«Uns trieb nicht das grosse Geld, uns trieb die Idee»
Der Berner Journalist Christian Zeier macht mit einem kleinen Team aufsehenerregende Recherchen. Nun sucht er für seine Plattform «Reflekt» Geld über ein Crowdfunding.
Christian Zeier, was ist Ihr Antrieb, eine unabhängige Recherche-Plattform zu betreiben?
Es ist etwas sehr Sinnvolles, ich trage zur Informiertheit der Gesellschaft bei. Gerade in der heutigen Zeit, in der die Leute nicht mehr wissen, woran sie sich halten können und was noch stimmt. Da ist es spannend, Fakten zu schaffen. Und ich merke auch, dass das gut ankommt. Fakten, und nicht noch jemand, der einem die Welt erklärt mit seiner Ideologie.
Was macht «Reflekt» eigentlich genau?
Wir machen unabhängige, investigative, grosse Recherchen, die sich die wenigsten Medien heute noch leisten. Es geht darum, sich Zeit zu nehmen und ein Thema wirklich zu verstehen. So dass wir am Schluss Missstände aufdecken können, von denen die Gesellschaft bis dahin noch nichts wusste.
Wäre das nicht eigentlich die Aufgabe der grossen Redaktionen, die haben doch viel mehr Mittel?
Wir wissen, dass die Redaktionen nicht mehr bereit sind, Recherchen zu finanzieren, in die man mehrere Monate investieren muss. Dort gibt es keinen Markt, der spielt. Darum ist klar: Wir finanzieren einen Teil dieser Recherche, und die Redaktion, die mit uns zusammenarbeitet, finanziert einen weiteren Teil. Alle geben etwas, damit ein Resultat entsteht, das auf der Redaktion einer Tageszeitung vermutlich nicht entstehen könnte.
Die Recherche-Plattform «Reflekt» startete vor drei Jahren. Am Anfang stand die Idee, dass tiefgehend recherchierter Journalismus doch möglich sein müsste. Doch dafür fand sich kein Geld, also entschied sich das Team um Christian Zeier dafür, mit einer Recherche zu beginnen. Es war eine Recherche dazu, wie die Credit Suisse Mozambique in den Ruin trieb.
Die Geschichte wurde preisgekrönt, Stiftungen erklärten sich bereit, «Reflekt» zu unterstützen. Ein Teil der Stiftungsgelder läuft Ende Jahr aus – gleichzeitig ist es das Ziel von «Reflekt», nach sechs Jahren selbsttragend zu sein. Deshalb sucht die Plattform momentan in einem Crowdfunding nach Unterstützer*innen. Das Crowdfunding läuft noch bis am Freitag, es fehlen noch einige wenige regelmässige Unterstützer*innen.
Geben Sie ein Beispiel.
Im Moment arbeiten wir gemeinsam mit SRF an einer Recherche über illegales Glücksspiel. Das hat im weitesten Sinn mit organisierter Kriminalität zu tun. Die Informant*in, die uns darauf gebracht hat, wollte anonym bleiben. Wir konnten die Person nicht einmal treffen, sie sagte, es sei heikel. Sie ist dann auch abgesprungen. Es war von Anfang an klar, dass wir bei jedem Rechercheschritt sehr aufpassen müssen.
Wobei die Lage von Journalist*innen in der Schweiz ja sehr komfortabel ist im Vergleich mit anderen Ländern.
Ja, da haben wir grosses Glück. Es gibt hier praktisch keine physischen Übergriffe. Es reicht meistens, sich rechtlich sauber abzusichern. Aber wir sind da, wir könnten Zielscheibe werden, wir müssen den in unseren Artikeln zitierten Menschen nachher auch noch in die Augen blicken können. Und das ist der Unterschied zu Recherchen, die wir zum Beispiel in Mozambique machen.
Erzählen Sie!
Für unsere Recherche in Mozambique hatten wir vor Ort kein Journalist*innenvisum bekommen. Das ging bis einen Tag vor der Rückkehr in die Schweiz gut. Da fand in der Hauptstadt Maputo ein grosses Fest zum 1. Mai statt. Wir wurden von einer Überwachungskamera gefilmt. Man sah, dass wir mit einem Fixer (Anm. der Redaktion: Eine lokalkundige Person, die Journalist*innen vor Ort bei der Recherche und Organisation der Reise unterstützt) unterwegs waren. Wir reisten dann ab, und am nächsten Tag kamen bei ihm die Sicherheitskräfte. Sie haben seine Wohnung durchsucht, seine elektronische Geräte konfisziert. Er musste eine Zeit lang das Land verlassen, um Gras über die Sache wachsen zu lassen. Er ging später zurück. Aber wir merkten: Wir müssen noch mehr aufpassen…
Sie haben eine Verantwortung.
