Der Kult der schlechten Filme
Die Kultmoviegang zeigt seit 10 Jahren schlechte Filme im Kino. Und hat damit grossen Erfolg.
Es ist ein warmer Frühsommerabend – und eigentlich viel zu schön, um im Kino einen schlechten Film zu sehen. Trotzdem trudeln an der 92. «Worst Movie Night» im Berner Kino Cineclub immer mehr Menschen ein. Über 100 Besucher*innen zählt das Kino bei Filmbeginn.
Auf dem Programm steht der Film «Ninja Terminator» – ein «guter schlechter Film», wie Ronny Kupferschmid sagt. Er ist Veranstalter und Gründer der Kultmoviegang. Ninja-Filme eignen sich laut ihm gut für die «Worst Nights». Viele solcher Filme seien «trashig» und hätten ein «eigenes Publikum».
Ronny Kupferschmid, passionierter Cineast, gründete 2015 mit der Kultmoviegang (kurz KMG) ein Label, unter dem er neben den «Worst Movie Nights» seit 2018 auch Kultfilme, Animes und Spezialevents programmiert. Jede*r kann Mitglied der «Gang» werden. Mittlerweile hat die KMG auch nach Zürich, Freiburg und Neuenburg expandiert.
Die Gruppe machts
Eine halbe Stunde vor Filmbeginn. Bereits sind viele Besucher*innen im Foyer. Es gibt extra auf den Film abgestimmte Shots, filmbasierte Spiele und einen Guide für die Gäst*innen, «damit sie wissen, wie sie den Abend einigermassen unbeschadet überleben», sagt Veranstalter Ronny Kupferschmid mit einem Augenzwinkern. Viele der Anwesenden kennen sich, es wird geschwatzt und fleissig gespielt. An diesem Abend müssen die Besucher*innen ein Puzzle so schnell wie möglich lösen. Der oder die Schnellste wird später prämiert.
Tanja Lipak kommt seit den Anfängen zu den «Worst Movie Nights» und erzählt, dass sich im Laufe der Zeit eine Gruppe von etwa 20 Personen gefunden habe. Sie komme deshalb oft einfach alleine hin, irgendjemand von ihrer «Gang» sei immer da. Die «Worst Movie Nights» seien – mehr als die anderen Events der Kultmoviegang – ein «Social Gathering», man kenne sich, es sei immer lustig und ein «Halli Galli». In ihrem Grüppli ist sogar ein Liebespaar entstanden, erzählt Lipak und zeigt auf ein Paar, das gerade das Puzzle gelöst hat.
Tanja Lipak zählt als Frau eher zur Minderheit der Besuchenden. Laut KMG-Gründer Kupferschmid sind die Gäste der «Worst Movie Nights» zu achtzig Prozent Männer und durchschnittlich 35 Jahre alt. Darunter gibt es aber auch «Küken», wie er sagt. Im letzten Herbst hat Kupferschmid zwei 21-jährige Jungs überzeugt, alternativ zum ausverkauften «Dune»-Film die «Worst Night» zu besuchen. Sie sind auch heute da. Die beiden haben seither keinen schlechten Film mehr verpasst. Linus Ackermann, einer der beiden, sagt über die Veranstaltung begeistert: «Es ist mehr als ein schlechter Film, es ist ein Event.»
An den Abenden, an denen die KMG nicht schlechte Film, sondern Kultfilme zeigt, sei das Publikum anders. Es richte sich eher nach dem Film, der gezeigt werde, sagt Kupferschmid. Bei «Dirty Dancing» sei zum Beispiel etwa achtzig Prozent des Publikums weiblich.
Ackermann und Lipak sind beide «Gang-Member», Lipak sogar «Goldmember». Sie zahlt einen Jahresbeitrag von 500 Franken und kann dadurch jeden Film der Kultmoviegang besuchen. Geht sie also jede zweite Woche ins Kino, hat es sich schon gelohnt. Das würde sie «easy» erreichen, sagt Lipak.
Schlecht, schlechter, Ninja-Film
In den Kinosaal kommt man nur, wenn man sich bückt. Direkt im Türeingang ist eine Art Limbo-Stange montiert: «Wegen dem tiefen Niveau», erklärt Kupferschmid. Und so geht es auch im Saal weiter. Vor dem Film werden trashige Musik und skurrile Werbeclips abgespielt. Zum Beispiel für das nahe gelegene Restaurant da Carlo oder für Computer-Occasionen, gesprochen von «z’Hansrüedi», einem Walliser Entertainer und Komponist. Kupferschmid selbst kennt fast jedes Lied, wippt zum Takt und freut sich über die schlechte Musik.
