Schwarze Null – Stadtrat-Brief #16/2025

Sitzung vom 18. September 2025 – die Themen: Budget 2026; Kita-Integration; Ganztagesschulen; Schwimm-Sponsoring; Sitzungsabbruch. Ratsmitglied der Woche: David Böhner (AL).

Stadtrat-Brief
(Bild: Silja Elsener)

Der Stadtrat führte die Detaildebatte zum Budget 2026 mit dem Spannungsgehalt eines Fussballspiels, bei dem Team Rot mit taktischen Varianten den knappen Vorsprung über die Zeit zu retten versuchte.

Die SP, die mit Abstand grösste Partei, steuerte den Match. Nach rund neunstündiger Debatte und der Abarbeitung von 160 Änderungsanträgen verabschiedete der Stadtrat das Budget 2026 – bei einem Haushalt von 1,4 Milliarden Franken – mit einem Überschüsschen von 66’382 Franken. Im Finanz-Slang sagt man dem: eine schwarze Null.

So viel blieb übrig von den 2,6 Millionen Franken Überschuss, die das Budget 2026 in der Version des Gemeinderats enthalten hatte. Das heisst: Der Stadtrat packte im Vergleich zur Regierung über 2 Millionen Franken an Mehrausgaben obendrauf. Damit war das Parlament im Vergleich zu den letzten Jahren trotz vermeintlicher Sparstimmung in gewohnter Ausgabelaune: In den Budgetdebatten 2024 und 2023 erhöhte der Stadtrat die Ausgaben um jeweils 1,8 Millionen Franken.

Finanzdirektorin Melanie Mettler (GLP) rang sich aber zu einem positiven Fazit durch: Das Parlament trage den von ihr eingeschlagenen finanzpolitischen Weg «im Grundsatz mit». Jede der fünf Direktionen war für das Budget 2026 angehalten, neue Ausgaben mit Sparmassnahmen zu kompensieren. Um insgesamt zehn Millionen Franken speckte die Regierung so ab, acht Millionen Franken trug allein die Direktion für Bildung, Soziales und Sport (BSS) von Ursina Anderegg (GB) bei. Gut zwei Millionen Franken davon hat der Stadtrat nun wieder rückgängig gemacht – hauptsächlich bei der BSS. Wo genau, liest du weiter unten.

Bemerkenswert zur Budgetdebatte sind zwei Beobachtungen. Erstens: Die bürgerlichen Parteien SVP, FDP und Mitte, die Melanie Mettlers Wahl 2024 unterstützt haben, lehnen ihr Budget nach der Stadtratsdebatte ab. Mitte-Stadtrat Nicolas Lutz brachte die Kritik an der Taktik der SP in einem launigen Votum auf den Punkt: Die «homöopathischen Ausgabensenkungen», die nun zu den knapp schwarzen Zahlen geführten hätten, seien bloss «ein Valium». In Tat und Wahrheit fliesse alter Wein in neuen Schläuchen, «wir kaufen nach wie vor einen Porsche, wenn ein VW auch genügen würde». Ihm sei klar, dass der Preis für die schwarze Null Nachtragskredite seien, «die jetzt schon bereitliegen».

Beobachtung Nummer zwei: Der finanzpolitische Kurs der SP strapaziert auch die Nerven im Rot-Grün-Mitte-Bündnis. Diverse Ausbauwünsche von GB/JA, vor allem im Bereich Biodiversität, erhielten den Segen der SP nicht. Andererseits spart auch die GFL, die Partei von Gemeinderat Alec von Graffenried, nicht mit Kritik an der SP. Einerseits werde im nicht-operativen Bereich – etwa mit zusätzlichen Kommunikationsstellen auf den Generalsekretariaten – weiter «mit grosser Kelle angerichtet». Andererseits «stüdele» man bereits beschlossene Leistungen – etwa im Strassenunterhalt – einfach hinaus. Die schwarze Null sei bloss ein Resultat von Budgetkosmetik, der Gemeinderat müsse nun richtig über die Bücher und dürfe sich nicht mehr davor drücken, von seiner «schuldenfinanzierten Wachstumstrunkenheit» abzuweichen.

Portraits von Ratsmitgliedern des Stadtrats Bern fotografiert am Donnerstag, 22. Mai 2025 in Bern. (hauptstadt.be / Daniel Buergin)
Ratsmitglied der Woche

David Böhner (58) sitzt seit 2022 für die Alternative Linke im Stadtrat. Er arbeitet als Drucker im Kollektiv der Druckerei Reitschule und engagiert sich seit Jahrzehnten als Aktivist in zahlreichen Gruppen und Initiativen der ausserparlamentarischen Linken. Warum sind Sie im Stadtrat?

Ich durfte im September 2022 in den Stadtrat nachrutschen, obwohl ich bei den vorhergehenden Wahlen auf unserer Liste im hinteren Mittelfeld gelandet bin. Bei den Stadtratswahlen Ende 2024 bin ich dann tatsächlich gewählt worden. 

Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?

Ich komme aus der anarchistisch geprägten ausserparlamentarischen Linken und sehe es als meine Aufgabe, Räume für die sozialen Bewegungen in Bern zu vergrössern und zu erschliessen. Unsere kleine Linksaussen-Fraktion AL/PdA/Tier im Fokus fungiert im Rat als das schlechte Gewissen der RGM-Mehrheit. Wir versuchen, diese Rolle möglichst gut zu spielen und die linken und grünen Gemeinderats-Parteien an ihre Parteiprogramme zu erinnern. Das ist manchmal schmerzhaft und nervig, wird aber durchaus auch geschätzt von den Ratsmitgliedern. 

Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?

Der grösste Misserfolg ist gleichzeitig auch einer der grössten Erfolge. Unser Vorstoss für die Abschaffung kommerzieller Werbung im Aussenraum wurde vor knapp zwei Jahren hauchdünn angenommen. Mit einem perfiden Antrag in der Budgetdebatte – angeführt von der SP – hat der Stadtrat diesen Erfolg nun wieder rückgängig gemacht. Mit dem angenommenen Antrag wird der Gemeinderat aufgefordert, eine Abschreibung der Motion zu verlangen, anstatt das Reklamereglement zu überarbeiten, wie es die überwiesene Motion verlangt hat.

Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?

Dank meiner Initiative hat der Stadtrat in den letzten drei Jahren jeweils eine Spende für die Seenotrettung im Mittelmeer gesprochen. Mit diesen 70'000 Franken werden Menschenleben gerettet. Ich bin froh und dankbar, dass eine Mehrheit im Stadtrat bereit ist, über die Gemeindegrenzen hinaus zu denken und sich solidarisch zeigt mit Menschen in Not, unabhängig von ihrer Herkunft. 

Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?

Die Lorraine. Ich wohne seit fast 30 Jahren dort – mit kurzen Unterbrüchen. Ich mag den dörflichen Charakter, die Nähe zur Aare und zum Stadtzentrum. Es hat sich viel verändert in den letzten 10 Jahren – Stichwort Gentrifizierung und Vertreibung von Menschen, die sich die Mieten nicht mehr leisten können. Dank der Liegenschaften im städtischen Besitz und der Präsenz von kleinen, selbstverwalteten Wohnbaugenossenschaften gibt es zum Glück immer noch erschwinglichen Wohnraum.

Die wichtigsten Entscheide der Budgetdebatte

  • «Tür an Tür»: Mit dem Präventionsformat «Tür an Tür» sensibilisiert die Stadt Bern zum Thema häusliche Gewalt. Um «Tür an Tür» mittelfristig zu sichern, spricht der Stadtrat für 2026 zusätzliche 115’000 Franken.
  • Bilinguismus: Der Schulversuch mit den Classes bilingues wird beendet, aber der Stadtrat will den zweisprachigen Unterricht an der Volksschule trotzdem fördern. Wie genau, ist im Moment unklar. Der Stadtrat stellt dafür die Hälfte des Beitrags an Clabi – 165’000 Franken – im Budget ein.  
  • Bee-flat: Weil der beantragte Clabi-Beitrag halbiert wurde, war der finanzpolitische Weg frei, dass der Stadtrat den klammen Konzertveranstaltunger Bee-flat 2026 mit 100’000 Franken unterstützt. 
  • Schüler*innenzahlen: In der Stadt Bern gehen immer mehr Kinder zur Schule. Um die Kosten für etwa Unterrichtsmaterialien daran anzupassen, legt der Stadtrat im Budget 2026 einen Zusatzbetrag von 93’000 Franken fest.
  • Kinderbetreuung: Die rot-grüne Stadt Bern will in der Tagesbetreuung einen Betreuungsschlüssel von 1:6 (eine Betreuungsperson auf sechs Kinder) einführen. Dieser Grundsatz soll gemäss der Stadtratsmehrheit nicht aus Spargründen weiter hinausgeschoben werden. Deshalb werden im Budget 2026 im Vergleich zur Gemeinderatsversion zusätzlich 750’000 Franken reserviert. 
  • Deutschkurse: Die niederschwelligen Deutschkurse im Weyerli werden nicht wie vorgesehen weggespart, sondern im Budget 2026 mit 40’000 Franken bedacht.
  • Frühförderung: Die Stadt Bern will den chancengerechten Zugang zu vorschulischer Bildung fördern. Für die Stadtratsmehrheit kommt es nicht in Frage, auf die Weiterentwicklung der Frühförderung zu verzichten. Dafür stellt sie im Budget 2026 zusätzliche 250’000 Franken bereit.
  • Lernbegleitung: Im Unterschied zum Gemeinderat will der Stadtrat die kostenlose Lernbegleitung für Kinder weiterführen, die privat keinen Zugriff auf Unterstützung haben. Er stellt dafür zusätzlich 330’000 Franken ins Budget.
  • Werbeverbot: Vor ungefähr einem Jahr hat der Stadtrat eine Motion für ein Verbot von Aussenwerbung angenommen – unter anderem mit Stimmen aus der SP-Fraktion. Mit den Stimmen der SP ist die Stadtregierung nun im Rahmen der Budgetdebatte beauftragt worden, diese Motion abzuschreiben – also auf das Werbeverbot zu verzichten. Das führt dazu, dass die Stadt weiterhin auf jährliche Konzessionseinnahmen von gut fünf Millionen Franken pro Jahr zählen kann.
  • Kommunikation: Der Gemeinderat will in drei Direktionen zusätzliche Kommunikationsstellen schaffen. Die FDP, aber auch die GFL, sahen darin Sparpotenzial. Davon wollte die Stadtratsmehrheit aber nichts wissen.

