Tapfer gegen Tamedia
Der Journalist Sacha Jacqueroud hat den Verlag gekauft, der die Gratispublikationen Könizer Zeitung/Der Sensetaler, Bümpliz Wochen und Gantrisch Zeitung herausgibt. Er will in Bern hinter Bund und BZ zur Nummer drei werden und Tamedia die Stirn bieten.
Er sei gerade etwas overdressed, sagt Sacha Jacqueroud und bittet in sein kleines, karges Chefbüro. Obwohl er sich gerne gut anziehe, renne er normalerweise nicht mit Krawatte herum. Doch jetzt kommt Jacqueroud direkt von einem Interview mit dem Tessiner Architekten Mario Botta, der den Neubau der Sternwarte Uecht in Niedermuhlern entworfen hat. Der Bau des «Space Eye», das im Herbst 2023 eröffnet wird, werde in der Könizer Zeitung/Der Sensetaler eng begleitet, sagt Jacqueroud. Deshalb habe der Stararchitekt «uns als Provinzblatt exklusiv empfangen».
Der gewagte Griff nach den Sternen. Bottas Bau symbolisiert ihn. Jacqueroud wagt ihn.
In aller Stille hat Journalist Jacqueroud einen Coup gelandet. Er hat den Verlag bm media gekauft, der im Businesspark neben dem begrünten Garden-Tower-Hochhaus in Wabern einquartiert ist. «Ich brauchte drei Monate Bedenkzeit, bis mein Entscheid gereift war, das Risiko einzugehen», sagt er. Danach habe er «mit einer Regionalbank die Finanzen gestemmt», um dem bisherigen Verleger Bruno Grütter die «bm media» abzukaufen. Über den Betrag vereinbarten die beiden Stillschweigen. Die Lösung mit Jacqueroud bezeichnet Bruno Grütter, der den Verlag seit 2010 führte, auf Anfrage als «Lotto-Sechser».
Mehr Journalist oder Verleger?
Jacqueroud ist nun Chefredaktor und Verleger – eine Kombination mit Widersprüchen. Als Verleger pflegt er das Geschäft mit Anzeigenkund*innen, als Journalist muss er auf die Unabhängigkeit von ihnen pochen. Kann man das in einer Person vereinen? «Der Widerspruch ist da und mir stets bewusst», bestätigt Jacqueroud: «Ich bin im Herzen Journalist und wollte nie Verleger werden.»
Dass er es trotzdem tut, habe einen triftigen Grund: «Es ist mir wichtig zu verhindern, dass auch dieser Verlag von Tamedia übernommen wird. Das unternehmerische Risiko, das ich persönlich eingehe, ist mein Beitrag zur Erhaltung der Medienvielfalt in Bern», sagt er.
Unternehmer*innen aus der Grossregion Bern müssten sich selbst für die lokale Medienvielfalt engagieren, findet Jacqueroud. Deshalb wolle er ein Zeichen setzen – mit publizistischen Ambitionen: «Ich will mehr als nur beweisen, dass man auch Zeitungen besitzen kann, wenn man nicht in der SVP ist», witzelt er in Anspielung auf Christoph Blocher, dem seit paar Jahren zwei Dutzend Gratisanzeiger gehören.
Nach Jacquerouds Selbsteinschätzung gehört «bm media», was die Reichweite angeht, in der Grossregion Bern zur oberen Liga. Der Verlag gibt die gedruckten Gratiszeitungen «Könizer Zeitung/Der Sensetaler» (monatlich) und die «Gantrisch Zeitung» (vierteljährlich) heraus. Auf Anfang 2023 übernahm er von der «Bärnerbär»-Herausgeberin IMS die «BümplizWoche», die nun «BümplizWochen» heisst, weil sie nur noch im Monatsrhythmus erscheint.
Ambitioniert, weiter zu wachsen
Jacquerouds Zeitungen erscheinen auf Papier, die Website wird mit den Texten erst bestückt, wenn die gedruckte Ausgabe ausgeliefert ist. Allein mit der inzwischen meist über 100 Seiten dicken Könizer Zeitung erreicht «bm media» jeden Monat 53’000 Haushalte in 25 Gemeinden. «BümplizWochen» bringt weitere 24’000 Haushalte ins Portefeuille. «Wir haben das Tamedia gehörende Thuner Tagblatt überholt und sind ungefähr auf der Höhe des Bieler Tagblatts», sagt Jacqueroud.
