Die Leiden der Berner Clubs
Weniger Gäst*innen, anderes Ausgehverhalten, komplizierte Auflagen. Die «Hauptstadt» beleuchtet die aktuellen Herausforderungen im Berner Nachtleben.
Die Nächte werden länger. Und mit ihnen die Zeit, in der das Nachtleben in Bern so richtig blüht.
Oder blühen könnte. Denn seit einiger Zeit scheint es in den Berner Clubs karger zu werden. Einige klagen, die Gäst*innen würden ausbleiben. Es kursiert die Vermutung, die Jungen hätten ein anderes Ausgehverhalten. Und den Behörden wird unterstellt, sie seien zu wenig freigiebig mit den Clubs.
Aber stimmt das wirklich?
Um dem auf den Grund zu gehen, hat die «Hauptstadt» mit aktuellen und ehemaligen Clubbetreiber*innen, der Bar- und Clubkommission (Buck), Politiker*innen und DJs über den Zustand des Berner Nachtlebens gesprochen. Vier momentane Herausforderungen lassen sich dabei herausschälen.
Gelingt einem Club der Generationenwechsel nicht, ist seine Lebensdauer befristet.
Das Ausgehverhalten verändert sich.
Es braucht eine Förderung für und Vertrauen in die Jungen.
Einen Club zu eröffnen ist kompliziert, die Bewilligungsverfahren sind umständlich.
1. Der Generationenwechsel
«In Bern würde ich nicht von einem generellen Clubsterben sprechen», sagt Corina Liebi, Geschäftsführerin der Bar- und Clubkommission und GLP-Stadträtin. Zwar würden immer mal wieder Betriebe schliessen, gleichzeitig an anderer Stelle neue öffnen. «Gerade Zwischennutzungen und Pop-ups boomen sehr», sagt sie.
Dass befristete Betriebe in Bern viele Gäst*innen anziehen, haben schon einige erkannt. Betriebe wie das L’ovestino am Bubenbergplatz, das Maison Bern am Theaterplatz oder das Kater Karlo im Postparc sind zwar nun nicht (mehr) als Pop-up für drei bis sechs Monate geöffnet. Eine allzu lange Lebensdauer haben sie wohl trotzdem nicht. Das L’ovestino ist auf fünf Jahre befristet, die Eventfirma Mosaik, die das Kater Karlo betreibt, hält sich offen, wann sie den Betrieb wieder schliessen will.
Es scheint einen Lebenszyklus für Clubs zu geben.
Das unterstreicht der umtriebige Berner Kulturtäter und Gastwirt Flo Eichenberger. Hänge ein Lokal zu fest an einer oder mehreren Personen, würden die Gäst*innen mit den Gastgeber*innen altern. Das werde spätestens dann zum Problem, wenn die Gäst*innen die Nächte mit Babys und nicht mehr mit Tanzen verbringen würden.
Diese These wird untermalt von der Entwicklung von Gaskessel und ISC. Beide gibt es seit rund 50 Jahren. Und in beiden Lokalen können junge Menschen niederschwellig Ideen einbringen, mitarbeiten und Partys veranstalten.
«Man muss offen sein, Neues auszuprobieren und reagieren, wenn man merkt, dass irgendwo eine Nachfrage ist», sagt ISC-Präsidentin Jacqueline Brügger zur Strategie des ISC.
Laut Buck-Geschäftsführerin Liebi ist das ein Hauptpunkt, warum die Situation heute schwierig ist: Einige Betriebe seien zu wenig schnell, um auf das veränderte Ausgehverhalten zu reagieren oder würden das bewusst nicht wollen, sagt sie.
2. Die wählerischen Gäst*innen
Dass Clubs zu wenig Gäst*innen haben, ist kein Novum. Tatsächlich ist das Ausgehverhalten von Schweizer Jugendlichen bereits seit 2018 rückläufig, wie eine Studie der ZHAW zeigt: Während 2010 noch sechs Prozent der Jugendlichen mehrmals pro Woche Clubs besucht haben, waren es 2018 noch drei Prozent und 2022 zwei Prozent.
Das zeigt sich nicht nur in der Schweiz, sondern auch in anderen Teilen der Welt, wie Gianluca Scheidegger vom Gottlieb Duttweiler Institut der «Hauptstadt» Auskunft gibt: Eine US-amerikanische Studie habe festgestellt, dass Menschen seit 2019 täglich etwa eine Stunde weniger mit Aktivitäten ausser Haus verbringen als in den Jahren zuvor. Dieser Trend habe sich bereits vor der Pandemie abgezeichnet, sei aber durch Covid-19 verstärkt worden.
Eine Studie aus Tübingen in Deutschland kam zum Befund, dass das klassische studentische Nachtleben seit Beginn der Pandemie deutlich abgenommen hat. Viele Studierende haben ihre Aktivitäten in den privaten und digitalen Raum verlagert.
Zudem: Die Konsument*innenstimmung ist historisch tief, wie Forscher Scheidegger bestätigt, auch wenn sie sich derzeit wieder leicht verbessere. Und an fast keinem anderen Ort lasse sich so einfach sparen wie bei den Kosten für den Ausgang.
Das junge Musikerinnen-Duo Irié sieht noch einen anderen Grund: Weil sicherere Räume, sogenannte «Safer-Spaces», in Clubs oftmals fehlen, würden sich besonders Tinfa*-Personen (Trans, Inter, Non-Binäre, Frauen, Agender) in der Clubatmosphäre weniger wohlfühlen und gemütlichen Abende mit Freund*innen vorziehen.
