Werden Kryptowährungen massentauglich?
Nach einem ersten Hype 2021 sind Kryptowährungen wie Bitcoin derzeit wieder in aller Munde. Eine Einordnung mit einem Experten der Universität Bern.
Rund 20 Jahre lang hat Christian Cachin beim amerikanischen Computer-Riesen IBM in Rüschlikon geforscht. Er hat sich schon mit sogenannten Blockchain-Protokollen beschäftigt, als nur Eingeweihte etwas darunter verstanden. «Die Welt und der Markt waren noch nicht parat», sagt Cachin rückblickend.
Die Blockchain-Technologie ermöglicht vereinfacht gesagt, dass zwei Parteien zum Beispiel Geld austauschen können, ohne dass es eine zentrale Stelle wie eine Bank gibt, der beide vertrauen. Die Kontrolle erfolgt dezentral über ein Protokoll. Die Funktionsweise dieser Protokolle zu erklären, würde den Rahmen des Artikels sprengen. Cachin kennt sie auf jeden Fall bis in die kleinsten Verästelungen. Sein Wissen setzt er mittlerweile nicht mehr in der Industrie ein, sondern seit fünf Jahren an der Uni Bern. Als Professor für Informatik erforscht er schnellere und sicherere Protokolle.
In dieser Zeit hat ein Zweig der Blockchain-Welt einen rasanten Aufstieg erlebt: die Kryptowährungen. Sie nutzen die Technologie der dezentralen Protokolle, um ein Geldsystem zu etablieren, das unabhängig von Zentralbanken funktioniert. Dabei sorgte vor allem ein Name für Furore: Bitcoin. Obwohl der genaue Ursprung der Währung im Dunkeln liegt, fanden sich seit 2008 genug Menschen, die dem System Vertrauen schenkten. 2021 erreichte der Bitcoin seinen vorerst höchsten Kurs mit rund 56’000 Franken. Auch die Kurse von anderen Krypto-Währungen wie etwa Ethereum kletterten in die Höhe. Einige Menschen sind in dieser Zeit mit dem Handel der Krypto-Währungen sehr reich geworden – auch in der Schweiz, wo sich vor allem Zug als Hochburg etabliert hat.
Zugleich sind die Kurse grossen Schwankungen unterworfen: Wer in der Hochphase 2021 1000 Franken in Bitcoin investierte, der- oder diejenige hatte zum Jahreswechsel 2022/23 nur noch 250 Franken in der digitalen Geldbörse. Doch dann ging es wieder in die andere Richtung. In diesem April erreichte der Bitcoin-Kurs mit rund 62‘000 Franken den höchsten Stand seit Bestehen.
Steht nun der nächste Hype ins Haus? Eine Analyse in vier Punkten.
Künstliche Verknappung
Krypto-Expert*innen wie Cachin erklären den jüngsten Kurssprung unter anderem mit dem sogenannten «Bitcoin Halving»: Ein Prozess, der sozusagen zur technologischen DNA der Kryptowährung gehört. Alle vier Jahre wird die Menge der täglich neu generierten Bitcoins um 50 Prozent reduziert. In der Vergangenheit hat das zu einem Ansturm auf die Währung geführt.
Hinzu kommt ein Entscheid der US-Börsenaufsicht SEC. Diese sperrte sich jahrelang gegen bestimmte Fonds mit der ältesten Digitalwährung Bitcoin. Nun werden sie für US-Anleger*innen zugelassen, was es einfacher, aber auch nachvollziehbarer macht, über klassische Finanzinstitute in Bitcoin zu investieren. Die mächtigen amerikanischen Rentenfonds oder Vermögensverwalter wie Blackrock könnten so frisches Geld in den Krypto-Markt bringen.
All diesen Entwicklungen liegt laut dem Experten Cachin die Hoffnung zugrunde, dass Kryptowährungen künftig für die breite Masse, also Menschen wie du und ich, relevanter werden. Diesen Beweis hätten sie bislang noch nicht erbringen können.
Mehr Regulierung
Ende März verurteilte ein New Yorker Gericht Sam Bankman-Fried zu 25 Jahren Gefängnis. Er soll sich als Gründer einer der grössten Krypto-Handelsplattformen wegen Betrugs und Geldwäscherei schuldig gemacht haben. «Es ist immer noch zu einfach, betrügerisch vorzugehen», sagt Cachin dazu. Der Fall habe der gesamten Industrie geschadet. Zugleich seien dadurch auch Reformen angestossen worden, die mehr Regulierung ermöglichen. Cachin fragt sich, ob die entstandene Unsicherheit schnell genug behoben werden kann.
Altbekannte steigen ein
Wer Augen und Ohren offen hat, dem ist das Wort «Krypto» in den letzten Wochen wieder häufiger begegnet – zum Beispiel auf Werbeplakaten. Im Fall der Postfinance war «Crypt Eau» sogar zu riechen: Sie hat mit einem Parfüm, das sie zum Beispiel in Bahnhöfen verteilte, ihr neues Krypto-Angebot beworben.
