Ist Bern bereit für mehr Kulturdebatte?

Die Stadt Bern will ihr Kulturbudget ab 2024 kürzen. Nur um 1,8 Prozent zwar. Aber wen es trifft, schmerzt es. Und: Stadtpräsident Alec von Graffenried wünscht sich mehr engagierte Kulturdebatte.

_DSC5636
Sparen an der Kultur «mit Augenmass»: Stadtpräsident Alec von Graffenried, Kultur-Chefin Franziska Burkhardt, Regierungssprecher Michael Sahli. (Bild: Danielle Liniger)

Die Kulturbotschaft der Stadt Bern ist ein gewichtiges Papier. 29 Seiten schlank, aber auf diesen paar Seiten werden 33 Millionen Franken vergeben. Mit so viel Geld pro Jahr will Bern 2024 bis 2027 Kulturförderung betreiben. Das sind jährlich 605’000 Franken oder 1,8 Prozent weniger als in der noch bis Ende 2023 laufenden Förderperiode.

Die Welt sei in Aufruhr, zuerst die Pandemie, jetzt der Krieg in der Ukraine, sagte Stadtpräsident Alec von Graffenried (Grüne Freie Liste) am Freitag bei der Präsentation, aber der Stadt Bern gehe es «vergleichsweise sehr gut». Deshalb nehme man trotz Spardruck und drohenden Defiziten in der Stadtkasse bei der Kultur «mit Augenmass» Kürzungen vor.

Die kulturelle Angebotsdichte, die sich Bern leistet, bleibe, verglichen mit anderen europäischen Mittelstädten, «herausragend». Und überhaupt: Als leidenschaftlichem Kulturgänger sei es ihm ein Anliegen, seine «Herzensangelegenheit» Kulturförderung nicht aufs Geldverteilen zu reduzieren. «Kulturelle Debatten finden zu wenige statt.» Da, findet von Graffenried, habe Bern Nachholbedarf.

Was allerdings auch stimmt: «Zuerst kommt das Fressen, dann kommt die Moral», schrieb der deutsche Schriftsteller Bertolt Brecht in einer Ballade seiner «Dreigroschenoper». Zweifellos gilt das auch für den Berner Kulturbetrieb. Und deshalb werfen wir hier nun doch zuerst einen Blick darauf, wohin weniger Kulturförderungsgeld fliesst. Respektive fliessen soll. Die Kulturbotschaft geht nun bis zum 21. August in eine Vernehmlassung, in der sich alle von Kürzungen Betroffenen noch einmal äussern können. Bis Ende Jahr soll die definitive Version bereinigt sein.

Diese Kulturinstitutionen erhalten mehr Geld

Die Stadt Bern kürzt nicht nur, sie gibt einzelnen Institutionen auch mehr Geld. Der Konzertveranstalter bee-flat (+ 10’000 Franken), die Grosse Halle der Reitschule (+ 40’000 Franken), die Kunsthalle (+ 50’000 Franken), das Tojo Theater der Reitschule (+ 20’000 Franken) erhalten gemäss der Kulturbotschaft der Stadtregierung ab 2024 mehr Zuwendungen pro Jahr.

Neu erhalten zudem das Berner Puppentheater (100’000 Franken pro Jahr) und die Heitere Fahne (187’500 Franken pro Jahr) einen sogenannten tripartiten Leistungsvertrag (Stadt, Kanton, Regionalkonferenz zahlen gemeinsam).

DSC_2647
Will feurige Kulturdebatten: Alec von Graffenried. (Bild: Danielle Liniger)

Dass die grossen Subventionsempfänger angesichts der 2019 mit den roten Zahlen in der Stadtrechnung aufgekommenen Spardebatte damit rechnen mussten, Federn zu lassen, war absehbar. Der Elefant unter den unterstützten Kulturbetrieben ist Bühnen Bern. Sie werden von Stadt, Kanton und der Regionalkonferenz pro Jahr mit 38 Millionen Franken unterstützt, der Anteil der Stadt beträgt 18 Millionen Franken. Ab 2024 soll der Gesamtbetrag an Bühnen Bern um 470’000 Franken gekürzt werden. Es ist absolut gesehen der grösste Kürzungsbetrag.

Der Fall Berner Kammerorchester

Das Berner Kammerorchester (BKO) erhielt bisher 112’000 Franken jährlich von Kanton und Stadt. Ab 2024 soll es keine direkte Leistungsvereinbarung mehr erhalten. Stattdessen kann es sich auf die neu geschaffene Orchesterförderung bewerben, die jährlich insgesamt 300’000 Franken ausmacht und für verschiedene regionale Orchester gedacht ist.

Die Idee dahinter: Die Orchester sollen einheitlich gefördert werden. Für das BKO, das immer wieder mit originellen, interdisziplinären Ansätzen auffällt und mit lokalen Musiker*innen und Künstler*innen arbeitet, bedeutet das aber eine Planungsunsicherheit, wie Geschäftsführer Niklaus Egg sagt. «Wir gehen vom Schlimmsten aus und rechnen mit weniger Geld , welches vielleicht erst ein bis zwei Monate vor Saisonstart 2023/24 gesprochen würde», sagt er.

Einerseits verstehe er den Wunsch der Stadt, für die regionalen Orchester gleiche Bedingungen zu schaffen, andererseits habe sie dem BKO auch keinen Begründung liefern können, was das Orchester nicht gut mache. «Das schmerzt schon, wenn man bedenkt, wie intensiv wir uns für das Kulturgut der Stadt und dem Kanton Bern einsetzen», sagt er. Das BKO finanziert sich zu 60 Prozent selber, sollte es bei der Orchesterförderung gar nicht berücksichtigt werden, müsste es im schlimmsten Fall schliessen, sagt Egg.

