Notschlafstellen – Stadtrat-Brief #4
Sitzung vom 16. März – die Themen: Notschlafstellen für Frauen, Kitas, Zahngesundheit, Fernwärme, Polizeigeld, Museumsnacht.
Für sein Ratspräsidialjahr hat sich Michael Hoekstra (GLP) vorgenommen, die Geschäftslast abzubauen. An der gestrigen Sitzung hat sich gezeigt, was passieren kann, wenn Vorstösse lange unbehandelt auf dem Pendenzenberg liegen: Die Antworten des Gemeinderates sind veraltet und entsprechen nicht mehr der aktuellen Lage.
So passiert bei einer Motion aus dem Jahr 2019. Die Einreicher*innen sitzen alle nicht mehr im Stadtrat, Lea Bill (Grünes Bündnis) hat den Vorstoss übernommen. Gefordert wird eine Notschlafstelle für Frauen. Eva Chen (Alternative Linke) hatte sich für ihr Votum bei der Frauenfachgruppe Bern nach deren Einschätzung erkundigt. Es bestehe «dringender Bedarf» an Notschlafangeboten für Frauen. Das aktuell Angebot reiche nicht: Durch die Präsenz von Cis-Männern fehle den Frauen ein ausreichender Schutzraum.
In seiner Antwort vom 20. November 2019 schreibt der Gemeinderat, dass kein Bedarf für eine Schlafstelle für Frauen bestehe. Gestern Abend aber hat Gemeinderätin Franziska Teuscher zugegeben, dass die Antwort heute anders ausfallen würde. Die Notschlafstellen seien überfüllt und an ihre Kapazitätsgrenzen gestossen. Aktuell würden in Bern rund 44 Menschen draussen schlafen, etwa zehn Prozent davon Frauen. Und bei Frauen sei die Dunkelziffer höher als bei Männern, ebenso die Gefahr, dass sie in eine Ausbeutungssituation gelangen, so Teuscher.
Obwohl sie das Anliegen begrüsse, beantragte Franziska Teuscher die Ablehnung der Motion. Wegen der Finanzen: Würde der Stadtrat die Motion annehmen, müsste eine Notschlafstelle für Frauen aufgebaut werden – was logischerweise mit Kosten verbunden wäre. Sie ermahnte die Ratsmitglieder, dass sie bei der Budgetdebatte den entsprechenden Betrag sprechen müssten, sonst ergebe der Auftrag keinen Sinn.
Der Rat hat sich mit 54 Ja- und 7 Nein-Stimmen bei 2 Enthaltungen für die Motion ausgesprochen – allerdings «mit Richtliniencharakter». Das heisst, dass der Gemeinderat innerhalb von zwei Jahren begründen muss, inwieweit er der Motion folgen will. Verpflichtet, einen Reglementsentwurf auszuarbeiten, ist er aber nicht. Noch ist es also keine beschlossene Sache, dass die Stadt Bern eine Notschlafstelle für Frauen erhält.
Und das war sonst noch wichtig:
- Fernwärme: Seit 2020 baut EWB das Fernwärmenetz in der Stadt Bern aus. Anstatt den aufgerissenen Strassenbereich nach den Bauarbeiten in den alten Zustand zu bringen, soll dieser aufgewertet werden. Zum Beispiel entsiegelt und bepflanzt oder mit breiteren Trottoirs versehen. Der Stadtrat hat einen entsprechenden Rahmenkredit in der Höhe von 48,2 Millionen Franken gesprochen (61 Ja, 0 Nein, 5 Enthaltungen). Abschliessend über den Kredit entscheiden wird das Stimmvolk.
- Kitas: Die Stadt Bern kann die öffentlichen Kitas mit Steuergeldern unterstützen. Grund dafür ist Corona: In den Pandemiejahren haben Kitas Verluste gemacht. Die privaten konnten die finanziellen Einbussen mit Mitteln von Bund und Kanton auffangen; jenen der Stadt Bern hingegen stand diese Möglichkeit nicht zur Verfügung. Durch eine Änderung des Betreuungsreglements können nun bis Ende 2024 Beiträge aus dem Allgemeinen Haushalt an die öffentlichen Kitas fliessen. Wie hoch diese sein werden, wird der Stadtrat später beschliessen.
