Pflanzen mit Geschichte
Im Innenhof der Feuerwehr Viktoria betreiben Nora Hürlimann und Kristina Hodel seit Mai 2022 ein Pflanzenbrocki. Zu Besuch bei den Pflanzenfreundinnen mit viel Herz für knorrige Auswüchse und krumme Äste.
Wer vor dem Löscher links in den Innenhof der Feuerwehr Viktoria biegt, findet sich in einem kleinen Pflanzenparadies wieder. Grünes und Blumiges in jeder Ausführung und Grösse steht da, für den Innen- ebenso wie für den Aussengebrauch. Zimmerschönheiten, Stauden, Sträucher, Spätblüher, sogar das eine oder andere Bäumchen ist auszumachen. Allen gemeinsam sind die Anekdoten, die sich um sie ranken, denn: Was hier dargeboten wird, stammt ausnahmslos aus zweiter, dritter, manchmal sogar aus siebter Hand. Mittendrin und fast immer mit Erdresten an den Händen: Nora Hürlimann und Kristina Hodel, die beiden Hüterinnen des grünen Reichs. Dass ihre Arbeit hier weit mehr als einfach ein Job ist, spürt man sofort. Egal, wie klein und unscheinbar ein Pflänzchen anmutet, im Pflanzenbrocki wird ihm jede erdenkliche Aufmerksamkeit und Liebe zuteil.
Neues Jahr, neues Abenteuer
Ihren Lauf nahm die Oase mit einem Neubeginn zum Jahresende. Nora Hürlimann hatte Ende 2021 gerade ihren Job gekündigt, mit der Absicht, etwas Neues zu wagen. Und lag dann zum Auftakt krank im Bett. «Da hatte ich viel Zeit für Gedankenspiele und so irgendwann die Idee eines Gartenbrockis.» Also rief sie Kristina Hodel an und erzählte ihr von ihrem Plan. Diese wiederum fand: «Machen wir.» Chrige sei diesbezüglich ein wunderbares Barometer, so Hürlimann: «Entweder ist sie sofort dabei oder dann ist die Idee nichts.» Dass sie das Projekt zusammen mit Hodel angehen wollte, stand von Anfang an fest: «Seit wir uns im Internat der ehemaligen Gartenbauschule Niederlenz während der Lehre ein Zimmer geteilt haben, wollte ich etwas mit ihr machen. Nun hat es geklappt.»
Auf die erste Idee folgte deren Verfeinerung. Kristina Hodel schien der Bereich Garten zu breit, zudem witterte sie «Plundergefahr». Garten, das könnte auch Gartengeräte, -möbel und -werkzeuge heissen. Lieber träumte sie darum von den grossen, alten Zimmerpflanzen, mit denen sie zu tun haben würden, sollten sie stattdessen ein Pflanzenbrocki eröffnen. «Ich habe ein Faible für Pflanzen mit Charakter, egal, ob krumm oder gerade, am allerliebsten gross und in alle Richtungen wachsend. Pflanzen, die Geschichten erzählen und Persönlichkeit haben», fasst sie ihre Vorlieben zusammen.
Dass sie inzwischen mit Nora Hürlimann in der Feuerwehr Viktoria einen halben Innenhof und kleinen Ladenteil voll davon hat, findet sie grossartig. «Wir nehmen die Pflanzen, wie sie sind. Eigenwillige Auswüchse, verfärbte Blätter, krumme Äste, was andernorts als Mangel betitelt würde, ist genau das, was wir feiern», so Hodel, und Hürlimann ergänzt: «Bei uns gibt es immer wieder Mägerlis, deren Potenzial nach etwas Fantasie verlangt. Aber es ist da, vielleicht nicht gerade zum Zeitpunkt des Verkaufs, aber ganz sicher später.»
