Kleiner machtloser Unternehmer

Der neue KMU-Bern-Präsident Peter Steck kämpft für mehr Verständnis fürs Gewerbe. Sein Carrosserie-Betrieb in Bümpliz wird aber eingehen. Denn für die Stadt Bern geht die Wohnbaupolitik im Quartier Untermatt vor.

Peter Steck, der neue Präsident des Gewerbeverbandes KMU Stadt Bern, spricht ueber die Arealentwicklung im Untermattquartier in Bern Buempliz. Fotografiert in und vor seiner Carosserie fuer die Hauptstadt. Bild: Christine Strub, ©christinestrub.ch
Farbige Folien sind sein Arbeitsinstrument: Peter Steck hat im Carrosserie-Familienbetrieb die Sparte Beschriftungen ausgebaut. (Bild: Christine Strub)

Hinter seinem Bürostuhl auf dem Schrank stapeln sich Mäppchen mit Richtplänen, Strategien und Berichten. Die Stapel erinnern ein wenig an die geplanten Hochhäuser in Ausserholligen. Peter Steck zückt immer wieder ein anderes Mäppchen, wenn das Gespräch auf die anstehenden radikalen Veränderungen im Quartier kommt, in dem sein Carrosserie-Betrieb seit über 70 Jahren steht. Das Gebiet Weyermannshaus West gehört zum Entwicklungsschwerpunkt Ausserholligen von Stadt und Kanton Bern, der das Prädikat «Premium» trägt. Hier sollen bis 2030 unter anderem rund 1000 Wohnungen und ein Fachhochschul-Campus für 6000 Studierende gebaut werden.  

Für einen Grossteil der heute hier ansässigen Firmen wird es keinen Platz mehr haben. Dennoch beteiligt sich Steck unverdrossen an den Diskussionen zur Umgestaltung des Quartiers und weibelt dabei für mehr Verständnis fürs Gewerbe. Er sitzt nun schon in der vierten Begleitgruppe der Stadt. Und seit Mitte März setzt sich Steck nicht nur für das Gewerbe in der Untermatt, sondern in der ganzen Stadt ein. Er ist als Nachfolger von Thomas Balmer neuer Präsident des Gewerbeverbandes KMU Stadt Bern. Damit personifiziert der oberste Gewerbler einen der wichtigsten Kritikpunkte seines Verbandes an der Politik der rot-grünen Mehrheit: Die Vertreibung des produzierenden Gewerbes aus der Stadt. 

Doch wer nun einen frustrierten Scharfmacher erwartet, liegt falsch. «Ich will kein ‹Polteri› sein», sagt Steck. Er suche den Dialog mit der Stadt. Und der Verband müsse sich auch selbst hinterfragen: «Oft haben wir in der Vergangenheit das Verhinderer-Etikett erhalten.» Er wolle diese Wahrnehmung korrigieren.

Peter Steck, der neue Präsident des Gewerbeverbandes KMU Stadt Bern, spricht ueber die Arealentwicklung im Untermattquartier in Bern Buempliz. Fotografiert in und vor seiner Carosserie fuer die Hauptstadt. Bild: Christine Strub, ©christinestrub.ch
Peter Steck akzeptiert die grosse Veränderung in Ausserholligen: «Doch es wäre schön, man würde mehr respektieren, was hier mal war und jetzt noch ist.» (Bild: Christine Strub)

Steck sieht sich nicht als Gegner der geplanten grossen Veränderung in Ausserholligen. «Die Entwicklung ist politisch beschlossen, nicht aufzuhalten und letztlich auch in Ordnung», sagt Steck. «Doch es wäre schön, man würde mehr respektieren, was hier mal war und jetzt noch ist.» So etwa die Carrosserie Steck AG, ein Familienbetrieb, gegründet von Stecks Grossvater. Zuerst stand die Werkstatt in Bümpliz an der Bernstrasse beim Schulhaus Höhe. Als dort aber die Strasse begradigt werden sollte, baute der Grossvater in der Untermatt eine neue Werkstatt. Das ist jetzt über 70 Jahre her. «Damals war hier noch eine grüne Wiese», sagt Steck.  

