Kulturstadt – Stadtrat-Brief #2
Sitzung vom 16. Februar – die Themen: Kulturverträge und Kulturvorstösse, Haus der Religionen, Iran, Baurechtsvergabe Viererfeld, Korrigendum.
Ein gewöhnlicher Bostitch kann über 40 beidseitig bedruckte Blätter zusammenhalten. So dick war der Papierstapel mit dem Geschäft, über das der Stadtrat am Donnerstag befand. Es geht um 25 Leistungsverträge mit Kulturinstitutionen für die Jahre 2024 bis 2027. Dafür will der Gemeinderat insgesamt 33 Millionen Franken jährlich zur Verfügung stellen. Weil die Stadt knapp bei Kasse ist, sind das 1,65 Prozent weniger als bisher. 11 der Verträge trägt die Stadt allein, bei 14 sind auch Kanton und Regionalkonferenz beteiligt.
Angesichts dieser Masse an Verträgen konnte im Rat gar keine substanzielle Diskussion aufkommen. Oder, wie es Eva Chen (Alternative Linke) formulierte: «Eigentlich schade, dass wir diese Kulturgeschäfte alle in einem Block behandeln, man könnte jeweils viel dazu sagen, viel kritisieren, aber auch viel loben.» Kleine Spitzen aus allen Parteien wurden dann doch noch gegen Bühnen Bern ausgeteilt (zu wenig Transparenz bei Löhnen und Kommunikation).
Einigkeit von ganz links bis und mit den bürgerlichen Parteien FDP und Die Mitte herrschte bezüglich der Wichtigkeit der Kultur: «Bern ist die Stadt, die pro Einwohner*in am meisten für Kultur ausgibt, versteht mich nicht falsch, das ist gut so, wir sind eine Kulturstadt», sagte etwa Tom Berger (FDP). Worauf natürlich ein Aber folgen musste.
Kürzungsmöglichkeiten sahen Bürgerliche insbesondere beim Theaterfestival «auawirleben», das für die noch laufende Förderperiode eine Erhöhung der Subventionen erhalten hatte, und bei der Grossen Halle, weil diese früher während Jahren selbsttragend gewesen sei. Die SVP stellte 7 Rückweisungs- und Kürzungsanträge – viele davon die Reithalle betreffend. Alle diese Anträge waren in der Schlussabstimmung jedoch chancenlos.
Überraschend wenig zu reden gab, dass die städtischen Kulturkommissionen zukünftig grösser und spartenübergreifend sind. Auch die neue Orchesterförderung, die auf ein Wettbewerbsverfahren statt Verträge setzt, kam diskussionslos durch.
Knapp fiel der Entscheid einzig beim Robert-Walser-Zentrum aus. Es soll neu nur noch 50’000 Franken statt wie bisher 100’000 Franken pro Jahr erhalten. Die Mitte forderte, diese Kürzung rückgängig zu machen. Als das Zentrum 2009 von Zürich nach Bern umgezogen sei, habe man ihm jährliche Unterstützung über 100’000 Franken «von unbeschränkter Dauer» versprochen, sagte Milena Daphinoff (Die Mitte). «Diese Kehrtwende macht mich sprachlos.» Der Antrag wurde schliesslich ganz knapp abgelehnt mit 33 zu 31 Stimmen. Die Allianzen waren dabei für einmal ungewöhnlich: Während das Grüne Bündnis und die SVP für den Antrag stimmten, sprach sich die SP geschlossen dagegen aus.
Der einzige Antrag, der angenommen wurde, war die Erhöhung des Kredits für öffentliche Quartierbibliotheken um 20'000 Franken pro Jahr, um die Öffnungszeiten zu erweitern. Mit 43 zu 27 Stimmen folgte das Parlament der SP/Juso-Fraktion.
Der Stadtrat verabschiedete die Leistungsverträge schliesslich mit 63 zu 7 Stimmen (aus der SVP). 16 Verträge sind somit definitiv genehmigt. Über die grössten Unterstützungsbeiträge (Bühnen Bern, Kornhausbibliotheken, Bernisches Historisches Museum, Dampfzentrale) entscheidet die Stadtberner Stimmbevölkerung im Juni an der Urne.
Seraphine Iseli, 30-jährig, sitzt seit November 2019 für das Grüne Bündnis (GB) im Stadtrat. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Nationalen Informationsstelle zum Kulturerbe NIKE.
Warum sind Sie im Stadtrat?
Weil es ein grosses Privileg ist, in Bern zu leben. Und ich will, dass alle Menschen, die es wollen, dieses Privileg haben.
Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?
Als eine, die leidenschaftlich über Geschäftsreglementsänderungen und Klimaanpassungsmassnahmen debattiert, dann im Bier aber noch ein bisschen lieber über Bergtouren und Schweizer Rap.
Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?
Das ist zwar nicht alleine mein Misserfolg, aber sehr nervig: wir haben ein unambitioniertes Klimareglement und zu tiefe Parkiergebühren.
Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?
Dass ich stets dazulerne und so immer mehr Zusammenhänge und gangbare Wege erkenne.
Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?
Ich mag Bümpliz wegen der einzigartigen Mischung aus Hochhaussiedlungen und Bauernhöfen, den stadtbesten Momos und des Gäbelbachs.