Denn die Postfinance bietet seit Februar 2024 den Handel und die Verwahrung von Kryptowährungen an. Laut eigener Aussage tut sie das als erste «systemrelevante» Bank der Schweiz. Einige Kantonalbanken sind ebenfalls auf den Zug aufgesprungen.
Was hat es damit auf sich? Bislang war der Handel von Kryptowährungen nur über spezielle Plattformen möglich – so wie die erwähnte Plattform des verurteilten Sam Bankman-Frieds. Die Postfinance schreibt auf Anfrage, sie habe bei ihren Kund*innen das Bedürfnis nach einem vertrauenswürdigen und regulierten Anbieter für Kryptogeschäfte gespürt. Das Angebot diene auch dem «Wissensaufbau» – bei sich selbst und den Kund*innen. Die Bank kommuniziert zwar keine Zahlen zu eröffneten Krypto-Portfolios oder zur Summe der investierten Kryptowährungen, zeigt sich allerdings grundsätzlich zufrieden mit der Lancierung.
Experte Cachin hat einen zweigeteilten Blick auf das Angebot: Einerseits diene es dazu, «Berührungsängste» gegenüber Kryptowährungen abzubauen – um zum Beispiel die feilgebotenen elf Währungen und ihre Eigenheiten besser kennenzulernen. Andererseits betrachtet er das Angebot auch als Marketingvehikel. Denn Kryptowährungen seien eigentlich nicht als Anlageform konzipiert worden, sondern um die dahinter liegende Technologie zu alimentieren. «Wenn Vreneli Müller jetzt über ihre Bank-App einige hundert oder tausend Franken in Bitcoins investiert, sollte das am besten sogenanntes ‹Spielgeld› aus einer vielseitigen Anlagestrategie sein – und nicht überlebenswichtig», sagt Cachin.
Bewegung in der Politik
Auch in der Politik sind Kryptowährungen derzeit wieder ein Thema. So plant eine Gruppe von Westschweizer Krypto-Anhänger*innen mittels einer Volksinitiative die Schweizerische Nationalbank dazu zu verpflichten, ihre Währungsreserven nicht nur in Gold, sondern auch in Bitcoin zu halten. Die Unterstützer*innen argumentieren, dass die Schweiz so währungspolitisch unabhängiger sei.
Für Cachin ist dieser Vorschlag mit Vorsicht zu geniessen – und der Fokus auf Bitcoin allein schlicht zu eng. Seine Bedenken sind ausserdem ökologische. Die Kryptowährung Bitcoin verbraucht beim sogenannten «Mining», bei dem durch Rechenleistung von riesigen Serverfarmen das Netzwerk abgesichert wird, grosse Mengen Strom. Cachin rechnet vor, dass allein der jährliche Verbrauch des Bitcoin-Netzwerks dreimal so hoch ist, wie der gesamte jährliche Energiebedarf der Schweiz. Viele andere Kryptowährungen wie zum Beispiel Ethereum nutzen eine Technologie, die nur einen Bruchteil der Energie verbraucht – sie wird von den Initiant*innen allerdings nicht berücksichtigt.
Und auch an anderer Stelle ist derzeit auf (währungs-) politischer Ebene etwas in Bewegung. 2021 hat die Schweiz als eines der ersten Länder der Welt gesetzliche Regelungen für die Blockchain-Technologie in Kraft gesetzt. Für die Integrität des (Krypto-)Finanzplatzes ein wichtiger Schritt. Seitdem hat sich auch die nicht unbedingt für ihre Innovationsfreude bekannte Schweizerische Nationalbank (SNB) der Technologie angenähert.
Aktuell laufen Pilotprojekte für ein nationales digitales Zentralbankgeld. Gemäss Experten wie Cachin funktioniert es anhand der Prinzipien von Kryptowährungen, ahmt sie allerdings nicht nach. Der Pilotversuch der SNB ziele darauf ab, Transaktionen zwischen den Finanzinstituten effizienter zu machen. Während die SNB in ihrer jüngsten Mitteilung unterstreicht, kein digitales Zentralbankgeld für die breite Bevölkerung schaffen zu wollen, halten Forscher*innen wie Cachin genau das für möglich. Er forscht zusammen mit seiner Kollegin Mirjam Eggen von der rechtswissenschaftlichen Fakultät an den Grundlagen von digitalem Zentralbankgeld, das auch die Privatsphäre der Nutzer*innen schützt. Für Cachin und seine Kollegin Eggen ist es durchaus möglich, dass die Schweiz einen digitalen Franken einführen wird.
Kryptowährungen befinden sich – das kann man zusammenfassend sagen – an einem spannenden Punkt. Einerseits digitalisiert sich die Finanzindustrie immer weiter, und die Forschung an dezentralen Währungssystemen geht voran. Andererseits sind Kryptowährungen immer noch den Beweis schuldig geblieben, dass sie wirklich für eine grosse Bevölkerungsgruppe unverzichtbar sind. Und weil eine zunächst weitgehend unregulierte Branche für mehrere Skandale gesorgt hat, ist viel Vertrauen verspielt worden. Dass Kryptowährungen noch in diesem – geopolitisch unsicheren Jahrzehnt – den grossen Siegeszug antreten, scheint deshalb unwahrscheinlicher denn je.