Die 900 Nebenjobs der Professor*innen

Was tun Professor*innen der Universität Bern neben ihrer eigentlichen Arbeit als Lehrende und Forschende? Der «Hauptstadt» liegt die bisher unveröffentlichte, vollständige Liste der professoralen Nebenjobs vor.

Impressionen der Medienkonferenz der Universitaet Bern zu den Vorgaengen rund um das Institut fuer Studien zum Nahen Osten und zu muslimischen Gesellschaften (ISNO), fotografiert am Dienstag, 17. Oktober 2023 in Bern. (Hauptstadt / Manuel Lopez)
Das eingekleidete Hauptgebäude der Uni Bern. Die erstmals zugängliche Liste macht den Blick frei auf vielerlei Nebenjobs. (Bild: Manuel Lopez)

Der US-Pharmakonzern Pfizer, die Versicherungsgesellschaft Mobiliar, die Regierung von Bangladesch oder die dänische Novo Nordisk Foundation, die reichste Stiftung der Welt: Sie alle haben Professor*innen der Universität Bern als Expert*innen, Berater*innen oder Referent*innen beschäftigt. Das geht aus einer bisher nicht veröffentlichten Liste der Nebentätigkeiten von Professor*innen im Jahr 2022 hervor. Die Universitätsleitung hat sie der «Hauptstadt» auf Anfrage zur Verfügung gestellt.

Die Universität Bern hat sich grundsätzlich Transparenz auferlegt, was die Nebentätigkeiten ihrer über 500 Professor*innen angeht. Deren Stiftungs- und Verwaltungsrats-Mandate veröffentlicht sie jedes Jahr auf ihrer Website. Darauf finden sich insgesamt 183 Mandate.

Das sind allerdings längst nicht alle Jobs, denen Professor*innen ausserhalb der Uni nachgehen. Neben Stiftungs- und Verwaltungsratsmandaten übernehmen Berner Professor*innen auch Aufträge als Expert*innen, Gutachter*innen oder Gastdozent*innen. Auch alle diese Nebentätigkeiten (neben den ohnehin bewilligungspflichtigen Stiftungs- und Verwaltungsratsmandaten) müssen die Professor*innen gegenüber der Universität deklarieren und je nach Art und Umfang bewilligen lassen. Diese Deklarationen sammelt die Universität, veröffentlicht sie aber nicht. Auf dieser vollständigen Nebenjob-Liste finden sich gut 900 Nebentätigkeiten. 

Die «Hauptstadt» hat diese Liste, die erstmals öffentlich wird, analysiert und publiziert hier die wichtigsten Erkenntnisse zu folgenden Fragen:

  • Wie viele Professor*innen arbeiten nebenamtlich?
  • Für wen arbeiten die Professor*innen?

  • Welche Nebenjobs stechen dabei heraus?

  • Was sagt die Uni zu den Nebentätigkeiten ihrer Professor*innen?

  • Was verdienen die Professor*innen damit zusätzlich?

Wie viele der Professor*innen arbeiten nebenamtlich?

238 Professor*innen der Uni Bern deklarierten im Jahr 2022 Nebentätigkeiten, 144 Professor*innen weisen keinen Nebenjob aus. Damit haben 60 Prozent der Berner Professor*innen mindestens eine Nebentätigkeit deklariert. 

Am meisten Nebenjobs pro Kopf haben die Professor*innen der medizinischen Fakultät, dicht gefolgt von den Rechtswissenschaftler*innen. Am drittmeisten Jobs pro Prof haben die Angehörigen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät. Am wenigsten jene der theologischen Fakultät.

In welchen Funktionen arbeiteten die Professor*innen?

Die Universität gliedert die Nebentätigkeiten in acht verschiedene Bereiche. Den grössten Anteil machen Nebentätigkeiten aus, die nicht genauer aufgeschlüsselt werden: Es sind zum Beispiel Vorträge, Arbeiten für Verlage oder andere Unternehmen. Am zweithäufigsten arbeiten die Professor*innen als Expert*innen – an dritter Stelle stehen dann die bereits öffentlichen Verwaltungs- und Stiftungsratsmandate.

Für wen arbeiteten die Professor*innen?

Am häufigsten arbeiteten die Professor*innen für den Schweizerischen Nationalfonds (SNF), der im Auftrag des Bundes Forschung in allen Disziplinen fördert. Am zweithäufigsten findet sich die Universität selbst auf der Liste: denn auch Tätigkeiten an anderen Fakultäten müssen deklariert werden. Weiter finden sich viele Nebenjobs aus universitären Kontexten: Dabei handelt es sich um Lehraufträge für Universitäten in Zürich, Basel, oder auch Mailand, Maastricht oder Uppsala. Auch sind Professor*innen oft für Stiftungen aus Universitätsnähe oder mit Bezug zur Forschung tätig.

