Die Braut sagt Nein
Obschon die Stadt Bern der Gemeinde Ostermundigen den roten Teppich ausrollte, lehnt diese die Fusion deutlich ab. Ein Debakel – vor allem für die Stadt Bern.
Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) formulierte es in der reformierten Kirche von Ostermundigen, wo die Spitzen der beiden Gemeinden am Sonntagnachmittag das Abstimmungsergebnis kommentierten, so: «Wir müssen neidlos anerkennen, dass die Gegnerschaft in Ostermundigen den Ton besser getroffen hat als wir.»
Erstaunlich: Das Fusionsprojekt Ostermundigen-Bern war stets von einer professionellen und gut entschädigten Kommunikationsagentur begleitet. Das Nein-Komitee hingegen setzte auf eine ästhetisch handgestrickt wirkende Kampagne mit leidenschaftlichen Stellungnahmen. Tenor: Ostermundigen dürfe sich von der rot-grünen Stadt nicht täuschen lassen. Die Fusion sei eine Mogelpackung. Die grosse Stadt wolle Ostermundigen eingemeinden und anschliessend die letzten grünen Landreserven zubauen. Sackgasse!
Prestigeprojekt gescheitert
Die simple Argumentation mit Anti-Stadt-Emotionen setzte die Kommunikations-Profis schachmatt: Während die Stadtberner Stimmberechtigten die Fusion mit Ostermundigen mit 72 Prozent Ja-Stimmen annahmen, lehnte Ostermundigen das Fusionspaket mit 57 Prozent Nein-Stimmen unmissverständlich ab. «Wenigstens», sagte von Graffenried noch, «ist es ein eindeutiges Ergebnis.» Es gibt keinen Interpretationsspielraum: Das Thema Fusion ist in der Agglomeration Bern mit diesem Debakel vom Tisch. Wohl für Jahrzehnte.
Alec von Graffenried betonte zwar, dass es angesichts der Opposition eine Sensation gewesen wäre, die Fusionsabstimmung zu gewinnen: «Die Revolution ist verschoben.» Der lockere Spruch ändert nichts daran, dass die Abfuhr aus Ostermundigen eine bittere Niederlage für ihn ist. Schon in seinem Stapi-Wahlkampf 2016 positionierte er sich als Fusions-Befürworter, später erklärte er das Projekt Ostermundigen-Bern zum wichtigsten strategischen Dossier der Legislatur.
Er habe getan, was möglich sei, die Mehrheit der Stadt stehe hinter ihm, sagte er gestern. Dafür, wie Ostermundigen abstimme, könne er nicht verantwortlich gemacht werden. Das stimmt. Was aber auch stimmt: Ein Jahr vor den nächsten Wahlen ist von Graffenrieds wichtigstes Projekt sang- und klanglos gescheitert.
Rot-grüner Planet
Allerdings hilft es niemandem, sich jetzt an Alec von Graffenried abzuarbeiten. Ihn zum Abgang aufzufordern, wie das etwa Tobias Frehner von den Jungfreisinnigen tut. Die Stadt hat ein Problem, das über den Stapi und das Fusionsprojekt Ostermundigen-Bern hinausgeht: Sie wird ausserhalb ihrer Grenzen nicht verstanden. Sie wird nicht als Rollenmodell dafür gesehen, wie man die urbanen Probleme – Finanzen, Migration, Wohnungsnot – anpacken könnte. Lieber will sich Ostermundigen selber an seinen finanziellen Problemen die Zähne ausbeissen: Noch diese Woche wird das Mundiger Parlament eine Steuererhöhung diskutieren.
Es spricht heftig gegen die Stadt Bern, dass sie Ostermundigen tiefere Steuern und höhere Leistungen versprach, auf die Knie ging vor der Braut und ihr einen roten Teppich ausrollte – und diese nun trotzdem Nein sagt. Weil sie sich fürchtet vor überbordender Bürokratie, komplizierten Bewilligungsverfahren, weltfremden politischen Debatten.
Kommt die Bürokratie-Offensive?
So gesehen ist die Stadt Bern die wahre Verliererin dieser Abstimmung. Die Fusion hätte ihr aus Ostermundigen wohl aufmüpfiges politisches Personal gebracht, das gefestigte Mehrheitsverhältnisse wenigstens ein bisschen aufgemischt hätte. Das – wie Ostermundigens Gemeindepräsident Thomas Iten (parteilos) oder Vize-Präsidentin Aliki Panayides (SVP) – motiviert gewesen wäre, Ostermundiger Macher*innen-Mentalität nach Bern zu importieren.
Vor einem Jahr sagte Alec von Graffenried im «Hauptstadt»-Interview, die Stadt Bern brauche eine Anti-Bürokratie-Offensive, für die er sich von der Fusion mit Ostermundigen Impulse erhoffe. Daraus wird jetzt nichts.
Das rot-grüne Lager kommentierte die gescheiterte Fusion am Sonntag unisono als «verpasste Chance». Die Niederlage könnte aber eine Chance sein. Wenn es von Graffenried gelingt, seine rot-grüne Mehrheit für einen Anti-Bürokratie-Effort zu gewinnen, könnte das Debakel von Ostermundigen einen positiven Effekt haben. Das wäre dann wohl das nächste wichtigste strategische Ziel.