Ja, aus diesem Grund nennen wir die Leute oft nicht namentlich, die in diesen Ländern mit uns zusammenarbeiten. Das ist zwiespältig, denn wir möchten eigentlich zeigen, dass solche Recherchen nur möglich sind mit den Menschen vor Ort. Aber eine offizielle Nennung ist oft gefährlich für sie. Wir müssen häufig auch Aussagen anonymisieren.
Wann zum Beispiel?
In Äthiopien haben die geflohenen Menschen aus Eritrea grosse Angst vor dem verlängerten Arm der Regierung. Deshalb können wir sie nicht zeigen. Das ist immer ein Aushandeln: Zu was sind die Leute bereit? Und am Schluss ist es ein Kompromiss. Wenn diese Menschen zum Beispiel von Folter erzählen, erzählen sie vom Schlimmsten, das sie in ihrem Leben erlebt haben. Wir müssen sie schützen.
Die Menschen geben Ihr Privatestes preis und Sie machen die grosse Geschichte daraus. Missbrauchen Sie so nicht ihr Vertrauen?
Du darfst als Schweizer auch nicht einfach kommen und schnell, schnell, deine Geschichte wollen. Sie müssen merken, dass du dich interessierst, dass du sie schützst, dass du ihnen Raum lässt und keinen Druck machst. Und dass du dich wirklich für ihre Geschichte interessierst.
Braucht das mehr Sensibilität als bei Recherchen hierzulande?
In der Schweiz kommt es darauf an, was die Person erlebt hat. Ich denke, das Problem ist eher, dass die meisten Leute nicht sensibel sind im Ausland, weil sie wissen, ich gehe wieder, ich schreibe einfach, was ich will, und die werden es gar nie lesen.
Machen Sie nun vermehrt Recherchen aus der Schweiz und weniger aus Afrika?
Wir schränken uns thematisch nicht ein. Wir wollen immer noch internationale Geschichten mit Relevanz für die Schweiz erzählen. Das ist uns wichtig und eine klare Nische. Sobald es über die Grenze geht, schaut man oft nicht mehr genau hin. Aber wir bekommen immer mehr Hinweise aus der Schweiz.
Was heisst das?
Mittlerweile bekommen wir Mails mit Ideen zugeschickt, so im Schnitt zwei Sachen pro Woche.
Sie machen aber nur etwa vier Recherchen im Jahr.
Ja, diese Triage zu machen ist sehr aufwändig. Wobei sich viele der Ideen ziemlich schnell aussortieren lassen. Aber auf eine Geschichte, die wir publizieren, kommen vier oder fünf, die wir nicht machen und für die wir trotzdem manchmal schon eine Woche oder mehr recherchiert haben.
Wie gehen Sie da vor?
Die Basis ist lesen, lesen, lesen. Jede Recherche fängt damit an. Man muss herausfinden, ist das überhaupt ein blinder Fleck? Können wir überhaupt etwas Neues dazu beitragen? Und dafür muss man viel lesen und verstehen.
Ist das eine Lücke im Journalismus?
Oft braucht es Zeit, um zu verstehen: Wo ist das Problem? Wo ist der Missstand? Das ist heute schwierig in tagesaktuellen Redaktionen. Wir hingegen lesen uns immer wieder in ein neues Thema ein und erarbeiten uns Dossierkenntnisse. Früher gab es diese Kenntnisse auf Redaktionen halt noch eher.
Würden Sie Ihre Recherche-Plattform als visionär bezeichnen?
Es ist eine Möglichkeit, wie Journalismus in Zukunft sein kann. Bei dieser Möglichkeit tragen die Leute den Journalismus mit, sie verstehen direkt, warum er wichtig ist und sehen den Mehrwert für die Gesellschaft. Neben der Sensibilisierung der Leute braucht es aber auch neue Finanzierungsmodelle, vielleicht eine Finanzierung eher wie in der Kultur.
Ein Unternehmensberater hätte Ihnen vor drei Jahren wohl strengstens von diesem Vorhaben abgeraten.
Vielleicht. Aber man muss Sachen ausprobieren. Uns trieb nicht das grosse Geld, uns trieb die Idee. Wir sassen zusammen und sagten: Es muss doch die Möglichkeit geben, so etwas zu machen und zu finanzieren: Qualitätsjournalismus. Natürlich ist es ein schwieriges Geschäftsmodell, aber es hilft auch, wenn man daran glaubt, dass es sinnvoll und machbar ist.