Nicht am Ziel – und doch nicht am Ende
Ist alles möglich, wenn man sich nur richtig anstrengt? Nein, sagt Tobias Rentsch. Scheitern ist menschlich – und darin sieht der Pfarrer der Markuskirche grosses Potential.
Es stimmt einfach nicht, dass wir alles erreichen können, wenn wir nur stark daran glauben, es uns vornehmen oder manifestieren. Menschen verfehlen ihre Ziele. Das kommt vor und ist ganz menschlich. Oft ist es schade und sogar traurig, wenn jemand für sein Ziel alles gibt und dennoch scheitert.
Von Zeit zu Zeit sehen wir Promis, die uns lächelnd versichern: «Wenn du dich nur genug anstrengst, wirst du es schaffen!» Alles scheint möglich – die perfekte Partnerschaft, die ideale Wohnung, das beste Leben. Im Umkehrschluss heisst das: Wer nicht «perfekt» lebt, hat sich nicht genug angestrengt? So einfach – so falsch und unmenschlich.
Viel menschlicher ist es anzuerkennen, dass Menschen scheitern. Nicht immer gleich, nicht bei jedem, aber es kommt vor. Manche gehen fast traumwandlerisch durchs Leben, andere scheinen das Unglück anzuziehen. Wer hier pauschal Engagement oder Haltung verantwortlich macht, verkennt die sozialen Unterschiede, die Menschen prägen.
Ziele werden gesetzt und verfolgt. Manchmal erreichen wir sie, manchmal nicht. Träume vom gemeinsamen Leben platzen, Beförderungen gehen an andere, sportliche Ziele bleiben unerreicht.
Doch wer sein Ziel nicht erreicht, ist noch nicht am Ende.
Die christliche Geschichte zeigt eine radikale Hoffnung. Als Jesus Christus am Kreuz stirbt, verfehlt Gott selbst sein Ziel. Mission accomplished? Ganz im Gegenteil! Ziel verfehlt – und doch endet die Geschichte nicht. Ostern erzählt: Es geht weiter, über das Scheitern hinaus. Aus dem ultimativen «Nicht geschafft» erwächst neues Leben.
Daraus ergibt sich eine ethische Perspektive: Wer nicht am Ziel ist und somit auch nicht am Ende, der ist mit niemandem und nichts wirklich fertig. Auch dort, wo Scheitern oder Enttäuschung auftritt, bleibt ein verborgenes Potenzial, eine Chance auf Versöhnung oder Neuanfang. Beziehungen, Freundschaften, Begegnungen – alles bleibt offen für eine mögliche Veränderung. Hingegen für jemanden die Todesstrafe zu fordern, ist die ultimative Version von «Ich bin fertig mit dir!».
Zu glauben heisst nicht, alles zu erreichen – sondern in Bewegung zu bleiben und offen zu sein für die Möglichkeiten, die noch zugespielt werden.
Tobias Rentsch ist Theologe und Pfarrer in der reformierten Kirchgemeinde Bern-Nord und arbeitet hauptsächlich in der Markuskirche. Die Markuskirche wird derzeit unter dem Namen Bimbam Bern unkonventionell zwischengenutzt. In dieser Kolumne für die «Hauptstadt» verbindet Rentsch, der einst eine Lehre als Chemielaborant machte, Alltagsbetrachtungen mit seinem theologischen Background.
Ohne Dich geht es nicht
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Das unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Das geht nur dank den Hauptstädter*innen. Sie wissen, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht und ermöglichen so leser*innenfinanzierten und werbefreien Berner Journalismus. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 3’000 Menschen dabei. Damit wir auch in Zukunft noch professionellen Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 3’500 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die «Hauptstadt» und für die Zukunft des Berner Journalismus. Mit nur 10 Franken pro Monat bist du dabei!