«Es gab immer Krisen. Aber diese ist existenzieller»
Niemand arbeitet länger im Sous le Pont als Thomas Laube. Der Koch teilt seine Sicht auf die aktuellen Schwierigkeiten der Reitschule-Beiz.
Donnerstagnachmittag, das Restaurant Sous le Pont ist ohne Gäste. Am Stammtisch in der Ecke chillen ein paar junge Männer. Sie gehören zum Kollektiv der Reitschule – sonst wären sie gar nicht durchs verschlossene Eingangstor gekommen.
Im August musste das Sous le Pont seine Öffnungszeiten anpassen: Bis auf weiteres ist nur noch von Mittwoch bis Samstag am Abend Betrieb. Der Grund sind finanzielle Schwierigkeiten. Auf Instagram appelliert das Betreiber*innen-Kollektiv an Freund*innen des Hauses, die Reitschule zu besuchen und zu beleben. Diverse alternative Kulturlokale bern- und schweizweit kämpfen mit gleichen Problemen.
Mutmassungen, was schief läuft, gibt es viele. Wir wollen Thomas Laubes Sicht auf die Dinge erfahren. Der Koch ist das älteste Mitglied des Kollektivs. Er arbeitet seit 1997 ununterbrochen im Sous le Pont. Daneben ist er im Theater Tojo aktiv. Töml, wie er sich nennt, hat fast alle Epochen in der Geschichte der Reitschule miterlebt. Trotzdem gibt ihm die aktuelle zu denken: das ständig geschlossene Tor, der Deal auf dem Vorplatz.
In der Küche des Sous le Pont laufen die Vorbereitungen für den Abend langsam an. Wir setzen uns ans andere Ende der Beiz, zum Fenster. Töml hat uns Kaffee gemacht. Er klaubt sich einen Aschenbecher, erzählt leise, raucht zwischendurch. Irgendwann macht an der Bar jemand Musik an: Macy Gray – I try.
Wie geht es der Beiz?
«Das Kochen macht mir immer noch Freude. Aber die Umstände sind momentan schwierig. Wir würden gerne wieder Mittagessen anbieten, doch sie waren meistens unrentabel. Wir können uns gerade nicht leisten, Geld zu verlieren.
Wir haben durch die neuen Öffnungszeiten viel weniger Arbeitsschichten. Deshalb müssen manche Leute plötzlich noch andere Jobs suchen. Es ist auch schwieriger mit den Bestellungen: Wenn es am Samstag Resten gibt, müssen wir sie verschenken oder wegschmeissen, weil wir danach erst am Mittwochabend wieder geöffnet haben.
Es ist deprimierend für eine Beiz, wenn sie so oft geschlossen hat.
Die Reitschule ist nicht mehr zugänglich tagsüber, weil das Tor zu ist. Das ist schade. Es ist auch oft niemand da, der das Telefon abnimmt bei Reservationen. Es leidet alles unter diesem Sparbetrieb. Dabei sollten wir jetzt umso mehr Energie haben.»
Woher kommen die Schwierigkeiten?
«Es ist schwer zu sagen, was die Gründe für diese Krise sind.
Vielleicht spielt die Inflation mit. Dass die Leute weniger Geld haben, und halt nur noch ein Bier nehmen statt drei.
Einer der Gründe ist in meinen Augen auch die Situation auf dem Vorplatz, mit dem Deal und der Gewalt. Besonders als weiblich gelesene Person ist es recht mühsam. Es kann sein, dass man fünfmal auf eine blöde Art angesprochen wird, wenn man über den Platz geht. Das hält manche Menschen davon ab, sich hier zu treffen. Solche Rückmeldungen bekommen wir auch.
Die Reitschule hat keine einheitliche Haltung, was dagegen zu tun ist. Viele finden, es seien arme geflüchtete Menschen, die auf den Deal angewiesen sind. Deshalb dürfe man sie nicht einfach vertreiben. Ich sehe das mittlerweile auch.
Andererseits betreiben sie den Deal teilweise respektlos und auf unsere Kosten. Es gibt viel Gewalt und Schlägereien, es wird aggressiv auf die Leute zugegangen, ob sie etwas kaufen wollen. Das wäre alles nicht nötig. Denn die Leute, die hier Drogen kaufen wollen, musst du nicht ansprechen. Die kommen einfach. Also könnte man es viel diskreter machen.
