Nachhaltige Ernährung – Was macht die Stadt?
Im Juni schickte der Stadtrat eine Motion bachab, welche den Verzicht auf tierische Produkte in allen städtischen Essensangeboten forderte. Doch wie will die Stadt das Netto-Null-Ziel im Bereich Ernährung erreichen?
Der zweite Juni war wieder mal ein langer Donnerstagabend für die bernischen Stadträt*innen. Von fünf Uhr nachmittags bis kurz vor Mitternacht wurde debattiert und wurden insgesamt 18 Vorstösse abgearbeitet.
Darunter auch eine Motion der Alternativen Linken Bern (AL), die eine umweltschonende Ernährung in städtischen Betrieben forderte. Zum Ziel hatte die Motion zwei Punkte: Erstens der Verzicht auf Fleisch und Fisch in allen Essensangeboten, in denen die Stadt Bestellerin oder Anbieterin ist; und zweitens der Verzicht auf jegliche tierischen Erzeugnisse in allen Essensangeboten, in denen die Stadt Bestellerin oder Anbieterin ist.
Übersetzt heisst das, dass die Stadt bei der Annahme der Motion in allen städtischen Kantinen, Kitas, Tagessschulen sowie Alters- und Pflegeheimen zukünftig auf eine rein vegetarische beziehungsweise vegane Ernährung hätte setzen müssen.
Doch es kam anders. Der Gemeinderat beantragte in seiner Antwort auf die Motion beim Stadtrat, dass Punkt 1 – also die vegetarische Ernährung – als Richtlinie für erheblich erklärt und Punkt 2 abgelehnt wird.
Wenn eine Motion durch den Stadtrat – also das Stadtparlament – als erhebliche Richtlinie erklärt wird, hat der Gemeinderat – also die städtische Exekutive – anders als bei einer regulären Motion einen relativ grossen Spielraum beim Grad der Umsetzung. Eine Richtlinienmotion ist für den Gemeinderat nicht bindend, aber er muss spätestens nach zwei Jahren an den Stadtrat Bericht erstatten, ob und wie er die Richtlinie umgesetzt hat.
Gesamtpaket ohne Mehrheit
Die AL-Fraktion wollte aber auf eine Teilabstimmung verzichten. Somit wurde über beide Punkte zusammen abgestimmt. Die Motion wurde abgelehnt. Nur gerade 17 der 80 Stadträt*innen konnten sich hinter ein Verbot von allen tierischen Produkten in den städtischen Essensangeboten stellen.
Klingsor Reimann von der AL und Verfasser des Motionstexts erklärt, warum auf eine Teilabstimmung verzichtet wurde: «Die Annahme von Punkt 1 alleine hätte nicht viel verbessert.» In seiner Antwort auf die Motion gibt der Gemeinderat zu verstehen, dass er Punkt 1 der Motion als grösstenteils erfüllt sieht, deswegen auch der Antrag zum Erklären der Motion als erhebliche Richtlinie. Es wäre dadurch kein grosser Fortschritt zu erwarten gewesen, meint Reimann.
Zudem übt Reimann Kritik am Stadtrat: «Ganz ohne Verzicht und Verbot kommen wir der Klimakrise nicht bei.» So hätte man zum Beispiel die Regelung bei Institutionen mit Vollverpflegung – also solchen mit drei Mahlzeiten pro Tag – wie dem Alters- und Pflegeheim Kühlewil sowie bei Schutz und Rettung Bern lockern können. «Aber bei einer Kantine, in der man vielleicht vier Mal pro Woche zu Mittag isst, wäre es keine ernsthafte Einschränkung, auf tierische Produkte zu verzichten.»
Was würde der Verzicht auf tierische Produkte bei der Ernährung überhaupt ausmachen? Gut ein Drittel aller Treibhausgasemissionen von Privatpersonen sind auf die Ernährung zurückzuführen. Die Art, wie sich Menschen ernähren, hat also grosse Auswirkungen auf die Klimabilanz. Ein Verzicht auf tierische Produkte halbiert die ausgestossenen Treibhausgasemissionen im Bereich Ernährung knapp. Mit vegetarischer Ernährung lässt sich immerhin ein Drittel der Ernährungsemissionen einsparen.
Wie weiter?
Was macht die Stadt eine abgelehnte Motion später, um das im Klimareglement festgeschriebene Netto-Null-Ziel auch im Bereich Ernährung zu erreichen? Adrian Stiefel vom städtischen Amt für Umweltschutz erklärt: «Auch wenn diese konkrete Motion abgelehnt wurde, hat die Stadt immer noch einen klaren Auftrag; Netto-Null ist schliesslich klar beschlossen.»
Stiefel sieht die Stadt in punkto Ernährung in drei wesentlichen Rollen: Erstens habe sie eine Vorbildfunktion. Dabei gehe es darum, der Bevölkerung aufzuzeigen, dass Essen ohne tierische Produkte, welches aus regionalen und saisonalen Zutaten zubereitet werde, genauso lecker sein könne wie Nahrungsmittel tierischen Ursprungs. Zweitens gibt die Stadt jährlich in ihren Institutionen gut 900’000 Mahlzeiten aus und könne so einen Einfluss darauf nehmen, was konsumiert wird. Drittens sehe sich die Stadt auch als Vernetzungsplattform und wolle Gastrobetriebe mit lokalen Produzent*innen zusammenbringen.
Ihre Vorbildfunktion wahrnehmen könne die Stadt beispielsweise an den Berner Nachhaltigkeitstagen im September, sagt Adrian Stiefel. Beim Eröffnungsfest am 10. September werde es ein nachhaltiges Gastroangebot geben. Damit hoffe die Stadt, der breiten Bevölkerung die Freude an nachhaltigem Essen zu vermitteln: «Wenn man sich damit ein bisschen auseinandersetzt, ‹fägt› das nämlich richtig.»
Die Stadt mische auch in der Wirtschaft mit, so gebe es das «Ernährungsforum Bern» und die «Klimaplattform Wirtschaft». Bei beiden Initiativen gehe es darum, Akteur*innen aus der Wirtschaft und die Stadt gemeinsam an einen Tisch zu bringen. «Im Raum Bern gibt es auch richtig viele private Projekte zu nachhaltiger Ernährung», führt Adrian Stiefel aus.
Bei diesen Initiativen basiert viel auf Freiwilligkeit, so heisst es bei der «Klimaplattform Wirtschaft», einer Kooperation von rund 70 Unternehmen aus dem Raum Bern und der Stadt, zum Beispiel, dass schriftliche Vereinbarungen bei ihnen nicht nötig seien. Immerhin müssen die Mitglieder der Plattform jedes zweite Jahr ein Projekt zur Emissionsreduktion umsetzen.
Modell Zürich
Die grösste Wirkung erhofft sich Stiefel von der Ernährungsstrategie, die als Teil der überarbeiteten städtischen Klimastrategie geplant ist. Die Stadt Zürich kennt so etwas schon; in einem knapp 60-seitigen Strategiepapier werden konkrete Massnahmen und Ziele zu nachhaltiger Ernährung festgehalten. Es werde dabei neben neuen Projekten auch um das Bündeln und Priorisieren von bestehenden Bemühungen gehen. Adrian Stiefel erklärt: «Die Arbeit an der Ernährungsstrategie fängt noch dieses Jahr an und wird wohl mit der neuen Energie- und Klimastrategie 2025 in Kraft treten.»