Die beiden sind gespannt, wie diese Herangehensweise längerfristig ankommen wird. Bisher sind die Reaktionen durchwegs positiv und vielversprechend, viele fragen sich, warum es ein solches Angebot nicht schon längst gab. «Das Bedürfnis ist klar da, sowohl fürs Kaufen als auch fürs Bringen.» Wer Pflanzen oder Töpfe abzugeben hat, tut dies quasi auf Spendenbasis. «Dafür investieren wir in gute Erde, topfen die Pflanzengaben um, holen sie bei Bedarf auch ab und notieren uns die Geschichten dazu», so Nora Hürlimann. Letztere erzählen sie der Kundschaft später beim Herumstöbern oder halten sie auf Instagram fest, wo sie regelmässig Porträts der einzelnen Pflanzen teilen. Darin berichten sie von Herkunft und Potential, skizzieren die Wunschumgebung und geben Giesstipps. «Hier stehen manchmal so viele Pflanzen, da kann es hilfreich sein, eine davon für sich allein zu zeigen.» Manch eine Pflanze wächst ihnen während des Hegens und Pflegens so sehr ans Herz, dass sie sie am liebsten gar nicht verkaufen möchten, wie sie lachend gestehen. «Umso grösser ist die Freude, wenn zwei sich finden.»
Nicht jedes Mal für immer, wie das Beispiel einer Stammkundin zeigt, die kürzlich einen Kaktus wieder zurückbrachte. «Natürlich ist das nicht unser Ziel», so die beiden. «Aber auf Biegen und Brechen daran festhalten, ist in dieser Hinsicht kein gutes Motto. Das gilt im Übrigen auch, wenn eine Pflanze irgendwann nicht mehr richtig will.» Dann sei es sinnvoller, sie via Kompost zurück in den Kreislauf zu geben, statt um jeden Preis am Leben zu erhalten, sind sie überzeugt. «Pflanzen leben nicht von Chnorz, Pflanzen leben von Leichtigkeit.»
Glücksgriff Feuerwehr Viktoria
Leichtigkeit, die im Innenhof der Feuerwehr Viktoria allgegenwärtig ist, in den Pflanzentöpfen genauso wie darum herum. Dass sie hier als Untermieterinnen der Vintage Börse geschäften können, sehen Nora Hürlimann und Kristina Hodel als grosses Glück. «So zentrumsnah über so viel Aussenplatz zu verfügen, ist ein rares Gut.»
Neben den Brockipflanzen kümmern sie sich zusammen mit dem Hauswart auch um jene der Genossenschaft. «Die Kisten stehen seit 2015 im Innenhof, da haben schon viele Hände daran gearbeitet. Auch das passt zu uns und unseren Pflanzen mit Geschichte», so die beiden. Ebenso begeistert sind sie von der Tatsache, dass es sich beim Innenhof um einen öffentlichen Ort ohne Konsumationspflicht handelt. An Ideen mangelt es den beiden Pflanzenspezialistinnen nicht. Ob neue Wege der Beschaffung oder Extra-Dienstleistungen, die Liste ist lang. Pflanzenhüten, steht da beispielsweise, zudem Kooperationen mit Eventunternehmen und der Stadt – Stichwort mehrjähriger Sommerflor in den vielen stadteigenen Töpfen. Derzeit stammt ein Grossteil der Pflanzen aus Privathaushalten, Büroräumungen, Ladenhüter-Beständen von Blumenläden und von Gartenbau-Bekannten, die bei Umgestaltungen ans Pflanzenbrocki denken.
Gekommen, um zu bleiben
Oberstes To do indes ist mehr Innenplatz, allen voran auf den Winter hin. Am liebsten würden Hürlimann und Hodel in der Feuerwehr Viktoria bleiben. Die interne Suche läuft darum bereits, eben erst haben sie sich um einen Teil des frei werdenden Raumes der bisherigen Kaffeerösterei auf dem Areal beworben. «Die Kombination mit dem benachbarten Restaurant könnten wir uns sehr gut vorstellen, zudem bliebe uns so der Innenhof erhalten.» Bisher hat das eine stets das andere ergeben, weshalb sie zuversichtlich sind. «Dass der Raum gerade jetzt ausgeschrieben war, werten wir als gutes Zeichen.»
Bleibt die Frage nach der Pflanzendichte im eigenen Daheim – worauf beide schmunzeln. Sie seien nicht unbedingt ihre beste Kundschaft, so das Geständnis. «Bei mir gilt Hauptsache gross, weshalb es vielleicht nach viel aussieht. Mehr als drei Pflanzen sind es aber zusammengezählt nicht», sagt Kristina Hodel. Nora Hürlimann wiederum schlägt nach eigenen Angaben im heimischen Topfgarten hin und wieder etwas über die Stränge, drinnen jedoch verfährt auch sie nach dem Credo weniger ist mehr. «Es sei denn, ich befinde mich in der Sammlungsphase für ein Pflanzenbrocki. Dann kann meine Wohnung schon mal zum Dschungel werden.»