Kontemplativ oder kommunikativ?

Der Wettbewerb um das Kunstmuseum Bern ist entschieden: Durchgesetzt hat sich nicht die beste Lösung für die Stadt, sondern ein bewährtes und mehrheitsfähiges Bild.

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Das Siegerprojekt von Schmidlin Architekten: Ein Vorplatz als neue Adresse des Kunstmuseums Bern. (Bild: Schmidlin Architekten / Visualisierung von: Studio Blomen)

Wenn alle schweigen, stimmt etwas nicht. Beim internationalen Wettbewerb für die Erneuerung und Erweiterung des Kunstmuseums Bern sickerte bis zur Medienkonferenz nichts durch. Der Satz, der bei der Recherche am häufigsten fiel: «Kein Kommentar.» Das Ergebnis dieser Recherche: Der Entscheid der Jury war nicht einstimmig und diese bis zum Schluss gespalten. Was ja auch okay ist. Architektur ist komplex. Haltungen sind unterschiedlich.

Angesichts der langen Vorgeschichte versteht man auch, dass Museum und Stadt eine strenge Durchsetzung der Jury-Verschwiegenheit wünschen. Schliesslich scheiterte bereits vor einigen Jahren ein Wettbewerb wegen eines Fehlentscheids.

Ein Beitrag der Architekturzeitschrift Hochparterre

Lokaljournalismus ist wichtig, eine reine Nabelschau aber langweilig. Darum präsentieren wir ab und zu Artikel von Kolleg*innen aus anderen Städten der Schweiz. Dieser Text erschien zuerst in der Architekturzeitschrift Hochparterre. Hier geht es zum Probeabo von Hochparterre.

Bern will endlich bauen. Bern muss bauen – die Museumsgebäude sind dringend sanierungsbedürftig: das Haupthaus, 1879 von Stadtbaumeister Eugen Stettler gebaut, vor allem aber der von Atelier 5 stammende, 1984 bezogene Erweiterungsbau, der im Wettbewerb zur Disposition stand.

Bezüge zu Bregenz

Das Verfahren war komplex: Präqualifikation mit Berücksichtigung von «jungen und innovativen» Büros. Zwei Runden plus eine als optional eingeplante «Bereinigungsstufe». Offensichtlich war man sich nicht einig und liess drei Favoriten noch einmal überarbeiten: EM2N, Park Architekten mit Philip Ursprung sowie Schmidlin Architekten. Das Verfahren war weiterhin anonym, die Jury-Feedbacks an die Teilnehmer*innen blieben schriftlich. Als dann das Wettbewerbsergebnis Mitte August enthüllt wurde, stellten sich viele die Frage: Warum hat eins der langweiligsten Projekte gewonnen?

Das Team um Chasper Schmidlin ist zwar jung, doch innovativ ist sein Projekt weniger. Und es verblüfft mit sehr offensichtlichen Referenzen: Wie Peter Zumthors Kunsthaus in Bregenz, erbaut 1997, stapelt der Entwurf fünf Säle übereinander. Gleich gross wie dort, öffnen sie sich in Bern über Fenster windmühlenartig zur Umgebung. Wie in Bregenz liegt das Museumsbistro nicht im Neubau, sondern im Nachbargebäude rechts davon, im abschliessenden Querbau eines Verwaltungsgebäudes aus den 1930er-Jahren, von der Stadt Bern neu für die Museumsadministration zur Verfügung gestellt. Die Eingangshalle ist, wie diejenige Zumthors, zugleich erster Ausstellungssaal, hat einen Windfang und einen Tresen links. Auch die Kreideskizzen und Grundrissdarstellungen gleichen denen des Meisters aus Haldenstein. Zufall? Nun, Peter Zumthor war einer der Fachjuroren in Bern.

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Ansicht beim Siegerprojekt: Museumsgarten hinter dem Stettler-Bau. (Bild: Schmidlin Architekten / Visualisierung von: Studio Blomen)

Es hätte spannende Projekte gegeben. Etwa das von Caruso St. John, das die Jury im zweiten Rundgang ausmusterte. Es ist das einzige, das den Annex von Atelier 5 stehen lässt und als Ausgangslage nimmt. Die Transformation ist im Auftritt elegant und räumlich reichhaltig – und wird dafür mit einem fünften Rang gewürdigt, als «mögliche Beweisführung […] ob unter Rücksichtnahme auf die bestehende Baustruktur und der Bewahrung von Ressourcen etwas kluges Neues geschaffen werden könnte». Der Beweis wurde in den Augen der Jury nicht erbracht. Aber immerhin ist es ein lobenswerter Versuch, vor allem, weil es nicht nur darum ging, ein bestehendes Baudenkmal abzureissen, sondern auch darum, einen grossen Teil der neuen Räume in den Hang zu graben.

Klassische und bewährte Museumsarchitektur

Die Jury schweigt – aber nicht ihr Bericht. Die Preiszuteilung sieht für die Zweitplatzierten, Park Architekten, eine nur unerheblich kleinere Summe als für das Siegerteam vor. Das drittplatzierte Projekt, das von EM2N, schied in der Bereinigungsstufe früh aus. Es folgte eine «intensive Diskussion» um Platz 1 und 2.