Es ist nun mal illegal, in der Schweiz mit Drogen zu handeln. Ich finde: Macht es doch diskret. So, dass es Unbeteiligte nicht belästigt. Aber wie willst du das vermitteln? Die Menschen, die auf dem Platz dealen, wechseln immer wieder. Es müsste einen Kodex geben: Wenn du hier dealst, darfst du dies und das nicht. Das wäre auch zu ihrem Schutz. Denn wenn das Sous le Pont zu ist, haben auch sie diese Basis nicht mehr. Die Beiz ist für viele Menschen ein Rückzugsort.»
War früher alles besser?
«Gewalt auf dem Vorplatz hat es immer gegeben. Aber vor der Corona-Pandemie war der Platz ein Riesentreffpunkt an den Wochenenden. Es hielten sich Tausende Jugendliche hier auf, da ging der Deal eher unter. Jetzt ist es halt nur noch der Deal. Während Covid hat sich auch die Stimmung verändert. Sie wurde gewalttätiger, es gab mehr Überfälle.
Ich habe mehrere schwierige Phasen erlebt, in denen der Deal überhandnahm, es irgendwie eskalierte und Gewalt im Spiel war. Schon in meinen ersten zwei Jahren, Ende 1990er-Jahre, war das ein Riesenthema. Da standen wir eine Zeitlang selbst vorne am Eingang und schickten alle weg, die dealen wollten. Das ist total mühsam, aber es war damals das Einzige, was geholfen hat.
Es war in diesen Phasen meistens hilfreich, wenn die Reitschule etwas strikter durchgriff. Aber das ist auch eine Schwierigkeit. Wir sind nicht die Polizei. Andererseits macht es den Ort kaputt, wenn man nichts macht.
Ich finde die Initiativen sehr gut, die sich auf dem Vorplatz engagieren, Medina zum Beispiel. Es müsste meiner Meinung nach aber noch ein bisschen mehr vom Haus kommen, von den anderen Reitschul-Räumen. Wir von Sous le Pont und Rössli sind manchmal auf uns allein gestellt. Das kann überfordernd sein. Unsere Leute müssen zum Teil auch noch «sozialarbeiterisch» aktiv sein. Oder ziemlich oft Menschen wegschicken. Das ist immer ein emotionaler Stress.
Der interne Sicherheitsdienst der Reitschule ist nur bei Veranstaltungen im Einsatz. Bei Normalbetrieb können wir oft nicht alle Schichten für Präsenzen auf dem Vorplatz besetzen, weil es zu wenig Leute hat. Viele Personen in den verschiedenen Kollektiven haben keine Kapazitäten. Natürlich – es sind alle mit ihrem Ding beschäftigt. Wie wir ja auch. Wir bekommen es einfach am meisten ab wegen unserem Standort.»
Machen die Leute weniger Party?
«Viele alternative Lokale in der Schweiz haben ähnliche Probleme wie wir. Scheinbar gehen die jungen Leute ja weniger in den Ausgang. Aber ob das wirklich so ist: keine Ahnung.
Etwas fällt mir auf: Früher blieben die Leute viel länger sitzen am Abend unter der Woche, auch an Montagen oder Dienstagen. Da hast du um Mitternacht zugemacht, und dann blieben sie noch mindestens bis halb eins.
Heute sind um halb elf an einem Mittwoch noch vier Menschen hier. In dieser Hinsicht gibt es vielleicht schon ein anderes Ausgehverhalten als in meiner Jugend, wo du in der Beiz geblieben bist, bis sie dich rausschmissen. Vielleicht ist es heute den Leuten wichtiger als früher, dass sie am nächsten Tag arbeiten müssen.
Ein neueres Phänomen sind auch die vielen Pop-Ups im Sommer. Sie sind schön für das Publikum, aber sie gefährden die bestehenden Betriebe.»
Gibt es Zuversicht?
«Es hat immer Krisen gegeben, aber irgendwie ist diese schlimmer als alle davor. Sie ist existenzieller.
Ich hoffe, wir schaffen es, uns an die neue Situation anzupassen. Zuversichtlich stimmt mich, dass der Winter kommt. Der läuft meistens gut.
Wenn wir offen haben, läuft es aktuell nicht schlecht im Sous le Pont. Vor allem, wenn Theater oder Konzerte in der Reitschule stattfinden. Auch das kulturelle Programm im Rössli ist beliebt.
Wir müssen jetzt einen Effort leisten, damit wir die Mittage bald wieder anbieten können. Auch bei unserem Angebot müssen wir uns Mühe geben. Damit die Leute etwas essen können, wo sie sagen: Das war geil, ich komme wieder. Mir ist das sehr wichtig.»