Diese Themen waren ebenfalls wichtig:
- Noch mehr Kultur: Gemeinsam mit der Kulturbotschaft wurden auch weitere Vorstösse zu Kulturanliegen behandelt, die zum Teil schon vor der Pandemie eingereicht worden waren. Sie wurden allesamt vom Rat angenommen. So wird der Gemeinderat beauftragt zu prüfen, ob es Massnahmen brauche, um die Diversität bei Kulturinstitutionen zu fördern, als Richtlinie muss er insbesondere auf die Diversität in der Sparte Musik schauen. Weiter muss er evaluieren, ob es Massnahmen bezüglich Lohntransparenz und Informationspflicht in Berner Kulturinstitutionen brauche. Zudem soll beurteilt werden, ob die Kornhausbibliothek bei der Entwicklung eines neuen Modells in Richtung Literaturhaus unterstützt werden könnte. Die Initiantinnen waren damals noch davon ausgegangen, dass die Kornhausbibliothek ins Erdgeschoss ziehen könnte. Dieses ist aber jetzt bis 2040 an die Bindella-Gruppe vermietet, die dort Gastronomie betreibt. Ein letztes Postulat fordert den Gemeinderat auf, zu prüfen, ob das Equipment (Kostüme, Requisiten, Fahrzeuge) namentlich von Bühnen Bern analog zum Kulturbüro auch der freien Szene für einen symbolischen Beitrag zur Verfügung gestellt werden könnte.
- Haus der Religionen: Keine Diskussion gab es zur dringlichen Motion von Erich Hess (SVP) zum Haus der Religionen. Nachdem bekannt geworden war, dass dort Zwangsheiraten durchgeführt worden waren, hatte Hess verlangt, dass das Haus der Religionen zukünftig keine Subventionen mehr erhalten solle. Sein Vorstoss wurde mit 60 zu 7 Stimmen abgelehnt.
- Iran: Die Stadt Bern wird zusammen mit anderen Städten an den Bundesrat gelangen, um von ihm Massnahmen gegen die Menschenrechtsverletzungen im Iran zu ergreifen. Eine dringliche interfraktionelle Motion wurde von einer grossen Mehrheit angenommen. Sprecher*innen der linken Parteien hatten unisono betont, dass es wichtig sei, Druck auf den Bundesrat zu machen. Vivianne Esseiva (FDP) hingegen fand den Stadtrat den falschen Ort für solche Diskussionen, «das ist nichts weiter als eine Briefträgermotion», sagte sie. Gleichzeitig zur Motion sammelte die Fraktion AL/PdA Patenschaften für iranische Gefangene, die die Organisation Free Iran vermittelt. 12 Patenschaften aus dem Rat konnten so bereits gesammelt werden. Ebenfalls dabei seien die Gemeinderät*innen Marieke Kruit, Michael Aebersold, Franziska Teuscher und Stadtpräsident Alec von Graffenried.
- Baurechtsvergabe Viererfeld: Es ist das nächste Kapitel der unendlichen Planungsgeschichte. Der Rat debattierte die Vergabe der ersten Baurechte im Mittelfeld und Viererfeld, die von SVP und FDP grundsätzlich angezweifelt und bekämpft wurden. Während die SVP das grüne Feld am liebsten unbebaut erhalten möchte, beharrt die FDP darauf, dass es auch Zonen für marktwirtschaftliches und individuelles Wohnen brauche. Doch die zwei Parteien blieben trotz langen Diskussionen ungehört, der Rat nahm alle Baurechtsvergaben an. Die zwei grössten Baurechtsvergaben, diejenigen an die Hauptstadt-Genossenschaft und die Mobiliar, kommen im Juni vors Volk. Es wird die zweite Abstimmung zum Viererfeld in diesem Jahr. Bei der ersten im März geht es um Erschliessung und Infrastruktur. Würde diese abgelehnt, «hätten wir ein echtes Problem, weil wir nicht weiterplanen könnten», sagte Gemeinderat Michael Aebersold im «Hauptstadt»-Interview. Drei weitere Baurechte an die Pensionskasse der Berner Kantonalbank, an die Personalvorsorgekasse der Stadt Bern und an die Burgergemeinde Bern vergab der Stadtrat gestern in eigener Kompetenz. Das sechste Baurecht hat der Gemeinderat an die Innere Enge Holding AG vergeben, die das bestehende Hotel ergänzen will.
- Korrigendum: In der letzten Ausgabe des Stadtrat-Briefs schrieben wir, dass eine Motion der Jungen Alternative zum Veloverleihsystem (VVS) abgelehnt worden ist. Diese Darstellung ist verkürzt: Abgelehnt wurde die Forderung, dass das VVS während den ersten 30 Minuten für alle gratis nutzbar ist. Angenommen wurden hingegen die weiteren Punkte: Für junge Menschen, Personen in Ausbildung oder in Besitz einer Kulturlegi sollen die Preise um 50 Prozent reduziert werden. Weiter soll sich der Gemeinderat dafür einsetzen, dass Minderjährige das VVS ohne Begleitung einer erwachsenen Person nutzen können. Zudem soll ein Zahlungssystem eingeführt werden, das für alle zugänglich ist und bei dem keine Daten weitergegeben werden.
PS: Die Abstimmung zu den Kulturvorlagen fand direkt im Anschluss an die Abendpause statt. Und Ratspräsident Michael Hoekstra (GLP) bewies, dass er ein wahrlich neutraler Präsident ist. Seine Fraktion kam wenige Minuten zu spät zurück in den Saal, da war die Abstimmung über ihren eigenen Rückweisungsantrag der Leistungsverträge schon durch – und natürlich haushoch verloren.
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