Schauen wir uns zuerst das siegreiche Projekt an: Was macht es besser? Der schlanke Neubau rückt vom Altbau ab. Er steht nicht an der Strasse, sondern an der hinteren Grundstücksgrenze, wo das Terrain als bewaldeter Hang zur Aare hin steil abfällt. Der vorn entstehende Vorplatz ist das Alleinstellungsmerkmal des Entwurfs. Von der Strasse aus betrachtet, versammelt er die drei Gebäude zum Ensemble.

Städtebaulich ist er jedoch fragwürdig: Warum die Strasse weiten, wenn sie sich beim Nachbargebäude sowieso öffnet? Doch die Museumsleute, so der Eindruck, lieben diesen Platz. Für sie ist er ein Zeichen für Offenheit, ein neues und positives Gesicht des Berner Kunstmuseums, das sich medial gut kommunizieren lässt. Ebenso der Museumsgarten hinter dem Stettler-Bau, zu dem eine breite Treppe vom Platz aus hinunterführt.

Die Aussenräume des Siegerprojekts wirken weitläufiger und durchlässiger als die der anderen Projekte – weil der Neubau schlanker ist. Dahinter steckt ein Trick: Die Architekten legen das Foyer analog zu Bregenz mit einem der Ausstellungssäle zusammen und sparen so einen Raum ein.

Ein weiterer Trick: Die Anlieferung liegt eine Etage tiefer als bei den anderen Entwürfen, sodass die lange Rampe unter dem Museumsgarten hindurchführt. So bringen sie einen 600 Quadratmeter grossen, langen, fensterlosen Ausstellungssaal unter dem Vorplatz unter, der anstelle einer oberirdischen Passerelle Neu- und Altbau verbindet. Mit diesen Entscheiden schaffen Schmidlin Architekten den nötigen Platz für schön verbundene, klar gefasste und geschlossene Ausstellungsräume – Räume, die ihren kuratorischen Wünschen entsprächen, so Museumsdirektorin Nina Zimmer an der Medienkonferenz. Klassische Museumsräume also.

Aufgeräumt und klar ist nicht nur der Grundriss, sondern auch die äussere Erscheinung. Das ist kein Lob. Mit seiner Abstraktion wirkt der Neubau wie ein Wiedergänger des Schweizer Minimalismus der 1990er-Jahre. Der Jurybericht bemüht dafür den Begriff ‹zeitlos›. Das Fassadenmaterial Berner Sandstein war im Wettbewerb zwingend vorgeschrieben, weil die Berner Altstadt zum Unesco-Welterbe zählt. Das siegreiche Team behandelt den grünlichen Stein nicht tektonisch, sondern als Materie. Es formt daraus eher einen Felsen als ein architektonisches Kleid. Das Passwort des Entwurfs passt: ‹Eiger›.

Wieder fällt einem Zumthor ein: Auch er baut Solitäre. Auch seine Vorstellung von Städtebau ist in der Auseinandersetzung mit Dorfstrukturen gewachsen, nicht mit der Stadt. Die Jury lobt den Neubau als «beeindruckenden Monolith aus Sandstein mit einer einzigartigen Textur, die sich auf die Tradition der Berner Stein-Gewinnungstechniken bezieht», um dann zu empfehlen: «Die abstrakte Fassadengliederung ist hinsichtlich ihrer Wirkung im Stadtkörper zu überprüfen.»

In den Bildern sieht man diesen «Monolith» neben dem Altbau auf dem Platz stehend, wie er als Hintergrund für Louise Bourgeois’ Riesenspinne dient – die übrigens nicht im Besitz des Kunstmuseums ist, hier aber wohl als Chiffre für die globale Kunstwelt dient.

Was nicht mehrheitsfähig ist, scheidet aus

Der Entwurf von Park Architekten ist in vielen Punkten das genaue Gegenteil. Der Neubau steht hart an der Strasse, ein Gebäude mit geschlossenen Fassadenteilen, aber auch grossen vertikalen Fensterflächen und einer Gliederung mit Sockel und Dach. Kein Objekt, sondern ein Haus.

Zugegeben: ein sperriges Haus, aber eins, das sich auf die anderen Häuser rundum bezieht, das Teil der Stadt sein will – notabene Teil einer Unesco-geschützten Stadt, in die es sich «ebenso selbstbewusst wie subtil» einfügt, wie die Jury findet. Im Bild sieht man ein grosses Haus, kantig und ungeschminkt an der Strasse stehend. Und dieses Bild scheint für die Jury schliesslich den Unterschied gemacht zu haben: «Nicht vollends überzeugen konnte das Projekt jedoch aufgrund seines für die Vision ‹Zukunft Kunstmuseum Bern› schwer vermittelbaren architektonischen Ausdrucks der äusseren Erscheinung.» Mit anderen Worten: Das Ding ist nicht mehrheitsfähig.

