«Mich interessieren Konflikte»
Matilda Klinkhart (30) studiert Psychologie im Zweitstudium und hat zwei kleine Töchter. Die Uni kommt ihr manchmal vor wie ein sehr zeitaufwändiges Hobby. Teil 3 der «Uni-Protokolle».
Unser Tag ist vollgepackt. Um sechs Uhr stehe ich auf, weil Yael wach ist. Sie ist jetzt zehn Monate alt. Mein Freund macht für uns Müesli, gemeinsam ziehen wir die Kinder an. An zwei Tagen pro Woche bringt er Yael und die zweieinhalbjährige Ayla gegen halb Acht in die Kita.
An diesen Tagen kann ich Kurse belegen oder lernen. Seit dem Herbstsemester 2022 studiere ich in der Schweiz Psychologie.
Geboren bin ich in Deutschland. Halbjährig zog ich mit meiner Mutter in ein kleines Fischerdorf im Süden von Spanien. Dort wurde ich sozialisiert, in Madrid habe ich einen Bachelor in Biologie gemacht. Ich sehe mich als eine Palme mit deutschen Wurzeln, aber mit ausgeprägterem spanischen Stamm und Blättern. Mein Freund Matthias ist Schweizer, wir haben uns in Wien im Masterstudiengang in Wildtierökologie und -management kennengelernt. Als er ein Jobangebot in der Schweiz erhalten hat, sind wir hierher gezogen.
Weil ich während des Masters in Wien mit Ayla schwanger geworden bin, muss ich jetzt noch meine Masterarbeit schreiben. Doch ich wollte den Umzug auch für einen Neubeginn nutzen und nicht nur als Mutter und Partnerin in ein neues Land kommen. Deshalb habe ich mich für Psychologie eingeschrieben.
Mich interessieren Konflikte – als angehende Wildtierökologin vor allem beim Zusammenleben von Tier und Mensch. In diesem Bereich bräuchte es Vermittlung. Wir Ökolog*innen wissen aber oft zu wenig über Mediation, die Psycholog*innen zu wenig über Ökologie. Als Mediatorin im Wildtiermanagement könnte ich meine Fachgebiete verbinden. Diese Möglichkeit will ich mir offen halten. Meine Hauptmotivation fürs Psychologiestudium ist aber, später als Psychotherapeutin arbeiten zu können.
Im ersten Semester in der Schweiz wurde ich ungeplant ein zweites Mal schwanger. Naiv dachte ich, ich könnte mit Studium und Masterarbeit wie vorgesehen weitermachen. Doch die Realität sah anders aus. Dass die Prüfungen nach dem ersten Jahr Psychologie in den Mutterschaftsurlaub fielen, reichte der Fakultät nicht als Grund, um mir einen Ersatztermin anzubieten. «Es gibt keine Ausnahmen», sagten sie. Da man diese Prüfungen bestehen muss, um weiterstudieren zu können, hänge ich nun noch bis zum Sommer im ersten Jahr fest.
In Österreich erhielt ich als Studierende mit Kind viel Unterstützung. Im Vergleich dazu fühle ich mich in der Schweiz im Stich gelassen, was die Vereinbarkeit von Studium und Familie angeht. Das macht mich ein bisschen wütend. Aber es weckt auch Trotz in mir und ermutigt mich, dass ich es trotzdem schaffen kann. Ich bin in die Arbeitsgruppe für Gleichstellung der Studierendenschaft der Universität Bern (SUB) eingetreten. Für ein neues Positionspapier erarbeiten wir Forderungen zur Vereinbarkeit von Studium und anderen Lebensbereichen und -umständen wie eben Elternschaft, aber auch Behinderung oder Erwerbstätigkeit.
Welche Menschen bevölkern die Uni, welche Lebensentwürfe prallen in den Fakultäten aufeinander? Die «Hauptstadt» hat fünf Studierende getroffen – in den «Uni-Protokollen» gewähren sie Einblicke in ihren Alltag, teilen Zweifel, Wünsche und Gedanken.
Wir wohnen im Länggassquartier. An meinen kinderfreien Tagen radle ich zur Uni, lerne für zwei Stunden, radle zurück, lege die Wäsche in den Trockner, bereite Brei vor für die Kleine und radle erneut zur Unibibliothek, um noch einmal zu lernen, bevor ich die Mädchen von der Kita abhole.
Manchmal kommt mir das Studium vor wie ein sehr zeitaufwändiges Hobby. Es steht nicht an erster Stelle. Wenn ein Kind krank ist, ist klar, dass ich zuhause bleibe, weil mein Freund arbeitet und ich «nur» studiere. Wir leben hauptsächlich vom Lohn meines Freundes. Da erwische ich mich selbst dabei, wie ich einem klassischen Rollenbild verfalle.
Gleichzeitig bin ich – und das klingt jetzt ein bisschen klischeehaft – dankbar, mit 30 nochmals studieren zu dürfen, in der Vorlesung sitzen zu können und mich mit interessantem, neuem Fachwissen berieseln zu lassen.
Vom 4. bis zum 8. März gastierte die «Hauptstadt» an der Universität Bern. Die Redaktion verlegte ihren Standort für eine Woche ins Hauptgebäude und tauchte ins Uni-Leben ein.
Im Fokus steht die Universität nicht nur als Ort der Wissenschaft. Sondern als vielfältiger, dynamischer gesellschaftlicher Lebensraum in der Länggasse. Wir fragen auch: Wie muss man sich ein Student*innenleben – jenseits der Vorurteile – vorstellen? Und wie kommen Studierende in der Länggasse gastronomisch über die Runden?
Hier geht es zum thematischen Schwerpunkt.