Anständig und funktional
Zollikofens Präsident Daniel Bichsel (SVP) lebt für sein Amt. Und für seine Gemeinde, die ihm nie Anlass gab, weiterzuziehen.
«Zollikofen ist kein schönes Dorf, das ist ein Fakt.»
Wenn der Gemeindepräsident das sagt, muss es wohl stimmen.
Daniel Bichsel (SVP) ist ein Zollikofer durch und durch. Auf der Rütti aufgewachsen, im Dorf zur Schule gegangen. Die Schwester einer Klassenkameradin geheiratet. Im Alter von 26 Jahren Finanzverwalter von Zollikofen geworden. Seit 2013 hauptamtlicher Gemeindepräsident. Und das mit Leidenschaft, mit ganzem Einsatz. Jeden Tag von früh bis spät. Und immer, wenn Daniel Bichsel Zollikofen offiziell vertritt, trägt er einen Pin mit dem Ortswappen am Jackenkragen. So wie jetzt.
Der Mann, der Zollikofen liebt
Zum Interviewtermin bringt Bichsel, der seit 2014 auch Grossrat ist, ein Sportsäckli mit, nicht ohne in einem Nebensatz zu erwähnen, dass es aus rezykliertem Pet gefertigt sei. Bedruckt ist das Säckli mit Bildern von Zollikofen, gefüllt mit Infobroschüren über die Gemeinde. «Das schenken wir unseren Neuzuzügern», sagt der 53-Jährige.
Die Zollikofen dominierende Bernstrasse ist auf den Bildern nicht zu finden, dafür eine verkehrsberuhigte Strasse mit einem üppigen blühenden Strauch im Vordergrund, die Aare und die Rütti. Geliebtes Zollikofen. Nach seinen Lieblingsplätzen in der Gemeinde gefragt, nennt Daniel Bichsel denn auch die Rütti und Büelikofen, die beiden landwirtschaftlich geprägten Ortsteile von Zollikofen. An der Bernstrasse hingegen sei er selten anzutreffen, gibt er zu. «Ich bin froh, dass ich auf meinem Arbeitsweg nicht die Bernstrasse nehmen muss.» Aber sie sei zentral, sie sei wichtig, in unmittelbarer Nähe, östlich der Bahngeleise, liegt der ESP, der kantonale Entwicklungsschwerpunkt. Hier passiere gerade sehr viel, pulsiere das Leben.
Aber warum sollte jemand genau nach Zollikofen ziehen, in dieses Strassendorf, diese Verkehrshölle? Daniel Bichsel hat die Antwort sofort parat. Er gibt sie hörbar nicht zum ersten Mal. «Wir haben einen sensationellen ÖV-Anschluss, wir haben eine gut ausgebaute externe Kinderbetreuung, es gibt äusserst wohnliche Quartiere.»
Bichsel greift sich eine der Broschüren, die er mitgebracht hat, schlägt sie auf. «Mal sehen, ob ich alles gesagt habe», sagt er. Dabei ist klar, dass er nichts vergessen hat. Daniel Bichsel weiss alles über Zollikofen und gibt alles für Zollikofen.
Zum Beispiel lässt er es sich nicht nehmen, jeden Samstagmorgen im Dorf einzukaufen. «Ich kenne andere Gemeindepräsidenten, die das um jeden Preis vermeiden», sagt er. «Mir ist diese Volksnähe, diese Bürgernähe wichtig.» Natürlich wird Bichsel am Samstagmorgen im Coop oder Migros oft angesprochen, natürlich antwortet er immer. «Viele haben eine Schwellenangst vor dem Gang aufs Gemeindehaus», sagt er. Er aber will ein Gemeindepräsident zum Berühren sein, einer auf Augenhöhe.
Der Mann, der an alle Anlässe geht
Bichsel besucht die Vereinsanlässe in Zollikofen, zum Beispiel das Konzert des Jodlerchörli. Das ist für einen Gemeindepräsidenten fast Pflicht. Für Bichsel ist es aber keine Belastung. «Ich ging schon vorher an alle Dorfanlässe», sagt er. Das habe er durch seine Familie mitbekommen. Auch der Vater war im Gemeinderat, auch für die SVP, die Mutter engagierte sich im Kirchgemeinderat. Von klein auf beteiligte sich Daniel Bichsel am Dorfleben.
Von den 11’000 Einwohner*innen machen laut Bichsel etwa 300 bis 500 den harten Kern aus. Also die, die an fast jeden Anlass gehen. «Dort findet das richtige Dorfleben statt, man weiss alles übereinander.» Aber in Zollikofen gebe es auch viele Menschen, die den Kontakt nicht suchen würden. «Man kann auch völlig anonym hier leben.» Zollikofen, das Schlafdorf.