Im Haus neben der Werkstatt, das heute im Erdgeschoss als Büro dient und in dessen Obergeschoss seine Eltern noch wohnen, ist Steck aufgewachsen. «Der Vater ist nun 92 Jahre alt, interessiert sich aber noch immer für den Betrieb.» Für Steck war aber nicht von Anfang an klar, dass er in Vaters Betrieb einsteigt. Er habe noch ein paar Umwege gemacht.  

«Meine Kindheit in Bümpliz war ein behütetes Leben», sagt Steck, er sei immer ein wenig der Sunnyboy gewesen. Nach dem Gymer wusste er aber nicht so recht, was er machen sollte. Sein Vater hatte Kontakte zur Wagenbauschule in Hamburg, da er in der Berufsbildung sogar auf europäischer Ebene engagiert war. «Er legte mir diese Ausbildung ans Herz und ich selbst hatte das Bedürfnis, auf eigenen Füssen zu stehen.»

Peter Steck, der neue Präsident des Gewerbeverbandes KMU Stadt Bern, spricht ueber die Arealentwicklung im Untermattquartier in Bern Buempliz. Fotografiert in und vor seiner Carosserie fuer die Hauptstadt. Bild: Christine Strub, ©christinestrub.ch
Den Fachkräftemangel spürt auch die Carrosserie Steck: Es sei schwierig, Lernende zu finden. (Bild: Christine Strub)

Steck zog also für sieben Jahre nach Hamburg und absolvierte die Fachhochschule für Fahrzeugtechnik. Er lebte auch ein Jahr in Paris, wo er bei Renault seine Abschlussarbeit machte. Da er danach Geld brauchte, begann er im Betrieb zu arbeiten und machte noch eine Kurzlehre als Maler. «Das Gestalten, das Künstlerische hat mich immer interessiert», sagt Steck. Darum hat er dann auch die Sparte Beschriftungen ausgebaut, die sein Vater schon eingeführt hatte.

1997 kaufte er vom Vater dessen Firmenaktien, und zehn Jahre später die seines Onkels. Seither führt Steck mit seiner Frau den Betrieb. Sie kümmere sich mehrheitlich um die Carrosserie, Steck um die Beschriftungen. Oder, wie es Steck ausdrückt «Sie ist die Innenministerin, ich der Aussenminister.» 

Steck engagierte sich in der Berufsbildung und war Prüfungsexperte für Carrosseriespengler. Heute sitzt er in der Verbandskommission der Carrosserieberufe. Aktuell beschäftige der Fachkräftemangel die Branche. Es sei schwierig, Lernende und Fachkräfte zu finden. Er selber suche für die Beschriftungssparte seit mehr als einem Jahr Werbetechniker: «Wir erhalten nicht einmal Bewerbungen.»

Peter Steck, der neue Präsident des Gewerbeverbandes KMU Stadt Bern, spricht ueber die Arealentwicklung im Untermattquartier in Bern Buempliz. Fotografiert in und vor seiner Carosserie fuer die Hauptstadt. Bild: Christine Strub, ©christinestrub.ch
Ein verspielter Familienbetrieb: Lego-Autos im Büro von Peter Steck. (Bild: Christine Strub)

Trotz fehlender Fachkräfte laufe Stecks Betrieb gut. Dank des Standorts in der Stadt habe er viele und treue Kund*innen. Dennoch ist absehbar, dass die Steck AG verschwinden wird. Das Baurecht auf dem Boden, das ihm die Burgergemeinde gewährt, läuft zwar laut Steck noch bis 2039. Doch so lange mag der 62-Jährige nicht mehr arbeiten, wie er betont. Seit Jahren beschäftige er sich mit der Nachfolgeplanung. «Ich hatte Mitarbeiter, die sich für die Übernahme des Betriebs interessierten», sagt Steck. Aber die Risiken, die mit dem geplanten Wohnungsbau im Quartier steigen, wolle niemand eingehen.

Voraussichtlich 2024 werde das Stimmvolk über die Zonenplanänderung abstimmen. Gewerbe sei zwar auch künftig noch toleriert. Aber es stellten sich neue, existenzielle Fragen. Zum Beispiel: : «Habe ich noch eine Zufahrt zum Betrieb? Muss ich mittags zwei Stunden Pause machen, weil ich die Ruhe störe?» Bei diesen konfliktträchtigen Themen fühle er sich von der Stadt alleine gelassen.

