Satelliten der Liebe

Der Kurzfilm «Fridu» sucht nach den Umständen, die Frieden ermöglichen. Er öffnet eine hoffnungsvolle, aber nicht naive Perspektive. Ab Donnerstag läuft er im Kino Rex.

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Stephan Hermann und Sarah Hugentobler haben gemeinsam den Film «Fridu» erschaffen. (Bild: Marion Bernet)

Die pastellfarbenen Kacheln – rosa, blau, grün – wirken lieblich, friedlich. Als würde man sich an den luxuriös gedeckten Tisch setzen zum Osterbrunch und dann gesättigt auf Eiersuche gehen. Bei Sonnenschein, versteht sich. Doch schräge Töne dimmen die Leichtigkeit. Irgendwas ist faul hier.

«Fridu» heisst der neue Kurzfilm von Sarah Hugentobler und Stephan Hermann, der am Gründonnerstag Premiere feiert im Berner Kino Rex. «Fridu» heisst Frieden im Dialekt des Wallis, wo Stephan Hermann aufgewachsen ist. Der Name ist Programm: «Was braucht eine Gesellschaft, damit sie friedlich ist – damit kein Krieg entsteht?»

Diese Frage haben die Filmemacher*innen Menschen aus ihrem Umfeld gestellt. Ausgestattet mit nichts als einem Aufnahmegerät sind sie mit ihnen an Küchentischen gesessen und haben geredet. «Wir hätten auch eine Strassenumfrage machen können. Aber damit wäre angesichts des schweren Themas nie die Intimität entstanden, wie wenn ich mit meiner Nachbarin Kaffee trinke und ein echtes Gespräch entsteht», erzählt Hermann.

Beim Besuch der «Hauptstadt» im Berner Kulturzentrum Progr, wo beide ein Atelier haben, fällt es leicht, sich die Szenen der intimen Gespräche vorzustellen. Hermann und Hugentobler hören einander aufmerksam zu, ergänzen ihre Antworten auf die Fragen der Journalistin, stellen eigene Fragen und lachen viel.

Viele Stimmen, ein Gesicht

Aus den Küchentischgesprächen haben Videokünstlerin Hugentobler und Filmemacher Hermann einzelne Sätze rausgeschnitten und für den siebenminütigen Film neu zusammengesetzt. Obwohl sich die 14 Menschen nie begegnet sind, entsteht der Eindruck, als würden sie miteinander sprechen. Wahrnehmbar sind aber nur ihre Stimmen.

Auf dem Bild zu sehen ist stets Sarah Hugentobler. Genauer: eine von ihr verkörperte Kunstfigur vor dem Hintergrund der pastellfarbenen Kacheln. Sie trägt eine graue Perücke und T-Shirts in unterschiedlichen Farben. Zu den Stimmen bewegt sie ihre Lippen und die restlichen Gesichtsmuskeln und es wirkt, als ob tatsächlich diese Kunstfigur sprechen würde.

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Die beiden Filmschaffenden haben ihre Ateliers im Berner Kulturzentrum Progr. (Bild: Marion Bernet)

Das Synchronisieren von Stimmen ist Sarah Hugentoblers künstlerischer Stil. Zum Frauenstreik 2019 hat sie einen Film in dieser Technik gedreht. Und auf ihrer Website findet sich eine Aufnahme einer Live-Performance, bei der sie die Tonspur einer Sternstunde-Sendung mit ihrer eigenen Mimik und Gestik synchronisiert.

Bereits in der Kunstschule habe sie diesen Stil gefunden. «Ich habe immer viel Radio gehört und mir dabei vorgestellt, wie die Leute aussehen», sagt Hugentober «Wenn ich sie dann im richtigen Leben gesehen habe, war ich oft enttäuscht, weil ich eine krassere Mimik erwartet hätte.» Also gab sie diese ihnen selbst.

In «Fridu» zeigt sich die Wirkung dieser Technik: Jede Stimme ist gleich viel wert. Wer was gesagt hat, spielt keine Rolle. «Eine einzelne Tonspur allein würde seltsam klingen. Zusammen aber gibt es einen Chor und damit die Erkenntnis: Gemeinsam sind wir nicht verloren», findet Stephan Hermann.

Trotz dieses hoffnungsvollen Blicks und den wohligen Pastellfarben kippt der Film niemals in die zuckersüsse Belanglosigkeit. Die Stimmen ringen nach Antworten, tasten sich zu Aussagen, ohne sie als allgemeingültige, unumstössliche Wahrheit erscheinen zu lassen. Ratlosigkeit und Ohnmacht sind stets präsent. Und mit ihnen verbunden ist eine andere Frage: «Machen wir, in der sicheren Schweiz, genug?»

Diese Frage spannt den Bogen zu Gertrud Kurz, die sich im Zweiten Weltkrieg für den Frieden einsetzte und zahlreiche Geflüchtete vor dem Holocaust rettete. Der Film ist eine Auftragsarbeit der Gertrud-Kurz-Stiftung, sie wollte anlässlich des 50. Todestages von Kurz im 2022 an ihren Einsatz für den Frieden zu erinnern.

Ein Plädoyer für Offenheit und Neugierde

Auch die Stimme von Gertrud Kurz ist in den Film geflossen. Sie bedauert, niemals das Bundeshaus gestürmt zu haben, um mehr geflüchtete Menschen ins Land lassen zu können. Und appelliert daran, aus den Fehlern der Vergangenheit, der «furchtbaren Zeit», zu lernen: «Vorwärts schauen, damit sowas nicht mehr vorkommt.»

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Sarah Hugentobler: «Ich fände es gut, wenn die Zuschauer*innen für sich selbst die Fragen beantworten, die der Film stellt.» (Bild: Marion Bernet)

Sarah Hugentobler und Stephan Hermann verstehen ihren Film aber nicht als Aufforderung zu einer bestimmten Handlung. Auch stehe er nicht in Verbindung mit einem bestimmten Krieg. Vielmehr sei er ein Plädoyer dafür, dass man zulasse, keine Antwort zu haben und den Perspektiven anderer Menschen mit Neugierde und Offenheit zu begegnen. «Und ich fände es gut, wenn die Zuschauer*innen für sich selbst die Fragen beantworten, die der Film stellt», ergänzt Sarah Hugentobler.

Der Film läuft vom 28. März bis am 3. April im Vorprogramm des Kino Rex. An der Premiere am Gründonnerstag werden sich die Menschen hinter den Stimmen zum ersten Mal persönlich begegnen. Und vielleicht gemeinsam Wein trinken.

Stephan Hermann will den Pinot Noir «Utopia» ausschenken. Hermann ist Teil des Kollektivs «Satellites of Love», das in Leuk Naturwein produziert. Die Parzelle pachten sie von der Schweizer Armee, zwischen den Rebbergen stehen Satellitenschüsseln, die während des Irakkriegs – man wisse es nicht so genau – womöglich von den USA benutzt worden seien. «Satellites of Love» will dem militärischen Ort die Liebe zurückbringen. Kein schlechter Beitrag zu einer friedlichen Welt.

Kurzfilm «Fridu», 7 Minuten, Kinopremiere Rex Bern, 28. März 2024, 17 bis 18 Uhr.

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