Kleine Revolution im Berner Nachtleben

Nachtclubs sind in der Krise. Stattdessen ziehen Formate wie Spielabende oder Pubquiz viel Publikum an. Ein Rundgang im sich verändernden Berner Nachtleben.

Brändi Dog Turnier
Stellwerk Bern
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© Danielle Liniger
Im Club und Kulturzentrum Stellwerk gibt es seit Eröffnung regelmässig Spielturniere – oft ausverkauft. (Bild: Danielle Liniger)

18 Uhr an einem Donnerstagabend. Auf der Tanzfläche des Stellwerks, einem Kulturzentrum für junge Menschen, stehen quadratische Tische mit Stühlen. Der Raum ist beleuchtet, das Licht angenehm warm. Auf einem Sofa auf der Bühne sitzen die Hosts für heute Abend. Ariane und Julia führen durch das Spiel «Stadt Land Fluss».

Das zieht. Der Abend ist ausverkauft. Und das nicht zum ersten Mal.

Das Stellwerk, das im Sommer 2023 eröffnet hat, war in Bern der erste Club, der auf diesen Zug aufsprang. Zusätzlich zu Partys veranstaltete das Stellwerk Spielabende: Lotto, Tichu-Turniere, Brändi-Dog-Abende, Pubquiz oder eben «Stadt Land Fluss». 

Damals war das Café Marta in der unteren Altstadt eines der wenigen anderen Lokale, die bereits regelmässig und seit langem Pubquiz veranstalteten. Heute gibt es in Bern fast jedes Wochenende mehrere Spielabende zur Auswahl – während das Nachtclub-Angebot dünner wird. Im Nachtclub Le Ciel steigt dieses Wochenende die letzte Party, bevor er in dieser Form schliesst. Auch das Kapitel, das in unmittelbarer Nähe des Le Ciel steht, scheint sich neu zu formieren.

Wird das Berner Nachtleben gerade revolutioniert?

«Fast jeder Spielabend ist ausgebucht», sagt Bernhard Hergert, Chef de Bistro und Konzerte des Stellwerks, das als Verein organisiert ist. Auf die Idee sei der Club gekommen, weil viele Mitglieder gerne spielen. «Wir dachten uns: Was wäre, wenn 50 Leute zusammen ein Spiel spielen?», erzählt Hergert. 

Pubquiz-Brunch, Daydance & Silent Reading

Auch die Werbung für den Nachtbus Moonliner nimmt die veränderten Gewohnheiten auf: Statt wie früher damit zu werben, dass einen der Moonliner nachts vor einem komischen Typen rettet, sind die Aussagen auf den Plakaten breiter gefächert. Auch für Menschen, die noch lange arbeiten, die an einer Gamenight oder bei Freund*innen Pizza gesnackt haben, sei der Moonliner da. 

Das Nachtleben ist diverser geworden. Heute beginnt der Ausgang nicht mehr erst um Mitternacht. Daydances, Veranstaltungen explizit ohne Alkohol wie «Ecstatic Dance» in den Vidmarhallen oder Pubquiz boomen, zweiteres findet sich in vielen Clubs wieder. 

Le Ciel fotografiert am Samstag, 20. Januar 2024 in Bern. (VOLLTOLL / Simon Boschi)
Der Club Le Ciel schliesst nach 14 Jahren und eröffnet Ende März an gleicher Stelle den Huma Club – mit früheren Öffnungszeiten. (Bild: Simon Boschi (Archiv))

Auch das eingangs erwähnte Kapitel, das neu den Namen «In Transformation» trägt, hat kürzlich neue Veranstaltungsformen lanciert. Hier, wo Partys zuvor nicht vor Mitternacht begonnen haben und hauptsächlich aus Techno und elektronischer Musik bestanden, probiert der Club freitags andere Formate aus. Zum Beispiel Spiel- und Lesespass mit «kuscheligen Ecken», chillen und snacken oder Talks. Und all das bereits ab 18 oder 19 Uhr. Das lässt sich auch als Verzweiflungstat deuten: Der Club hatte aufgrund finanzieller Schwierigkeiten Anfang Jahr in einem Crowdfunding 55'000 Franken gesammelt.

Der Effinger, ein Co-Working-Space mit Kaffeebar im Erdgeschoss an der Effingerstrasse, veranstaltet sogar tagsüber. Es gibt Pubquiz-Brunches und gemeinsames «Silent Reading» unter dem Namen «Silent Book Club» am Sonntagmorgen. Das Publikum kommt zahlreich, die Pubquiz-Events sind Tage im voraus schon ausverkauft. Der erste «Silent Book Club» war erst in einer Nische vorgesehen und wurde auf die ganze Kaffeebar ausgedehnt. 

Der «Sonntagsklub», wie das Veranstaltungsformat im Effinger genannt wird, sei aber nicht als Nachtleben-Ergänzung gedacht, sagt Domenica Hitz, Geschäftsführerin und Inhaberin der Kaffeebar. Sie und eine Mitarbeiterin haben sich die Events ausgedacht, damit mehr Menschen am Sonntag in den Effinger kommen. «Am Sonntag haben wir erst seit Corona-Ende offen, und noch immer kommen nicht viele Leute.»

