ich derzeit nicht sagen.

Was machen Sie, wenn Ihre Parteibasis Nein sagt zur grossen Liste? 

Bis heute gibt es keinen Plan B, und ich gehe davon aus, dass wir keinen solchen brauchen. Wenn meine Partei dennoch Nein sagt, muss ich andere Lösungen suchen. Diese werden nicht dazu beitragen, dass die GLP in die Exekutive der Stadt einzieht. Für eine Regierungsbeteiligung der GLP ist diese grosse Liste alternativlos. Im Alleingang machen wir keinen Sitz.

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Diskussion

Unsere Etikette
Toni Menninger
12. März 2024 um 14:53

Es ist bezeichnend, dass die GLP nicht einen einzigen konkreten und konstruktiven Vorschlag zur künftigen Stadtpolitik machen kann. Das einzige, was Hoekstra einfällt: "verstärkt über Finanzen diskutieren". Was für ein Armutszeugnis... Und dafür, dass "verstärkt über Finanzen diskutiert wird", geht sie als "grünliberale" Partei ein Bündnis mit illiberalen Klimawandelleugnern ein. Ich denke die Wähler:innen sind in der Lage, diesen opportunismus zu durchschauen.

Jan Holler
02. Februar 2024 um 08:33

Vielleicht hätte man dem Herrn gleich zu Anfang des Interviews erst erklären sollen, dass Regierungsratswahlen Personenwahlen und nicht Parteiwahlen sind und sich dadurch von Parlamentswahlen unterscheiden. Darum ist auch die Argumentation falsch, die Stimmenverhältnisse vom Parlament auf die Regierung zu übertragen.

Und es ist mehr als offensichtlich, dass man mit der Listenverbindung viele Wähler:innen vor den Kopf stösst, die niemals ihre Stimme dieser unanständigen und rechtsextremen SVP geben, nun aber, wenn sie GLP wählen, immer auch die SVP mit wählen.

Es heisst, die Geschichte wiederhole sich nicht. Doch sie ähnelt sich: bei den letzten Wahlen hat sich so die FDP Stadt Bern mit Bernhard Eicher selber marginalisiert. Wollte Stapi werden - am Ende hat er die Politik verlassen. Kann gut sein, dass der GLP mit Hoekstra das selbe Schicksal blüht. Ich hoffe es jedenfalls, mit Rechtsextremen legt man sich nicht ins Bett.

Peter Birrer
11. Januar 2024 um 18:12

zHv. Herr Kaufmann: Was ist ein "geschlechtlicher Umgang mit SVP-Leuten"? Und welche "unerfreulichen Zwangsgedanken"? Je ne comprends pas

Till Burckhardt
09. Januar 2024 um 23:33

Die wahlarithmetische Begründung ist nicht fundiert. Wenn man die Wahlergebnisse der letzten Nationalratswahlen in der Stadt Bern als Grundlage nimmt, kommen GLP und EVP auf 16,0%, anders gesagt 0,67% unter dem natürlichen Quorum von 16,67%. In der Verteilung der Restmandate würde man den Sitz «machen».

Christoph Kaufmann
09. Januar 2024 um 21:45

Warum müssen Schurnis dauernd an geschlechtlichen Umgang mit SVP-Leuten denken?

Würden diese gewiss unerfreulichen Zwangsgedanken mal therapiert, wäre Platz für die interessanten Fragen. Wie die Stadt zur jetzt fehlenden starken und intelligenten Opposition käme, und ob Majorzwahlen dabei hölfen.