«Heute besucht man eine Party gezielt, weil ein bestimmtes Programm läuft. Früher ging man einfach», beurteilt Manuel C. Widmer, Grossrat der Grünen und langjähriger DJ, die Situation. Man wolle viel eher wissen, was einen erwartet. Momentan seien zum Beispiel Events zu Hardstyle Musik (Techno bei 145 BPM) bei den Jungen sehr beliebt. Oder Pubquizes – letzteres eindeutig kein klassisches Nachtclub-Angebot.
Braucht es eine andere Form von Ausgehangeboten, da die Nachfrage anders ist? Clubs wie das Stellwerk setzen neben dem klassischen Clubprogramm auch auf Spieleabende und Pubquizes. Damit kann aber ein Aspekt des klassischen Nachtlebens weniger abgedeckt werden: Mit anderen Menschen ausserhalb des eigenen Umfelds einfach und niederschwellig in Kontakt zu kommen.
3. Der ausgebremste Nachwuchs
Obwohl weniger junge Menschen in Clubs gehen, seien trotzdem viele junge Menschen im Clubleben engagiert. Das haben der «Hauptstadt» viele Akteur*innen bestätigt.
So etwa das Stellwerk, das laut Co-Geschäftsführer Tobias Moser viele junge Vereinsmitglieder habe, die im Betrieb tätig seien. «Die meisten von ihnen interessieren sich für den Bereich der Eventorganisation.»
Das Musikerinnen-Duo Irié findet deshalb, dass der Nachwuchs, und allen voran Tinfa*-Personen, gezielt gefördert werden sollten. Mit Förderprogrammen, Mentoring, oder feministischen Netzwerk-Anlässen, wie sie zum Beispiel Helvetia Rockt anbiete. Damit die Clubszene vielfältiger und inklusiver werde und ein diverseres Publikum anziehe.
Aber obwohl die Jungen engagiert seien, würden sie von der Komplexität des Clubbetriebs abgeschreckt, sagt Flo Eichenberger. Möchten sie selbst etwas auf die Beine stellen, bekämen sie von den Behörden und von der Stadt wenig Support. «Es erwartet sie ein Auflagen- und Behördendschungel.» Dass das junge Menschen überfordere, sei logisch.
Eichenberger weiss, wovon er spricht. Er hat mit dem Bewilligungsverfahren für das Sous Soul viel Erfahrung gemacht.
4. Die schwierigen Rahmenbedingungen
Schaut man auf die letzten zwanzig bis dreissig Jahre Clubgeschichte, hat sich in Bern einiges verändert. Früher gab es in der Matte den Wasserwerk Club und das Silo, später verlagerte sich Berns Ausgehmeile von der unteren in die obere Altstadt. Das liegt auch daran, dass es aufgrund von drohenden Lärmklagen und komplizierten Bewilligungsverfahren schwieriger geworden ist, einen neuen Betrieb zu eröffnen.
Davon kann Flo Eichenberger ein Lied singen: Er musste das Kulturlokal Sous Soul in der unteren Altstadt im Jahr 2011 wegen einer einzigen Lärmklage schliessen. Nun will er es mit vielen Mitstreiter*innen aus dem Kulturbereich im früheren Theater am Käfigturm wiedereröffnen. Geplant wäre die Eröffnung im Januar 2025. Wäre, denn nun ist unklar, wann er die Bewilligung vom städtischen Bauinspektorat und vom Regierungsstatthalteramt erhält.
Eichenberger erzählt differenziert von seiner Situation: «Die Behörden haben ein vorgegebenes Schema, dem sie folgen und das ist eigentlich auch gut so.» Damit würde eine Bevorzugung verhindert, nur weil man jemanden kenne. Gleichzeitig sei aber das schematische Vorgehen ein Problem. Denn ein Kulturbetrieb könne nicht bis auf ungewisse Zeit auf eine Baubewilligung warten. «Wir haben laufende Kosten, die andere Betriebe in dieser Phase und in diesem Umfang nicht haben. Je länger wir nicht öffnen können, desto höher müssen unsere finanziellen Reserven sein», sagt er am Telefon.
Neben der Miete hat Eichenberger auch Personalkosten, die er zahlen muss. Gleichzeitig besteht ein Problem mit dem Booking: Solange er nicht weiss, was das Sous Soul eröffnen kann, kann er das Programm nicht planen.
Das führt dazu, dass Flo Eichenberger auf glühenden Kohlen sitzt. Er könne nicht erst im Mai oder Juni öffnen, sagt er. «Im Sommer kommt kein Mensch in das dritte Untergeschoss. Dann müssten wir bis im Herbst warten und das finanzielle Ausmass würde extrem.»
Es sei zermürbend. Denn obwohl sich die Politik und einzelne Beamt*innen hilfsbereit zeigen, sei der behördliche Prozess ein «Administrationswahnsinn».
Für ihn ist klar: Kulturinstitutionen wie das Sous Soul brauchen nicht mehr finanzielle Beiträge, sondern einfachere Prozesse und mehr Verständnis und Wertschätzung von den Behörden.
*Die Bilder zu diesem Artikel entstanden tagsüber in den beiden Clubs Kapitel Bollwerk und ISC und zeigen die Ausgehlokale ungewohnt nüchtern.