Le Ciel schliesst und eröffnet Pop-up

Der Club Le Ciel schliesst dieses Wochenende nach 14 Jahren. Aber ganz Schluss ist nicht. Wie Geschäftsführer Jan Kamarys auf Anfrage der «Hauptstadt» schreibt, werde er nach einem Umbau Ende März den «Huma Pop-up Club» am selben Ort eröffnen. 

Für ihn als 42-Jährigen sei das «junge Publikum» nicht mehr greifbar, schreibt Kamarys. Deshalb ändert er sein Konzept, der Huma Club wird frühere Öffnungszeiten haben und sich an Menschen ab 26 Jahren richten. Diesen fehle es an Ausgehmöglichkeiten in Bern, so Kamarys. 

Brändi Dog Turnier
Stellwerk Bern
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Durchmischte Getränkewahl, durchmischtes Publikum am Brändi Dog Turnier. (Bild: Danielle Liniger)

Mit seinem neuen Konzept vereint Kamarys damit gleich zwei Dinge, die die «Hauptstadt» im Nachtleben beobachtet hat: Den Vorteil von befristeten Lokalen und den Trend, dass junge Menschen weniger in den klassischen Ausgang gehen. 

Entsprechend flexibel plant Jan Kamarys. Der Huma Club wird von Ende März bis Mai am Bollwerk von «Afro House, R&B, Hip-Hop Classics bis zu House Classics Partys veranstalten», schreibt er. Danach wechselt der Huma Club in das Kubus Eventlokal in Bümpliz, das ebenfalls Kamarys gehört. 

Wie es danach weitergeht und ob der Club zum fixen Konzept wird, werde die Nachfrage entscheiden, schreibt Kamarys. 

Mehr Safe Space, weniger Exzess

Doch ganz ausgedient hat das Nachtleben, wie es die meisten kennen, nicht. Es existieren immer noch Clubnächte. Menschen, die dabei Alkohol oder Drogen konsumieren. Aber von allem gibt es weniger.  

Den Menschen sei der Sonntag wichtiger geworden, beobachtet Hergert, der seit Eröffnung des Stellwerks mit dabei ist und bereits davor in verschiedenen Clubs und Bars gearbeitet hat. Sie hätten Pläne wie Brunchen oder Wandern. «Als ich früher ausging, war klar: Der Sonntag fällt ins Wasser. Dann muss ich ausschlafen und auskatern.» Heute sei das nicht mehr so. 

Brändi Dog Turnier
Stellwerk Bern
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Auch an Spielabenden kann man neue Leute kennenlernen. (Bild: Danielle Liniger)

Wohl deshalb seien Daydances oder Veranstaltungen in einem gemütlicheren Rahmen beliebt. 

Was Bernhard Hergert aber auch sagt: Das Nachtleben ist unberechenbarer geworden. Die Veranstaltungen sind meist erst spät ausgebucht, die Menschen kommen spontan. Ein Paradebeispiel dafür sei die Silvesterparty gewesen. Noch am 27. Dezember seien nicht einmal die Hälfte der Tickets verkauft gewesen. «Früher waren die Silvesterpartys bereits Mitte Dezember sold out», sagt er. Diese Unberechenbarkeit mache die Planung schwieriger. 

Die Stimmung im Stellwerk ist nach einigen Runden «Stadt Land Fluss» aufgewärmt und gemütlich. Ab und zu gibt es Diskussionen über missverständliche Antworten, aber der Ton bleibt respektvoll. Getrunken wird zwar auch Bier oder Wein, aber ebenso oft Eistee oder sonstige non-alkoholische Getränke. 

«Die Menschen sind weniger konsumfreudig», sagt Hergert. Das habe auch Vorteile: Es gebe kaum Lämpe – auch wenn der Club wieder zum klassischen Nachtclub werde, bleibe das Publikum friedlich. 

Und das Flirten?

Bleibt ein Argument für den klassischen Nachtclub: Wo sonst lernt man ein*e Partner*in für die Nacht oder das Leben kennen? Doch auch das lässt Stellwerk-Mitarbeiter Hergert nicht gelten. Er habe an Spielturnieren wie Brändi Dog oder Tichu, bei denen Zweierteams gegeneinander antreten, beobachtet, dass Nummern ausgetauscht oder für eine zweite Partie abgemacht wurde. 

Eigentlich logisch. Neue Menschen kann man auch früher am Abend beim Spielen  kennenlernen. Vielleicht sogar auf eine bessere Art als spätnachts angetrunken in einem dunklen Club. 

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Diskussion

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Pascal Burri
26. Februar 2025 um 09:41

Einerseits wirkt es auf mich ein bisschen so, als wären die jüngeren Leute heute bereits mit mitte 20 extrem bünzlig, andererseits hat der Zeitgeist sich verändert, damit auch die Erwartung und das Bewusstsein für den Ausgang. Ich gehöre nicht mehr zu der Zielgruppe und das ist gut so. Trotzdem hoffe ich, mit einem kleinen Augenzwinkern, dass die gelegentliche Ausschweifung und der sonntägliche Kater nicht ganz auf der Strecke bleiben. Nicht jede Nacht, die dem Sonntag die geplanten Aktivitäten zunichte macht, ist eine verlorene Nacht.