    Darüber debattierte der Stadtrat weiter

    • Kita: Auch nach der Budgetdiskussion stand das Verhalten der SP im Zentrum der Debatte im Stadtrat. Die SP verhalf einer dringlichen Motion der Fraktion AL/PdA/TiF zum Durchbruch, die verlangt, dass die städtischen Kindertagesstätten (Kita) in die Kernverwaltung integriert werden. Aktuell sind die Kitas als Spezialfinanzierung ausgelagert. Aber seit der Kanton flächendeckend Betreuungsgutscheine eingeführt hat, darf die Stadt die Defizite ihrer Kitas nicht mehr über den allgemeinen Haushalt decken. Sie müssten also eigenwirtschaftlich funktionieren. Kinderbetreuung sei kein Business Case, sagte SP-Sprecher Emanuel Amrein. Möglicherweise sei eine Eingliederung in die Verwaltung die «für die linkste Stadt der Schweiz naheliegendste Lösung». Die Stadtregierung ist eigentlich auf anderem Kurs. Ein Expertenbericht hatte vor zwei Jahren von einer Eingliederung in die Verwaltung eher abgeraten. Eine Teilrevision des Betreuungsreglements ist laut Gemeinderätin Ursina Anderegg weit fortgeschritten.  
    • Ganztagesschulen: Mit deutlichem Mehr überwies der Stadt eine SP/Juso-Motion, die die Einführung von Ganztagsschulen in allen Stadtberner Schulkreisen verlangt.
    • Sponsoring: Keine Chance hatte ein Vorschlag von Béatrice Wertli(Mitte), den sie als innovativ anpries. Sie wollte Schwimmbahnen in städtischen Bädern als Werbeflächen öffnen, um so Sportinfrastruktur mitzufinanzieren. Erstaunlicherweise konnte auch die FDP, die sich heftig gegen das von Linksaussen promotete allgemeine Aussenwerbeverbot gewehrt hatte, nichts mit Wertlis Idee anfangen. Werbung sei in Ordnung, sagte Fraktionschef Nik Eugster, aber man dürfe es nicht übertreiben, sonst wecke man bloss radikale Vorstösse dagegen.
    • Sitzungsabbruch: Nach der Marathondebatte ums Budget war vielen Stadträt*innen die Energie fürs Politisieren ausgegangen. Unmittelbar nach der Abendpause um 20.30 Uhr stellte Anna Jegher (JA!) den Ordnungsantrag, die Sitzung abzubrechen. Er wurde haarscharf abgelehnt. Eine Stunde später trat SVP-Fraktionschef Alexander Feuz mit demselben Ordnungsantrag ans Rednerpult. Er, der im rot-grünen Bern praktisch nie Abstimmungen gewinnt, feierte einen seltenen Sieg. Die Sitzung wurde um 21.45 Uhr (statt um 22.30 Uhr) beendet. Die Sitzungsgelder werden trotzdem fällig. Der sichtlich konsternierte Ratspräsident Tom Berger (FDP) machte die aufbrechenden Stadträt*innen vergeblich darauf aufmerksam, dass der Pendenzenberg wieder wachse.

    PS: Der Ratspräsident vermeldete am Donnerstagabend die Rücktritte Nummer vier und fünf der seit neun Monaten laufenden Legislatur. Sarah Rubin (GB) verlässt den Stadtrat nach über sechs Jahren, ersetzt wird sie durch Lea Schweri, die ihrerseits bis zum Ende ihres Mutterschaftsurlaubs von Karel Ziehli vertreten wird. Neu in den Stadtrat kommt für die Juso Gourab Bhowal. Bhowal übernimmt den Sitz von Sofia Fisch. Ratspräsident Tom Berger würdigte Sofia Fisch unter anderem für den Mut, als erstes Mitglied des Stadtrats offen eine nonbinäre Identität zu leben.

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