Im Bereich der Privatwirtschaft finden sich viele Mandate für Firmen aus der Medizin. In einem kurzen Überblick lassen sich etwa 50 Arbeiten für Firmen aus den Bereichen Pharma- oder Medizintechnik finden. Am häufigsten vertreten ist der multinationale Pharmakonzern Novo Nordisk und dessen Stiftung. Vereinzelt arbeiteten die Berner Professor*innen auch für Versicherungen und Banken. Das ist zum Beispiel eine Weiterbildung für die Mobiliar-Versicherung, eine Beratung oder ein Gutachten für die Vaudoise oder wissenschaftliche Mitarbeit bei der griechischen Landesbank. 

Insgesamt zeichnen die 900 Nebenjobs ein vielfältiges Bild von Nebentätigkeiten. Einige arbeiten viel und auf der ganzen Welt, andere in spezifischen Interessengebieten oder haben mit viel Geld zu tun. Die «Hauptstadt» hat einige Beispiele ausgewählt. 

  • Der Rekordhalter: Mit Abstand am meisten erfasste Nebentätigkeiten hat Daniel Surbek, Co-Klinikdirektor und Chefarzt der Frauenklinik am Inselspital. 41 Nebenjobs finden sich auf der Liste. Darunter Mandate als wissenschaftlicher Beirat für Pierre Fabre, ein multinationaler Pharma- und Hautkosmetik-Konzern (Avène) oder für den Pharma- und Bio-Technologie-Konzern Gedeon Richter. Weiter hielt er 2022 etwa 20 Vorträge oder Webinare, unter anderem für Ableger des Pharma-Giganten Novo Nordisk in Indien und Saudi-Arabien. Aus den Daten der Plattform pharmagelder.ch geht hervor, dass Surbek für zwei Vorträge im Auftrag von Pharma-Unternehmen im Jahr 2022 insgesamt 2’730 Franken erhielt. Wenn man von ähnlichen Honoraren für die anderen Engagements ausgeht, wären das 20- bis 30’000 Franken, die Professor Surbek 2022 zusätzlich verdient hätte.
  • Das Podium: Auf dem zweiten Platz der Nebenjobs-Rangliste steht Michael Müller, Chefarzt Gynäkologie am Insel-Spital, dessen 23 Mandate vor allem aus Arbeiten für die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe bestehen. Bronze kriegt der Rektor persönlich: Christian Leumann sitzt vor allem in Stiftungen und Gremien aus dem universitären Kontext ein.
  • Der Nuklearexperte: Andreas Türler, Forschungsgruppenleiter im Departement für Chemie, Biochemie und Pharmazie, ist ausgewiesener Experte in der Nuklearchemie und im Vorstand des Nuklearforums, einem Verein, der sich für die Nutzung und Entwicklung der Kernenergie in der Schweiz einsetzt. Mit im Vorstand sind Kader von Energieunternehmen wie BKW, Axpo, ABB, sowie Betreiber von Kernkraftwerken. Ausserdem war Türler für Unternehmen im Bereich der Strahlung als Berater tätig, zum Beispiel für die in Shanghai ansässige Full Life Technologies Inc. Zudem arbeitete er 2022 für die japanische Atombehörde als Experte, wie aus der Liste hervorgeht.
  • Der Geldverteiler: Matthias Arenz, Direktor Departement für Chemie, Biochemie und Pharmazie ist Kommissionsmitglied in der «Novo Nordisk Foundation». Die Stiftung ist Mehrheitseigentümerin am internationalen Pharma-Konzern Novo Nordisk, der vor allem als Hersteller von Übergewichts- und Diabetes-Medikamenten bekannt ist (Insulin, Ozempic). Die Novo Nordisk Foundation ist mit einem Stiftungsvermögen von über 100 Milliarden die reichste wohltätige Stiftung der Welt. Professor Arenz ist dort im Ausschuss für Natur- und Technikwissenschaften, wo er mit 8 anderen Mitgliedern die Entscheidungen des Stiftungsrats umsetzt. Jährlich spricht die Stiftung für den Bereich der Natur- und Technikwissenschaften Gelder in Höhe von 24,4 Millionen Franken.
  • Ein Dekan in Abu Dhabi: Der Dekan der medizinischen Fakultät und Neurologe Claudio Bassetti sitzt in diversen Stiftungen ein. Etwa in der «European Sleep Foundation», die sich für die Erforschung von Schlafstörungen einsetzt oder der Forschungsstiftung einer Rehaklinik. Im Jahr 2022 fand er trotzdem noch Zeit für die Behandlung eines VIP-Patienten in Abu Dhabi, wie aus der Liste hervorgeht.
  • Mister Worldwide: Peter Van Den Bossche ist Direktor des Instituts für Europa- und Wirtschaftsvölkerrecht und Professor an der Universität Bern. Zudem leitet er das «World Trade Institute» der Uni. Dementsprechend global sind seine Lehraufträge: Er lehrte 2022 an Universitäten in Ecuador, Belgien, Holland und Italien. Zudem arbeitete der Wirtschaftsrechtler für das indische Institut für Aussenhandel in Neu-Delhi und für die Aussenhandels-Behörde von Saudi-Arabien. Einen Online-Vortrag hielt er für ein Handelsforum in Seoul, Korea.

Wie steht die Universität Bern zu den Nebentätigkeiten ihrer Professor*innen?

Die Universität sehe Nebentätigkeiten ihrer Professor*innen grundsätzlich als Chance. Im Gespräch sagt Generalsekratär Christoph Pappa, dass das Einbringen von Fachwissen in die Gesellschaft mit zum Auftrag der Universität gehöre. Die Professor*innen würden dabei nicht nur in Verwaltungsräten «abkassieren», sondern etwa Stiftungen oder auch die öffentliche Hand mit ihrem Wissen helfen, gute Entscheidungen zu treffen. Davon seien viele Mandate auch im Ehrenamt. Er selber sei zum Beispiel im Stiftungsrat der Jeremias Gotthelf-Stiftung tätig: ehrenamtlich. 

Interview mit Professor*innen der Uni Bern zum Postkolonialismus fotografiert am Montag, 4. Maerz 2024 in Bern. (Jana Leu)
Wird mit seinen Nebenjobs nicht reich: Christoph Pappa,Generalsekretär der Universität. (Bild: Jana Leu)

Problematisch würden Nebentätigkeiten dann, wenn ein Interessenkonflikt vorliegt, das geistige Eigentum der Universität nicht ausreichend geschützt oder die Arbeitsbelastung durch Nebentätigkeiten zu hoch wird. Als Massnahme sieht das Reglement der Universität Bern etwa Pensenreduktionen vor. In den letzten Jahren habe die Universität diverse Nebentätigkeiten überprüft, aber keine Massnahmen ergriffen, so Pappa. 

Ein Blick nach Zürich und St. Gallen

Als die Uni Bern die Liste mit Stiftungs- und Verwaltungsratsmandaten vor zehn Jahren zum ersten Mal veröffentlichte, war sie eine der ersten Hochschulen in der Schweiz, die das tat. Mittlerweile veröffentlichen die meisten Unis eine ähnliche Liste – und gehen mit der Transparenz oftmals noch einige Schritte weiter. Nicht ganz freiwillig: Universitäten, deren Professor*innen mit ihren Nebenjobs negativ auffallen, haben strengere Richtlinien. An der Universität St. Gallen (HSG) gerieten ein Rektor und ein Professor mit ihren Verwaltungsratsmandaten in die Kritik: Seither darf der HSG-Rektor gar keine Nebentätigkeiten mehr ausführen. Zudem führte die Universität eine eigene Kommission für Nebentätigkeiten und kommuniziert die Nebentätigkeiten ihrer Professor*innen ausführlich auf ihrer Website. Auch die Zürcher Universität führt online ein ausführliches «Register der Interessensbindungen» ihrer Professor*innen, das auch Beratungs- oder Geschäftsleitungs-Mandate enthält. Diese Transparenz wurde der Universität 2015 vom Zürcher Kantonsrat auferlegt, als ein lange geheimes UBS-Sponsoring öffentlich wurde.

Was verdienen die Professor*innen mit ihren Nebenjobs?

Ordentliche Professor*innen verdienen an der Universität Bern zwischen 150’000 und 240’000 Franken im Jahr. Grundsätzlich gilt: Entschädigungen aus nicht-universitären Nebentätigkeiten können sie selbst einstreichen. Ausnahme sind universitäre Mandate, wie zum Beispiel jenes von Rektor Christian Leumann als Verwaltungsrat des Inselspitals. Von den 63 900 Franken, die er letztes Jahr für das Mandat erhielt, darf er höchstens 80 Prozent behalten. Neunzehn solcher universitären Mandate sind in der Liste der Universität erfasst.

Alle Professor*innen müssen aber gegenüber der Universität deklarieren, wie viel sie mit ihren Nebentätigkeiten verdient haben. Die Medienstelle der Universität gibt auf Anfrage an, diese Angaben aus rechtlichen Gründen nicht öffentlich machen zu wollen. Die Spanne reiche aber für einzelne Nebentätigkeiten von 0 bis 79‘650 Franken.

Ein weiterer Anhaltspunkt für die Zusatzverdienste bietet ein interner Bericht, welcher der «Hauptstadt» ebenfalls vorliegt. Dort ist zu lesen, dass den Professor*innen in 34 Fällen eine Infrastruktur-Pauschale in Rechnung gestellt wurde. Diese wird fällig, wenn eine Professorin mehr als 20’000 Franken mit einer Nebentätigkeit verdient. Eine Überschlagsrechnung ergibt dann ein durchschnittliches Zusatz-Einkommen von 40’000 Franken für die 34 Top-Nebenjöbler*innen der Universität Bern.

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Diskussion

Unsere Etikette
Georg Hensler
02. Mai 2024 um 07:22

Da lob ich mir meinen ehemaligen Professor: Er speiste seine Nebeneinkünfte in einen Drittmittelfond ein & stellte darüber Studierende als "wissenschatliche MitarbeiterInnen" an!

Christoph Grottolo
02. Mai 2024 um 05:53

Ob sich die Pflegefachpersonen im Inselspital wohl auch mit so zahlreichen und lukrativen Nebentätigkeiten versorgen können wie ein Teil ihrer Chefs? Ob sie neben der Arbeit noch Zeit und Musse dafür haben?

Danke für diese Recherche.