Vielleicht noch mehr als andere Dörfer, weil es keinen eigentlichen Treffpunkt gibt, keinen Dorfplatz. Einen Dorfplatz, den Bichsel gar nicht herbeireden will. «Ich bin skeptisch, ob so etwas baulich im Nachhinein überhaupt noch möglich ist, das muss sich organisch entwickeln.» Und da Zollikofen ursprünglich aus einer Reihe von Streusiedlungen bestand, die durch die Tiefenaubrücke in Worblaufen erst erschlossen wurden, gibt es keinen historisch naheliegenden Ort.
100 Nationen wohnen in Zollikofen, in Steinibach befindet sich ein grosses Asylzentrum. «Wir sind eine Vielvölkergesellschaft», sagt Bichsel, er finde das bereichernd. «Wir wollen davon profitieren und die Leute einbeziehen in die Gemeinde.» Vieles passiere über die Vereine, Basisarbeit für die Integration werde beispielsweise im Fussballclub geleistet.
Ungewohnte Töne eines SVP-Mannes. Doch nicht nur. «Ich frage mich, wie viel staatlichen Input es dabei braucht», sagt Bichsel. Er sei Verfechter der Privatinitiative. Das heisst eigentlich: Integration wird an die Bürger*innen selbst ausgelagert. In Teilen funktioniert das, so gibt es in Zollikofen Integrationsvereine, wie etwa der interkulturelle Frauentreff Karibu.
Der Mann, der nicht auf die Pauke haut
Wobei Bichsel nicht aus Prinzip gegen den Staat ist, so wie manche Exponent*innen der Partei. «Ich habe ein staatsbejahendes Verständnis», sagt der Berufspolitiker, «ganz in der Tradition der alten Berner SVP.» Und trotzdem fühle er sich genau in dieser Partei richtig. «Die SVP ist mir schon am nächsten, mir sind Werte wie Freiheit und Sicherheit sehr wichtig», sagt er.
Wo er sich aber von anderen unterscheide, sei in der Kommunikation. «Warum muss man immer so auf die Pauke hauen?», fragt er rhetorisch. Er sei nicht der, der laut werde. Er suche lieber das Gespräch hinter den Kulissen. «Der Sache dient das mehr.» So geht Bichsel auch im Grossen Rat vor, die Anzahl seiner parlamentarischen Vorstösse ist bescheiden – und trotzdem hat er eine tragende Rolle: Er präsidiert die wichtige Finanzkommission und ist zudem Präsident des Verbands Bernischer Gemeinden. Einer, der wie gemacht ist für die Lokal- und Regionalpolitik. Im lauten nationalen Betrieb würde er aber vielleicht untergehen.
«In all meinen politischen Ämtern setze ich auf den Austausch.» Und dann bringt er noch einen Spruch, er sagt ihn auf Hochdeutsch, so wie er sowieso gerne mitten im Satz auf Hochdeutsch wechselt, wenn er eine Aussage besonders betonen will. «Warum soll man den politischen Gegner mit einem Fusstritt verabschieden, wenn es auch mit einem Händedruck geht?»
Bichsel, der Brückenbauer. Er präsidiert eine auch finanziell erfolgreiche Gemeinde, der Steuersatz liegt bei 1,4 Einheiten, das ist weniger als etwa in Bern oder Ostermundigen. «Wir haben günstige Voraussetzungen», sagt er. Die Gemeinde sei sehr kompakt, habe keine Streusiedlungen, müsse keine teuren Verkehrserschliessungen stemmen. «Wir kleckern und wir knausern nicht, wir sind solider Mittelstand.»
Nur einen Mangel gibt es. Stadteinwärts hat es der Bernstrasse entlang nicht einmal eine Velospur. Darauf angesprochen, antwortet Daniel Bichsel für ihn untyptisch mit einem floskelhaft klingenden Satz. «Wir haben diesen Wunsch nach einem Velostreifen aufgenommen, aber der Platz ist einfach nicht da.»
Der Mann, der nie wegging
Solider Mittelstand, der auch mal Abstriche machen muss.
Solider Mittelstand, so dass Zollikofen, wie die «Hauptstadt» zum Auftakt des Zollikofen Spezial geschrieben hat, manchmal fast ein bisschen vergessen geht. Aber es scheint, als ob Bichsel das gar nicht so schlimm finden würde. Er bringt jetzt Adjektive, die seiner Meinung nach auf Zollikofen zutreffen: Gut, praktisch, nutzbar, anständig und funktional.
Vielleicht trifft das nicht nur auf die Gemeinde zu, sondern auch auf den Gemeindepräsidenten. Den Mann, der gar nie weg von Zollikofen ging. Warum eigentlich nicht? «Mir fehlte der Drang weiterzugehen, ich fand innerhalb der Gemeinde immer wieder neue, erfüllende Aufgaben», sagt Daniel Bichsel. «Ich weiss, wofür ich einstehe. Und ich stehe gerne dafür ein.»
Für ein Dorf, das kein Zentrum hat und nicht schön ist, aber praktisch.