- Zahngesundheit: Der Stadtrat hat für den Schulzahnmedizinischen Dienst (SZMD) einen Nachkredit von 548’000 Franken gesprochen (59 Ja, 11 Nein, 0 Enthaltungen). Neu beträgt der Globalkredit 2,1 Millionen Franken. Ueli Jaisli (SVP), Milena Daphinoff (Die Mitte) und Tom Berger (FDP) kritisierten in ihren Voten die schlechte Organisation des SZMD und forderten, dass eine Zusammenarbeit mit den Zahnmedizinischen Kliniken der Universität Bern rasch erfolge. Aus der Antwort des Gemeinderats geht hervor, dass er eine Zusammenarbeit prüfen wird. Möglich sei zum Beispiel, Personal zu teilen.
- Polizeiinspektorat: Einen Nachkredit hat der Stadtrat auch für das Polizeiinspektorat gesprochen (39 Ja, 20 Nein, 4 Enthaltungen). Dieser beträgt satte 2,8 Millionen Franken. Grund dafür ist, dass das Polizeiinspektorat deutlich weniger Geld eingenommen hatte als vorgesehen war. Zum Beispiel war die Erhöhung der Parkgebühren schon eingerechnet und es wurden – als Corona-Folge – weniger Bewilligungen für Taxifahrer*innen ausgestellt. Janosch Weyermann (SVP) fand es «unseriös», dass bereits mit den höheren Parktarifen budgetiert worden sei angesichts der Absehbarkeit des Referendums gegen dieses Vorhaben. Auch Simone Richner (FDP) regte an, künftig konservativer zu budgetieren.
Ratsmitglied der Woche: Mirjam Roder
Mirjam Roder ist 28 Jahre alt und sitzt seit Januar 2021 für die Grüne Freie Liste im Stadtrat. Sie hat einen Bachelor in Biologie und macht einen Master in Schweizer Politik an der Universität Bern.
Warum sind Sie im Stadtrat?
Die Wahl in den Stadtrat hat mich überrascht und gefreut. Ich bin in der Stadt Bern aufgewachsen und geniesse das Privileg und die Herausforderung nun sehr, unsere wunderschöne Stadt aktiv mitgestalten zu können. Meine politischen Herzensangelegenheiten sind echte, gelebte Gleichstellung, Chancengleichheit im Bildungssystem sowie faire Einbürgerungsverfahren für alle.
Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?
Mir wurde gesagt, ich sei auf den ersten Blick das überlegte, tiefe, stille Wasser. Auf den zweiten Blick die lebendige Professionalität mit Humor und könne über Parteien hinweg ohne Dogma und Ideologie an der Sache arbeiten.
Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?
Natürlich gab es immer wieder kleinere Misserfolge, wie die Ablehnung einzelner Anträge zu Sachgeschäften. Aber ehrlich gesagt sind bisher alle mir wirklich wichtigen Anliegen glücklicherweise erfolgreich verlaufen, weshalb ich keinen klaren grössten Misserfolg benennen kann.
Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?
Auf die Zusammenarbeit im Rat über die Parteigrenzen hinaus, wodurch einige gewinnbringende Vorstösse entstanden sind. Dabei bin ich besonders stolz auf meinen ersten Vorstoss, den ich zusammen mit sechs anderen neu gewählten Stadträtinnen, jeweils aus unterschiedlichen Fraktionen, zum Thema sexuelle Gewalt im öffentlichen Raum einreichen durfte.
Welcher ist Ihr liebster Stadtteil und warum?
Eindeutig der Stadtteil VI. Ich bin in Bethlehem aufgewachsen und nach einigen Jahren in anderen Quartieren hat es mich wieder dort hingezogen. Mir gefällt besonders die Nähe zwischen städtischem und ländlichem Gebiet sowie das Nebeneinander verschiedenster Lebensentwürfe, die man im Alltag antrifft.
PS: Heute Abend kannst du dir selbst ein Bild machen vom Ort, wo der Stadtrat tagt. Im Rahmen der Museumsnacht ist nämlich das Rathaus offen. Auf dem Programm stehen diverse Aktivitäten mit Geodaten: Quiz, Theater, Memory, Musik. Ausserdem sind fünf Regierungsrät*innen anwesend.