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Das zweitplatzierte Projekt von Park-Architekten: Grossflächige Öffnung zur Strasse. (Bild: zvg)

Wirklich? Bei diesem Haus öffnet sich das Museum nicht bloss symbolisch durch einen Vorplatz, sondern real über aufschiebbare Glasflächen im Erdgeschoss. Ein ‹Foyer Public›, ohne Ticket frei zugänglich. Grosse Fenster holen die Umgebung auf jeder Seite herein. Eine breite Treppe dient als Tribüne, Räume für die Vermittlung öffnen sich zur Halle, auf der Empore läuft vielleicht ein Film. Das Bild vermittelt einen Ort des Austauschs. Ein Museum als lebendige Stadt.

Ihr Nachteil? Der Mangel an Ordnung. Die Verbindungen der Ausstellungsräume – drei Etagen oben, drei Etagen unten – sind nicht so elegant wie beim Siegerprojekt. Die Wege sind weniger flüssig, informeller, überschneiden sich, überraschen. Die oberen Ausstellungssäle lassen sich flexibel nutzen, sind aber weniger klar gefasst, gehen in Verkehrsräume über, die wiederum zum Ausstellen genutzt werden können. Immer wieder gibt es Einblicke in Räume der Vermittlung und Forschung. Eine Offenheit und Flexibilität, die die Kuratorinnen vielleicht zu stark herausgefordert hätte?

Konzentration statt Offenheit

Kein Wunder, dass die Jury bis zum Schluss gespalten war. Die ersten Plätze belegen nicht nur zwei Projekte, sondern zwei Haltungen – architektonisch, aber auch bezüglich der Frage, was ein Museum heute sein kann. Überspitzt formuliert: Gewonnen hat ein ikonisches Bauwerk mit Räumen, in denen Kunstliebhaber sich in ein Werk versenken können. Verloren hat ein offenes Haus mit Räumen der Begegnung zwischen Menschen, die sich mit der Kunst auseinandersetzen.

Das Museum der Zukunft sei kein Tempel, sagte Nina Zimmer an der Medienkonferenz, sondern ein Haus für die Bevölkerung. Die Jury hat sich anders entschieden. Sie hat den weniger komplexen und einfacher zu vermittelnden Entwurf gewählt. Bern will bauen. Und Bern wird nun das bekommen, was die Ausschreibung als Ziel formuliert hat: eine «zeitlose Museumsarchitektur mit internationaler Ausstrahlung, identitätsstiftender Gestaltung und attraktiver Adressbildung». Es hätte mehr sein können.

Die Vorgeschichte

Das 1879 fertiggestellte Stammhaus von Eugen Stettler erfuhr eine erste Erweiterung im Jahr 1936 durch die Architekten Karl Indermühle und Otto Rudolf Salvisberg. Aus einem Vorprojekt von 1975 ging der nächste Erweiterungsbau hervor. Der Annex nach Plänen von Atelier 5 steht seit 1983 auf den Fundamenten der ersten, abgebrochenen Erweiterung. Schon 1993 musste er saniert werden.

2006 folgte ein offener Wettbewerb zur nächsten Erweiterung, die das denkmalgeschützte Ensemble aus Stettler- und Atelier-5-Bau auf der Seite des Aarehangs ergänzen sollte. Das Architekturbüro Bachelard Wagner gewann mit einem Projekt, das die Nordseite des Stettler-Baus durch einen Anbau vollständig verdecken sollte und darum aus denkmalschützerischen Gründen nicht bewilligungsfähig war. Auch das zweitplatzierte Projekt, der Entwurf von Baserga Mozzetti, liess sich aus Kostengründen nicht realisieren.

Im Jahr 2017 scheiterte ein Projekt zur Sanierung und Erweiterung des Atelier-5-Baus am Vergabeverfahren. Eine Machbarkeitsstudie von 2018 und zahlreiche Partizipationsveranstaltungen dienten als Basis für den aktuellen Projektwettbewerb, der 2022 ausgeschrieben wurde.

Zukunft Kunstmuseum Bern

Projektwettbewerb im selektiven Verfahren

Präqualifikation: 148 Büros

Teilnahme: 39 Büros; 2. Stufe: 11 Büros; Bereinigungsstufe: 3 Büros

Auftraggeberschaft: Stiftung Kunstmuseum Bern

Fachjury: Elisabeth Boesch, Jean-Daniel Gross, Thomas Hasler (Vorsitz), Anna Jessen, Boris Podrecca, Sibylle Aubort Raderschall, Annabelle Selldorf, Peter Zumthor, Tina Gregorič

Sachjury: Alfons Bichsel, Jonathan Gimmel, Alec von Graffenried, Marieke Kruit, Benjamin Marti, Hansjörg Wyss, Nina Zimmer, Alex Wassmer

Jurierung Bereinigungsstufe: Juli 2024

1. Rang: Schmidlin Architekten, Zürich und Engadin

2. Rang: Park Architekten und Philip Ursprung

3. Rang: EM2N Architekten

4. Rang: AFF Architects + Bruno Fioretti Marquez

5. Rang: Caruso St. John Architects

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