Nur 1 Prozent der EWB-Kund*innen bestellen Biogas
Politisch ist die Stadt Bern rot-grün dominiert. Doch wenns ums Heizen geht, ist es mit der Nachhaltigkeit vorbei. Bei fast allen Gasheizungen fliesst russisches Erdgas in den Heizkessel.
Der Krieg in der Ukraine zeigt uns neben den menschlichen Abgründen auch die Probleme und die Abhängigkeiten von nicht erneuerbaren Energien auf. Satte 43 Prozent des in die Schweiz importierten Erdgases kam im vergangenen Jahr aus Russland. Das gilt auch für Energie Wasser Bern (EWB), den städtischen Energieversorger, der die Region Bern mit Gas beliefert. Immerhin hat EWB in den letzten Jahren die Abhängigkeit von Russland schon verkleinert. Denn seit März 2020 enthält das Gas-Standardprodukt von EWB 25 Prozent Biogas. Zudem können Kunden gegen entsprechenden Aufpreis auch Gas mit 50 oder 100 Prozent Biogas-Anteil bestellen.
Auf ihrer Website nennt EWB Biogas denn auch vor dem Erdgas und wirbt mit dem idyllischen Bild eines Mädchens, das auf einer Wiese sitzt und in einen Picknick-Korb greift. Daneben steht: «Biogas und Erdgas sind zugleich ökonomisch wie ökologisch sinnvolle Energien.»
Die Realität hat mit Slogan und Werbebild aber wenig gemein. Und dies sogar in der Stadt Bern, wo bei den kantonalen Wahlen über 60 Prozent der Stimmenden rote oder grüne Parteien wählten, die für mehr Nachhaltigkeit und einen sorgsamen Umgang mit der Umwelt stehen.
An der Urne ist Nachhaltigkeit gratis zu haben. Wenn es um die eigene Heizung geht, kostet ein ökologischeres und geopolitisch weniger problematisches Gas einen Aufpreis. Und diesen Aufpreis zahlt in Bern fast niemand.
Im Jahr 2021 bezogen gerade mal 1 Prozent aller Gaskund*innen von EWB 100 Prozent Biogas. Dies zeigt eine Auswertung des Gasmixes aller Heizungsanlagen im EWB-Versorgungsgebiet, welche EWB auf Anfrage der «Hauptstadt» bekannt gab (siehe Grafik). In dieser Auswertung nicht dabei sind die Haushaltsgas-Anschlüsse für Kochfelder oder Durchlauferhitzer. Von den 8900 Heizungsanlagen, die EWB mit Gas beliefert, zahlten also gerade mal 89 Kund*innen den Aufpreis von 41 Prozent für reines Biogas.
Den kleineren Aufpreis von 14 Prozent für das EWB-Gas mit 50 Prozent Biogas zahlten bei den Privatkund*innen lediglich 3 Prozent, bei den Geschäftskund*innen immerhin 7 Prozent. Die allermeisten Kund*innen wählten das EWB-Standardprodukt mit 25 Prozent Biogas (88 Prozent der Privatkund*innen, 76 Prozent der Geschäftskund*innen). Das noch billigere reine Erdgas wählten 8 Prozent der Privat- und 16 Prozent der Geschäftskund*innen.
Laut EWB-Sprecherin Sabine Krähenbühl sind die Zahlen für die Stadt Bern fast identisch mit denen für das ganze Versorgungsgebiet, das auch umliegende Gemeinden umfasst.
Einer der wenigen EWB-Kunden, der reines Biogas bezieht, ist Roman Troxler. Er wohnt seit kurzem mit seiner Familie im Fischermätteli-Quartier in einem denkmalgeschützten Reihenhaus. «Eigentlich sollte man heutzutage das Haus mit einer Erdwärmepumpe heizen», sagt Troxler. Doch die Gasheizung sei erst wenige Jahre alt und eine Wärmepumpe wegen der Platzverhältnisse nicht so einfach zu erstellen. «Deshalb haben wir entschieden, für die Gasheizung Biogas zu bestellen.» Troxler hat sich auch kurz überlegt, den CO2-Ausstoss zu kompensieren. «Aber das ist reiner Ablasshandel», sagt er. Mit dem Bestellen von Biogas werde immerhin effektiv Biogas eingekauft. Das erzeuge mehr Druck für den Wandel. Rund 25 Prozent des Biogases bezieht EWB bei der ARA Bern. Den Rest kauft der Energieversorger mittels Zertifikaten im Ausland ein.
Für das Einfamilienhaus mit rund 120 Quadratmetern Wohnfläche braucht Troxlers Familie rund 14’000 Kilowattstunden Energie in Form von Gas. Mit dem EWB-Standardgas würde das im Jahr 1718 Franken kosten, mit reinem Biogas kostet die Energie gemäss den aktuellen Tarifen 2431 Franken. Die Familie zahlt also einen Aufpreis von 713 Franken im Jahr. «Wir können uns den Aufpreis leisten», sagt Toxler. Dafür hat er weniger ein schlechtes Gewissen, wenn er mal lange warm duscht.
Viele Berner*innen sind aber nicht Hausbesitzer*innen und somit nicht direkte EWB-Kund*innen. Sie wohnen in Mehrfamilienhäusern. Als Mieter*innen zahlen sie bei einer Gasheizung das Produkt, das die Hauseigentümer*innen buchen.
Nachhaltigkeit sei bei vielen Eigentümer*innen ein Thema, sagt Giorgio Albisetti, CEO der Von Graffenried Liegenschaften, die in Bern zahlreiche Liegenschaften im Auftrag von Eigentümer*innen bewirtschaftet. «Immer mehr Hauseigentümer rüsten auf Luftwärmepumpen und Erdsondenheizungen um.» Aber wenn eine Gasheizung das Ende der Lebensdauer noch nicht erreicht habe, werde sie natürlich noch nicht ersetzt.
Beim Gas-Mix wird laut Albisetti von den Hausbesitzer*innen meist das EWB-Standardprodukt gewählt. «Der Eigentümer selber hat beschränkte Anreize, eine teurere Energie zu zahlen», sagt Albisetti. Er könnte kurzfristig die Kosten zwar den Mieter*innen, die die Heizkosten via Nebenkostenabrechnung bezahlen, weitergeben. «Weil aber die Zahlungsbereitschaft der Mieterschaft sich inklusive Nebenkosten versteht, zahlt der Eigentümer auf längere Frist die höheren Energiekosten; sein Nettogewinn reduziert sich» Das führe natürlich bezüglich Umwelt zu Fehlanreizen.
Was ist aber mit den Mieter*innen? Fragen diese überhaupt nach mehr Biogas? «Wir haben keine Anfragen von Mietern, die 100 Prozent Biogas beziehen und auch zahlen wollen.» Wenn solche Fragen kommen würden, dann müsste man diese mit den Eigentümer*innen besprechen, sagt Albisetti.
Ähnlich tönt es bei der Dr. Meyer Immobilien AG, die im Raum Bern 9000 Wohnungen verwaltet. «Anfragen von Mietern bezüglich Biogas gibt es sehr selten bis gar nicht», sagt Philipp Aeberhard, Leiter Bewirtschaftung. Die meisten Eigentümer*innen würden das Standardprodukt von EWB wählen. «Es gibt vereinzelt Eigentümer von Mietshäusern, die sich trotz Aufpreis für 100 Prozent Biogas entscheiden.» Zum Teil werde der Aufpreis in Absprache mit den Mieter*innen geteilt. Es gebe aber auch Fälle, bei denen der Vermieter oder die Vermieterin den Aufpreis selber bezahle.
Wer seine Gasheizung voll auf Biogas umstellt, kann sogar von einem EWB-Förderprogramm profitieren. Dabei muss die Person sich unter anderem verpflichten, während mindestens fünf Jahren Erdgas mit einem Biogasanteil von mindestens 50 Prozent zu beziehen. Im vergangenen Jahr sind laut der EWB-Sprecherin im Programm «Mehrwert Biogas» Beiträge im Umfang von 64'000 Franken für lediglich 24 Anlagen gesprochen worden.
Generell betont Sprecherin Krähenbühl, dass EWB die Kundinnen und Kunden regelmässig auf ihre Wahlmöglichkeiten bezüglich Biogas aufmerksam mache. In der Stadt Bern lebe aber der grösste Teil der Bevölkerung in Mietwohnungen, wodurch in den meisten Fällen der Entscheid für das Heizprodukt bei den Eigentümer*innen liege. «Wir haben zudem in den letzten drei Jahren zweimal den Biogasanteil im Standardprodukt erhöht und damit den Gasbezug wesentlich ökologisiert», sagt Krähenbühl.
Aktuell sind aufgrund des Ukraine-Kriegs die Anfragen nach Biogas bei der EWB etwas gestiegen. Genaue Zahlen will der Betrieb nicht nennen. Sie dürften aber weiterhin auf einem sehr tiefen Niveau liegen. In der Woche vom 28. Februar sind gemäss Sprecherin Krähenbühl zehnmal mehr Biogas-Bestellungen eingegangen als üblich. «Seither verzeichnen wir pro Woche immer etwa die gleich hohe Anzahl an Bestellungen für 100-Prozent-Biogas – sie liegt im höheren einstelligen Bereich», so Krähenbühl. Zusammengerechnet haben also seit Kriegsbeginn schätzungsweise gut 50 zusätzliche Kund*innen mehr Biogas bestellt.
An der tiefen Nachfrage nach Biogas wird sich wohl nicht viel ändern, denn auf den 1. April wurden die Gaspreise wegen höherer Beschaffungskosten um 1.31 Rappen pro Kilowattstunde erhöht. Und zwar nicht nur für Erdgas, sondern auch für Biogas (siehe Kasten unten).
Die Gründe dafür, warum in der Stadt Bern nicht häufiger mit Biogas geheizt wird, sind vielfältig. Klar ist aber, dass in Berner Gasheizungen viele gute grüne Vorsätze verpuffen.
Beim Biogas aus dem Ausland handelt es sich laut EWB nicht um eine physische Gaslieferung, sondern um Zertifikate, welche besagen, dass die entsprechende Menge Biogas zum Beispiel in Dänemark in das Gasnetz eingespiesen wurde. Der Biogaspreis wird dann laut EWB-Sprecherin Krähenbühl auf folgender Basis kalkuliert: Preis des Erdgases plus Preis des Biogaszertifikats. Daher schwanke der Preis von Biogas gleich stark wie der Erdgaspreis.
Was hältst du von diesem Artikel? Wie ökologisch ist deine Heizung? Hast du als Mieter*in mal vergebens bei der Vermieterschaft nach einer ökologischeren Heizung nachgefragt? Schreibe uns: [email protected]