Aus seiner Familie wolle niemand den Betrieb übernehmen, denn Stecks Tochter sei glücklich mit ihrem Job als Juristin. «So gibt es die Carrosserie Steck mit grosser Wahrscheinlichkeit in zwanzig Jahren nicht mehr», sagt der Unternehmer. Andere Standorte seien keine Option. Erstens habe es dort meist schon eine Carrosserie, und zweitens müsse man einen neuen Kundenstamm aufbauen. «Ich versuchte, für den Gewerbestandort Untermatt zu kämpfen», sagt Peter Steck, «aber jetzt geht es auch um die Altersvorsorge.» Da müsse man auch analysieren, was das Baurecht wert ist und allenfalls vorzeitig verkaufen. Leicht falle ihm das aber nicht: «Man ist zwar nüchtern und versucht die Sache zu regeln, aber emotional ist es schwierig – vor allem, weil die Eltern noch hier über dem Betrieb wohnen.»

Peter Steck, der neue Präsident des Gewerbeverbandes KMU Stadt Bern, spricht ueber die Arealentwicklung im Untermattquartier in Bern Buempliz. Fotografiert in und vor seiner Carosserie fuer die Hauptstadt. Bild: Christine Strub, ©christinestrub.ch
«In der Stadt braucht es doch Platz für Handwerker und Betriebe, die Sachen reparieren», sagt Steck. Im Quartier Untermatt wird dieser Platz rar. (Bild: Christine Strub)

Die Enttäuschung geht über den persönlichen Frust hinaus. «In der Stadt braucht es doch Platz für Handwerker und Betriebe, die Sachen reparieren», sagt Steck. Das sei auch für andere Firmen wichtig. Sein Betrieb stelle nicht nur Autos in Stand, sondern spritze auch Rollstühle, Orthesen eines Orthopädiebetriebs oder repariere kaputte Velorahmen. Reparaturbetriebe seien seien wichtig für eine nachhaltige Wirtschaft. «Aber wenn es mit der Stadtentwicklung so weiter geht, verschwindet das produzierende Gewerbe bald ganz aus der Stadt.» Dann habe es nur noch Platz für Verwaltung, Bildungsstätten und Spitäler.  

Die Sichtweise des produzierenden Gewerbes vermisst Steck bei der Stadtverwaltung nicht nur in Planungsfragen, sondern auch in der Verkehrspolitik. Als der ESP Ausserholligen vorgestellt worden sei, habe man Lösungen für den Fussverkehr, die Velowege und den ÖV aufgezeigt. Steck dreht mit seinem Bürostuhl um und nimmt ein Mäppchen vom Stapel: «Der motorisierte Individualverkehr wurde nicht mal erwähnt, schon gar nicht der Baustellenverkehr.» Doch dieser werde das Quartier die kommenden zwanzig Jahre prägen.

Peter Steck, der neue Präsident des Gewerbeverbandes KMU Stadt Bern, spricht ueber die Arealentwicklung im Untermattquartier in Bern Buempliz. Fotografiert in und vor seiner Carosserie fuer die Hauptstadt. Bild: Christine Strub, ©christinestrub.ch
In der Verkehrspolitik will Peter Steck als KMU-Bern-Präsident für mehr Handwerkerparkplätze weibeln. (Bild: © Christine Strub)

Für den motorisierten Individualverkehr (MIV) werde es in der Innenstadt immer schwieriger. «Ich fahre in Holland auch gerne Velo, aber man kann aus Bern nicht ein zweites Amsterdam machen.» Die Stadt solle dazu stehen, dass es den MIV braucht. Dennoch würden ständig Parkplätze abgebaut. «Und völlig unverständlich ist zum Beispiel die Verkehrsführung in der Speichergasse, in welcher es wichtige Handwerkerparkplätze hat.» Er verstehe nicht, warum man da noch eine Velospur in die Gegenrichtung eingeführt hat: «Diesen Raum könnte man doch für Parkplätze nutzen.» 

Steck betont aber, dass er die Radrouten schätze, wenn er mit dem Velo in die Stadt fahre: «Mir ist bewusst, dass man nicht immer den Fünfer und das Weggli haben kann.» Aber er wolle erreichen, dass die Politik mehr Verständnis fürs Gewerbe entwickle. «Wir wollen in Dialoggruppen auf Augenhöhe diskutieren können und als ernsthafter Player in der Stadt wahrgenommen werden.»