Der Fall Dampfzentrale

Eher unerwartet von einer Kürzung getroffen wird die Dampfzentrale. Sie soll ab 2024 noch 2,4 Millionen Franken erhalten, 100’000 Franken weniger als bisher. Die Höhe der Subvention werde so «in ein besseres Verhältnis zur Programmdichte des Hauses» gebracht, ist in der Kulturbotschaft etwas spitz vermerkt. Die grünliberale Berner Nationalrätin Melanie Mettler, Co-Präsidentin des Vereins Dampfzentrale, hält diese Formulierung für «zynisch», wie sie auf Anfrage festhält.

«Die vorgesehene Kürzung in dieser Höhe wird sich auf die künstlerische Produktion auswirken.»

Melanie Mettler, Co-Präsidentin Verein Dampfzentrale

Die Programmdichte sei eine direkte Folge der Möglichkeiten, die das Gebäude biete. Weil aber die Stadt als Besitzerin der Dampfzentrale auf eine weitergehende Sanierung verzichtet habe, sei das Haus unterfinanziert. Und dem Team sei es gar nicht möglich, das Potenzial des Hauses auszuschöpfen und die Programmdichte zu erhöhen. «Die vorgesehene Kürzung in dieser Höhe wird sich auf die künstlerische Produktion auswirken», sagt Mettler.

Abgesehen davon entspreche Sparen an der Kultur auch nicht dem vom Stadtrat ausgedrückten politischen Willen, sagt Mettler. In der Tat musste der Gemeinderat nach entsprechenden Interventionen aus dem Parlament seine Sparpläne etwas zurücknehmen. Und wenn Sparen, so Mettler weiter, wünschte sie sich «mehr Strategie und weniger Rechenschieber». In Bezug auf die Dampfzentrale müsste man sich laut Mettler genauer überlegen, wo man mit dem Haus hinwolle und die entsprechende Finanzierung sicherstellen. Und die Crew nicht mit einer Kürzung demotivieren, für deren Ursache sie nichts könne.

Der Fall Haus der Religionen

Ähnlich wie Melanie Mettler argumentiert Regula Mader, Präsidentin des Vereins Haus der Religionen, das mit einer Kürzung der städtischen Subventionen von 300’000 auf 250’000 Franken konfrontiert ist. Für ihr Haus gehe diese Kürzung ans Existenzielle, sagt Mader.

Danielle+Liniger_DSC_2705
Vorzeigemodell, aber auch Sparopfer: Das Haus der Religionen am Europaplatz. (Bild: Danielle Liniger)

Das Haus der Religionen finanziert sich zur Hälfte über Projektgelder, genau deshalb sei der städtische Beitrag so wichtig, weil mit ihm die Grundkosten gedeckt werden könnten. Vor drei Jahren erhöhte die Stadt ihre Subvention um 100’000 Franken, jetzt macht sie das zur Hälfte wieder rückgängig. «Für mich ist das widersprüchlich», sagt Regula Mader, «einerseits preist uns die Stadt national und international als interkulturelle Vorzeigeinstitution mit einem einzigartigen Bildungs-, Kultur-, Jugend- und Partizipationsangebot, anderseits entzieht sie uns nun einen Teil der Unterstützung.»

Das Grundproblem, das auch Stadtpräsident Alec von Graffenried anerkennt: Das Haus der Religionen, unter dessen Dach sich acht Religionen versammeln, passt nicht genau in die Förderkategorie Kultur. «Wir sind viel mehr», sagt Regula Mader. Müsste sich bei einer Institution mit Ausstrahlung weit über die Stadt hinaus nicht der Kanton an der Finanzierung beteiligen? Das sei eine denkbare Option, die man erneut auslote, sagt Regula Mader. Trotzdem hofft sie, dass die geplante Kürzung in der Vernehmlassung abgelehnt wird und der Stadtrat den Betrag wieder erhöht.

Und jetzt: Mehr Kulturdebatte?

Eine andere wäre wohl die Lancierung einer Kulturdebatte, die sich nicht nur ums Geld dreht, wie sie sich der Stadtpräsident wünscht. Eigentlich ist einiges dafür angelegt in der neuen Kulturbotschaft, die erstmals die Handschrift von Franziska Burkhardt trägt, der seit 2019 amtierenden Leiterin von Kultur Stadt Bern.

DSC_2523
Die Förderung soll sich der Kultur anpassen. Und nicht umgekehrt: Das Credo von Franziska Burkhardt. (Bild: Danielle Liniger)

Sie will beispielsweise die heute nach Sparten aufgeteilten Förderkredite zusammenlegen und die Projekte nicht mehr von getrennten Fachkommissionen beurteilen lassen, sondern von einer einzigen Kulturkommission. Das ist eine kleine Revolution in der gewachsenen Berner Kulturförderszene, die wohl auch einen Professionalisierungsschub nach sich zieht.

Die städtische Kulturförderung will künftig nur noch Projekte fördern, die branchenübliche Honorare und Sozialversicherungsbeiträge budgetieren. Künstler*innen im Nebenerwerb, die sich finanziell mit einem Brotjob über Wasser halten, werden es in der künftigen städtischen Förderkulisse schwerer haben.

Die Reorganisation der Kulturförderung hat laut Franziska Burkhardt das explizite Ziel, dass sich «die Kultur nicht den Schablonen der Förderung anpassen, sondern die Förderung sich nach den Bedürfnissen der Kultur richten soll». Wo beginnt Kultur und wo hört sie auf? Das wäre eine Debatte, die sich daraus ergibt. Und da wäre zum Beispiel das Haus der Religionen wieder mittendrin.

Ist Bern bereit für diese Debatte? 

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren