Hauptstadt-Brief Spezial – Fussball-EM #6
Das Finale steht an. Und für Frau Tifosa ist klar: Ganz viele schöne Erinnerungen an die Heim-EM werden bleiben.
Kaum hat die EM so richtig Fahrt aufgenommen, ist sie auch schon wieder vorbei. Heute ist Finaltag! Die Engländerinnen spielen gegen die Spanierinnen, die amtierenden Europameisterinnen gegen die Weltmeisterinnen. Es ist ein Final, den vor dem Turnier wohl einige vorausgesagt hatten. Doch ein Selbstläufer war die Qualifikation für keines der beiden Teams.
Ich könnte jetzt hier lange ausführen, wie das Turnier verlaufen ist, dass die Engländerinnen eigentlich schon zweimal hätten ausscheiden sollen und ich immer noch über diesen Penalty im Halbfinal gegen Italien wütend bin. Oder darüber, dass man in den KO- Spielen gesehen hat, dass die in der Gruppenphase unschlagbar wirkenden Spanierinnen doch schlagbar wären.
Doch viel interessanter ist meiner Meinung nach die Frage, was das Turnier abseits des Spielfeldes ausgelöst hat. Wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass einmal 25'000 Menschen durch die Stadt Bern ziehen werden, weil das Frauennationalteam spielt? Dass mich im Vorfeld dieses Spiels mehrere Familienmitglieder und Freund*innen fragen, ob ich ihnen nicht ein Ticket organisieren könnte? Dass während des Gurtenfestivals kurzerhand ein Public Viewing aufgestellt wird, dessen Leinwand im Vergleich zur unglaublichen Masse an interessierten Menschen viel zu klein ist? Ich hatte es mir gewünscht, doch wirklich daran geglaubt habe ich nie.
Doch nicht nur für die Schweiz war es ein wegweisendes Turnier, auch im Ausland wird es als jenes Turnier in Erinnerung bleiben, in dem der Frauenfussball erstmals sein ganzes Potential zeigte. Volle Stadien unabhängig davon, wer gerade spielt, gute Stimmung, hohe Einschaltquoten überall, Weltklasse-Spielerinnen und unglaublich unterhaltsame Spiele.
Noch lange werde ich mich zum Beispiel an das Viertelfinale zwischen Frankreich und Deutschland erinnern – eines der besten Fussballspiele, das ich je gesehen habe. Es war beeindruckend zu sehen, wie das deutsche Team 107 Minuten lang mit einer Frau weniger auf dem Platz spielte und sich zum Sieg kämpfte. Und dann war da noch diese Parade von Ann-Katrin Berger kurz vor Schluss der Verlängerung, ich hab das Video bestimmt hundertmal gesehen und weiss immer noch nicht, wie sie diesen Ball gehalten hat.
Ich blicke auf einen bewegten letzten Monat zurück: Wenn ich heute Abend im Joggeli sitzen werde, wird dies mein sechzehntes Fussballspiel innerhalb von sechsundzwanzig Tagen sein. Ich bin extrem dankbar dafür, dass ich nach 2008 wieder ein Heimturnier erleben durfte und dass die Nati es geschafft hat, das Land zu begeistern. Es bedeutet mir sehr viel, dass ich den Frauenfussball vor meinen eigenen Augen wachsen sehen durfte.
Ein einziges Spiel bleibt jetzt also noch übrig, dann ist die Heim-Euro Geschichte. Es wird komisch sein, ins normale Leben zurückzukehren, in dem Königin Fussball nicht jeden einzelnen Tag dominiert. Ich freue mich schon jetzt wie ein kleines Kind auf das nächste Turnier, die WM 2027 in Brasilien. Ich werde dabei sein, entweder vor dem Fernseher oder vor Ort. Ich hoffe, du auch.
Den ganzen Juli über findet in der Schweiz die Fussball-EM der Frauen statt. Vier Spiele davon werden in Bern angepfiffen. Die «Hauptstadt» nimmt das zum Anlass für einen Hauptstadt-Brief Spezial. Dazu spannen wir mit dem legendären Berner Fussball-Blog Zum Runden Leder zusammen: Im Vorfeld der Berner Spiele sowie vor den Halbfinals und dem Final schreiben die Autor*innen des Blogs über die EM – kompetent, niederschwellig und humorvoll. Mehr dazu erfährst du hier. Und hier kannst du dich für den Hauptstadt-Brief anmelden.
Eine letzte Portion EM-Extra:
- Gänsehaut: Der grösste Vorteil eines Heimturniers ist die Möglichkeit, viele alte Freund*innen wieder zu treffen und neue Menschen kennenzulernen. Eine solche Begegnung war jene mit Melina Schneider, selber auch ein langjähriger Fan des Frauenfussballs. Für das Basler Magazin Primenews hat sie diesen wunderbaren Text geschrieben.
- Kontinentalturnier I: Nicht nur in der Schweiz spielen die Frauen zurzeit Fussball, sondern auch in Ecuador. An der Copa América, dem südamerikanischen Pendant zur Euro, stehen diese Woche die Halbfinals an. Mit dabei sind auch die Brasilianerinnen, die seit der ersten Austragung 1991 mit einer Ausnahme sämtliche Turniere gewonnen haben. Brasilien trifft in seinem Halbfinal auf Uruguay. Im anderen Spiel duellieren sich Argentinien und Kolumbien um den Finaleinzug.
- Kontinentalturnier II: Bereits zu Ende ging gestern der Afrika-Cup der Frauen in Marokko. Im Finale siegten die Nigerianerinnen mit 3:2 gegen die Marokanerinnen, die es somit verpassten, das Turnier im eigenen Land zu gewinnen. Siegestorschützin war Jennifer Echegini mit einem Treffer in der 88. Minute. Die positive Stimmung im Team, die bereits bei der Ankunft im Stadion herrschte, dürfte damit einen neuen Höhepunkt erreicht haben.
- YB: Auch ohne EM gibt es in Bern hochklassigen Frauenfussball zu sehen. Die YB-Frauen starten am 23. August auswärts gegen St. Gallen in die neue Saison. Wenige Tage später steht das Champions League Qualifikationsturnier in Zypern an. YB trifft dabei zunächst auf Apollon Limassol. Bei einem Sieg würden dann entweder die Däninnen von Fortuna Hjørring oder die Schottinnen des Hibernian FC warten. Anschliessend würde eine weitere Qualifikationsrunde warten. Das erste Heimspiel der aktuellen Schweizer Meisterinnen findet erst Mitte September statt, wenn das Team rund um Trainerin Imke Wübbenhorst im Wankdorf Servette empfängt. Die Saisonkarte für alle Heimspiele der YB-Frauen kostet nur 60 Franken und ist hier erhältlich.
- Podcast: Du brauchst noch etwas Unterhaltung für die Zeit bis zum Saisonstart der YB-Frauen? Dann empfehle ich dir die sechsteilige RaBe Sondersendung We Can Foot It. Jede Episode dauert eine Stunde und widmet sich einem Thema rund um den Frauenfussball. Produziert wurde die Sendung von der französischsprachigen Hauptstadt-Kolumnistin Patricia Michaud. Oder du kommst Herr Maldini, Herr Rrr und mich im Runden Leder besuchen. Es erwarten dich täglich neue unterhaltsame Geschichten aus der Welt des Männer- und Frauenfussballs und aktuelle Berichterstattung rund um die YB-Frauen und -Männer. Übrigens: Letztere starteten gestern mit einem 3:1-Sieg gegen Servette in die Meisterschaft.
PS: Sowohl im Viertelfinale als auch im Halbfinale brachte die Einwechslung der englischen Spielerin Michelle Agyemang die Wende. Zweimal rettete sie die englische Nation in extremis vor dem Ausscheiden. Das passt, bedeutet ihr Nachname Agyemang in der ghanaischen Sprache Akan doch «Retterin der Nation». Nomen est Omen, würde ich meinen.
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