Das habe er in der Untermatt nicht so erlebt. Steck nimmt ein Mäppchen mit dem Richtplan: «Man plante so, als wäre vorher hier nichts gewesen.» Das zeigt sich auch in einem Info-Film der Stadt zur Umgestaltung des Quartiers. Da wird der Entwicklungsschwerpunkt Ausserholligen ein «Zwischenraum» mit geringer Nutzungsdichte genannt, dem eine Identität fehle. Die geplante Entwicklung hingegen ziehe dann «urbanes Leben, Startups, Kreativnutzungen und Gastronomie an». Schöne Gelateria statt funktionale Carrosserie-Werkstatt, ist das Motto der Stadt.

Peter Steck, der neue Präsident des Gewerbeverbandes KMU Stadt Bern, spricht ueber die Arealentwicklung im Untermattquartier in Bern Buempliz. Fotografiert in und vor seiner Carosserie fuer die Hauptstadt. Bild: Christine Strub, ©christinestrub.ch
«Ich will keinen Streit, sondern Dialog», sagt Steck. Und er wolle erreichen, dass das Gewerbe bereit ist, sich an neue Begebenheiten anzupassen. (Bild: © Christine Strub)

Steck fühlte sich in den Begleitgruppen oft unverstanden. Sie hätten da trotz 900 Betrieben, die der Verband vertrete, nur eine einzige Stimme: «So viel, wie der Modelleisenbahnclub.» In den Workshops sei es fast nur um Siedlungspolitik gegangen. «Und wenn von Arbeitsplätzen die Rede war, waren solche in Büros gemeint.»

Ein Streitgespräch mit Stadtpräsident Alec von Graffenried, für das ihn eine Zeitung jetzt zum Amtsantritt als Verbandspräsident angefragt hatte, lehnte Steck aber ab. Dies, obwohl er sich schon vor fünf Jahren mit von Graffenried an öffentlichen Veranstaltungen zum ESP duelliert hatte. «Ich will keinen Streit, sondern Dialog», sagt Steck. Und er wolle erreichen, dass das Gewerbe bereit ist, sich an neue Begebenheiten anzupassen. Aber nicht jeder Betrieb könne sogenannt «stadtverträglich» produzieren, so Steck. Darum werde nicht nur seine Carrosserie aus der Stadt verschwinden, sondern wohl auch Schwab Holzbau gegenüber und die Fassadenbauer etwas weiter die Strasse runter.

In der Untermatt wird es auch künftig Firmen haben. Es werde im alten Fabrikgebäude an der Ziegelackerstrasse ein Haus der Werkstatt geben. «Da werden wohl Kunstschlosser und Yogastudios einziehen», sagt Steck und legt den Richtplan wieder in das Mäppchen und dieses auf den Stapel.

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Diskussion

Unsere Etikette
Hans-Rudolf Blatter
11. April 2023 um 16:06

Eine sehr aufschlussreiche Stellungnahme von Herrn Steck. Es muss auch dem Gemeinderat und dem Stadtrat endlich klar sein, dass es in der Gemeinde Bern unbedingt auch Platz für das produzierende Gewerbe braucht. Da sind sich auch die Sozialpartner (Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften) einig. So haben sie sich auch im Rahmen des Mitberichtsverfahrens und an Diskussionen in der Quartierkommission Bümpliz/Bethlehem geäussert. Es gilt nun gemeinsam die Bevölkerung zu sensibilisieren. Noch ist bei Weyermannshaus West noch nicht das allerletzte Wort gesprochen. Denn Gewerbebetriebe sind auch Ausbildungs- und Arbeitsplätze im dringend notwendigen Handwerkerbereich.

Ruedi Muggli
11. April 2023 um 11:49

Die Weiterexistenz von Gewerbebetrieben in der Untermatt sollte doch möglich sein, wenn die kommende Planung (und die Grundeigentümer!) das wollen. Gewerbe wie z.B. jenes von Herrn Steck gehören zur Stadtinfrastruktur wie Spitäler, Schulen, Tramdepots, Badanstalten usw. - die alle erzeugen auch Verkehr und machen etwas Lärm.

Priska Friedli
08. April 2023 um 11:40

was für ein spannender, wichtiger artikel und ein sehr differenzierter gesprächspartner! für die great repair revolution ist das gewerbe, das sowohl herstellt wie flickt, unerlässlich!