Das Wachstumspotenzial sei noch nicht ausgeschöpft, mehrere Gemeinden aus dem Gürbetal hätten signalisiert, zur Könizer Zeitung stossen zu wollen. Das Ziel von Neu-Verleger Jacqueroud ist es, die Nummer drei im Kanton Bern zu werden hinter den grossen Tamedia-Titeln Berner Zeitung und Bund.
Geografisch bewegt sich Jacqueroud mit seiner Publizistik ziemlich genau dort, wo sich die fusionierte Berner Tamedia-Lokalredaktion zurückzieht. Sogar die Agglo-Gemeinde Köniz, einst von Bund und BZ emsig beackert, kommt dort inzwischen höchstens noch punktuell vor. Sacha Jacqueroud hingegen besucht jede Parlamentssitzung. Das macht ihn zur wichtigen Figur: Wer in Köniz (aber auch in Schwarzenburg, Riggisberg, im Gürbetal und in Bümpliz) etwas bewegen will, kommt nicht mehr um ihn herum.
Wie ist es mit der Unabhängigkeit?
Die grosse Frage ist, ob eine Gratiszeitung, die finanziell vom Zuspruch des inserierenden Gewerbes lebt, den unabhängigen, kritischen Journalismus liefern kann, den eine lokale Demokratie braucht. Sacha Jacqueroud ist «überzeugt, dass das funktioniert», wie er sagt. Obschon er nicht bestreitet, dass er sich manchmal auf einer heiklen Gratwanderung befindet – wenn etwa ein besonders guter Kunde möchte, dass ein Artikel geschrieben wird, sei es schwierig, Nein zu sagen.
Besonders auffällig: Der Könizer Zeitung liegt die von der Gemeinde bezahlte Beilage «Köniz innerorts» bei, der offizielle Informationskanal des Gemeinderats. Geht da unvoreingenommener Journalismus? «Köniz innerorts» sei sicher eine wichtige Einnahmequelle, aber nicht lebensnotwendig für den Verlag, entgegnet Jacqueroud. Ihn habe das noch nie davon abgehalten, kritisch über die Arbeit des Gemeinderats zu schreiben. Er wolle gar nicht behaupten, dass er und sein Verlag Abgrenzungsfragen immer perfekt lösten. Wichtig sei ihm aber, die Vision im Auge zu behalten.
Als der gebürtige Romand Jacqueroud, der in seiner Freizeit Karate trainiert und einen Permakulturgarten pflegt, 2020 beim Verlag «bm media» als festangestellter Journalist anfing, stellte er eine Bedingung: Dass in den Publikationen «weniger graumelierte Männer und mehr institutionelle Politik» vorkommen sollten.
Vision für Kooperation kleiner Berner Medien
Er habe zu Beginn mit seinem Veränderungswillen und seinem Arbeitseifer wohl den einen oder die andere vor den Kopf gestossen, gibt er zu. Inzwischen merke er aber, dass sein Credo auch bei den Inserent*innen Fuss fasse: Möglichst gut gemachter, möglichst unabhängiger Lokaljournalismus sei das glaubwürdigere Umfeld für Inserate als eine Publikation, die aus bezahlten Inhalten bestehe.
Jacqueroud verantwortete einst ein Magazin für Westernreiten, er berichtete als freier Reporter auch aus dem Ausland. Jetzt ist er in Rüschegg, Niederscherli, Guggisberg und Matzenried unterwegs. Das sei gut so, findet Jacqueroud, ihm sei in den letzten Jahren klargeworden, «dass ich als Journalist mehr bewegen kann, wenn ich in kleinen Strukturen und regional arbeite». Bei dem, was er jetzt tue, könne er «persönlich für das einstehen, was ich unter gutem Journalismus verstehe».
Klar, die Mittel seien begrenzt, das Redaktionsteam, das er sich leisten könne, sei klein. Umso wichtiger findet er es, dass sich die kleinen, unabhängigen Verlage und Medien in der Region Bern vernetzen und sich gegenseitig unterstützen. Er selbst wolle das vorantreiben: «Wir müssen zusammen für die Medienvielfalt in Bern kämpfen, sonst verlieren wir sie.»