Vor Filmbeginn der grosse Auftritt des Veranstalters: Ronny Kupferschmid und sein selbsternannter «Wingman und Sidekick» Philippe Hausherr, der sich in ein Ninja-Kostüm geworfen hat, stellen den «schlechtesten Ninja-Film» vor, erklären den Filmguide und prämieren die schnellsten «Puzzlechef*innen» mit einer DVD des Films «Garfield». Hausherr ist nicht nur vor dem Filmstart, sondern bei der ganzen Organisation Kupferschmids Partner. Zusammen stimmen sie die Programmation gemeinsam ab und teilen sich auch die Hauptverantwortung für die einzelnen «Worst Nights» auf.
Auch nach Start des Films ist der Geräuschpegel im Kinosaal überraschend hoch. Ein stetes Flüstern erfüllt den Raum, während die Ninjas in schlechten Purzelbäumen Treppen hinabrollen, sich in Seitwärtsrädern fortbewegen und sich bei «krassen Kämpfen» offensichtlich nicht berühren.
Aufgrund der vielen Geschichtsstränge kann den Film niemand so recht verstehen. Spass haben aber alle: Den Guide befolgend ruft das Publikum jedes mal «Shinobi», wenn im Film jemand «Ninja Empire» oder «Golden Ninja Warrior» sagt. Passiert etwas Lustiges oder Skurriles, applaudiert das Publikum. In der ersten Hälfte des Films hat eine KI die deutschen Untertitel generiert. Fast in jedem Satz hat es offensichtliche Fehler wie vermörtelt statt ermordet oder töpfern statt zögern. Der Name der Person Machido wird mit Macchiato übersetzt.
Genug Filmnerds in Bern
Das Konzept, schlechte Filme im Kino zu zeigen, ist nicht neu. In anderen Ländern gibt es auch solche Events. Und im Internet finde man eine grosse Community, sagt Kupferschmid. Der Filmfan hat die Idee vor zehn Jahren in die Berner Kinos gebracht. Mit einer Power Point Präsentation stellte er sie der Berner Kinokette Quinnie vor und «verkaufte ihnen schlechte Filme», wie er lachend erzählt. Zuvor veranstaltete er bereits im Freundeskreis solche Filmabende.
Quinnie willigte ein – vorerst für einen Testlauf: Kupferschmied durfte alle drei Monate an einem Donnerstag eine «Worst Movie Night» veranstalten. Das Konzept funktionierte, die Gäst*innen kamen zahlreich. Bemerkenswert, denn das Kinobusiness kämpfte bereits damals gegen die Wohnzimmer mit grossen Fernsehern, guten Soundsystemen und Netflix & Co. Bald darauf durfte die «Worst Night» sogar am beliebteren Freitag stattfinden und die Abstände zwischen den Abenden wurden verkürzt. Heute finden sie in Bern alle anderthalb Monate statt.
Aufwind bekommen hat die Kultmoviegang während der Corona-Pandemie: Die Berner Kinokette fragte Kupferschmid für ein wöchentliches Programm an. Der «Kultfriday», an dem freitags Kultfilme gezeigt werden, entstand. Für Quinnie und Kupferschmid eine Win-Win-Situation: Kommen 40 Menschen ins Kino, sind beide zufrieden.
An der «Worst Movie Night» scheint die Idee ebenfalls gut aufzugehen. An diesem Abend wirken die Besucher*innen – vielleicht dank dem filmischen Shot-Angebot – äusserst konsumfreudig.
Anime, Festival und Open-Air-Kino
Kupferschmid scheint kaum zu stoppen. Auch japanische Zeichentrickfilme – Anime – führt die KMG mittlerweile im Angebot. Seit drei Jahren führt das Label im Frühling auch ein Kultfilmfestival durch. Und in diesem Sommer findet erstmalig in Schüpfen ein KMG-Kino-Open Air mit Live Acts statt.
Ob sich der Aufwand auszahlt? Ronny Kupferschmid, sagt, er mache es nicht fürs Geld. Mit den Einnahmen der 50 bis 100 «Gang-Mitgliedern» könne er die Filmlizenzen bezahlen und sich «vielleicht einen knappen 13. Monatslohn» auszahlen. Es sei ein Herzensprojekt, für das er praktisch jedes Wochenende arbeite.
Ein Herzensprojekt, das offensichtlich Anklang findet. Obwohl sich einige immer noch fragen mögen, warum man sich einen schlechten Film im Kino antun soll, wenn es so viele gute gibt. Darauf hat das langjährige «Gang-Mitglied» Tanja Lipak die Antwort sofort bereit: «Schlechte Filme sind wie die Kaffeebohnen beim Parfüm auswählen. Sie neutralisieren den Geschmack.»
Die nächste «Worst Movie Night» findet am 27. Juni im Kino Cineclub statt.