Stoffe für die Umwelt
Mirjam Liechti betreibt ein Stoff-Atelier in Holligen. Sie setzt in der umweltbelastenden Textilbranche konsequent auf Nachhaltigkeit.
Mirjam Liechtis «Atelier Goldfaden» befindet sich in der Neubausiedlung Holliger unweit des Loryplatzes. Licht durchflutet den mit bunten Stoffen und Näh-Zubehör ausgestatteten Raum. Trotz den vielen Textilprodukten wirkt er nicht zu voll. Neben einer Nähmaschine liegt ein angefangenes Näh-Projekt. An diesem Tag ist das Atelier, das Laden und Kurslokal zugleich ist, geschlossen. Die Zeit nutzt Liechti meist für Aufräumarbeiten oder um Administratives zu erledigen. Heute erzählt sie, wie sie dazu kam, Stoffe zu verkaufen.
Schon früh interessiert sich Mirjam Liechti für Nachhaltigkeit. Während ihres Berufslebens als Lehrerin gesellt sich das Nähen dazu. Es fordert sie auf allen Ebenen: Hände und Kopf. Gleichzeitig ist sie in ihren Anstellungsverhältnissen nicht mehr glücklich.
2015 beginnt die heute 36-Jährige ein Studium an der Schweizerischen Textilfachschule in Zürich, an der sie parallel Englisch unterrichtet. In dieser Zeit wird sie mit dem zweiten Kind schwanger. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stellt sich als Hürde heraus. Ihr wird gesagt, dass es schwierig werde, mit kleinem Kind zu arbeiten. Sie merkt: Wenn der Arbeitgeber nicht hinter ihr steht, funktioniert es für sie nicht. Sie wagt den Schritt in die Selbständigkeit.
Raum für Kreativität
2020 gründet Mirjam Liechti ihr eigenes Unternehmen. Sie nennt es «Atelier Goldfaden». Ihre Motivation: Sie will den Menschen Stoffe anbieten, hinter denen sie stehen kann. Sie sollen erstens nachhaltig produziert werden und zweitens ästhetisch sein.
Mirjam Liechti fängt klein an, baut ihr Geschäft bei sich zu Hause auf. Mithilfe einer Erbschaft und eines Darlehens erwirbt sie erste Stoffe und verkauft sie. Das eingenommene Geld investiert sie in neue Stoffe.
Als zu Hause der Platz knapp wird, eröffnet sie im Sommer 2020 den ersten Laden in der Alten Feuerwehr Viktoria. Sie betreibt da auch bereits einen Online-Shop. Das Geschäft mit den nachhaltigen Stoffen läuft gut. 2021 macht sie den Schritt vom 11-Quadratmeter-Ladenlokal hin zum 75 Quadratmeter grossen Stoffladen im Holligerhof.
«Es folgte eine intensive Zeit», erzählt Mirjam Liechti. Sie baut ihr Materialangebot aus. Parallel stellt sie ein Kursprogramm zusammen. Das Interesse und die Nachfrage an ihren Angeboten ist von Anfang an gross. «Ich musste nie um Kund*innen buhlen. Das überraschte mich», sagt sie. Sie vermutet, dass sie mit ihrer Idee einen Nerv getroffen hat. Sie beobachte ein wachsendes Bedürfnis in der Gesellschaft, Kleidung wieder selbst herzustellen, mit nachhaltig produzierten Stoffen.
Nachhaltigkeit als Herausforderung
Mirjam Liechti muss bald feststellen, dass dem Thema Nachhaltigkeit in der Stoff- und Nähwelt noch nicht die nötige Beachtung geschenkt wird.
Alle Produkte in ihrem Ladenlokal sollen nachhaltig und fair produziert sein. «Dass die Bezeichnung ‘nachhaltig’ eigentlich ‘fair’ beinhaltet, ist bei Textilproduzenten leider nicht immer garantiert», erzählt sie. Es gebe Firmen, die behaupten, ihre Produkte seien nachhaltig, jedoch die Arbeitsbedingungen ausser Acht liessen.
Mirjam Liechti achtet beim Stoffkauf auf Zusammensetzungen und Zertifizierungen. «Zwar tut es manchmal etwas weh, wenn ich einen Stoff nicht einkaufen kann, weil er beispielsweise einen Anteil Polyester beinhaltet und somit nicht nachhaltig ist», sagt Liechti. Doch dank genügend Alternativen kann sie mittlerweile auch auf Dinge verzichten.
Mirjam Liechti bleibt auch ihren Prinzipien treu, wenn sie ihrer Kundschaft Stoffe verkauft. «Denn es ist nicht automatisch nachhaltig, wenn man selbst näht», so Liechti.
Es sei wichtig zu überlegen, wie viel und aus welchem Stoff man näht. Deshalb nimmt sich Mirjam Liechti viel Zeit für eine umfassende Beratung ihrer Kund*innen. Nicht selten komme jemand mit einer vagen Idee herein und gemeinsam werde dann ein Näh-Projekt entwickelt. So kann sie die geeignete Menge an Stoff – und nicht zu viel davon – verkaufen. Ausserdem verzichtet sie auf grosse Ausverkaufe. Sie vertreibt ausschliesslich Stoffe, die zeitlos attraktiv sind.
Stoff-Recherche auf Litauisch und Japanisch
Bei ihrer Suche nach passenden Stoffen sucht Mirjam Liechti keine Stoffmessen auf. Auch kauft sie kaum bei Grosshändler*innen ein. Auf Messen sei das Angebot an nachhaltigen Stoffen klein. «Und ich möchte, dass sich mein Sortiment grundlegend von anderen Stoffläden unterscheidet», sagt sie.
So beobachtet Liechti ausschliesslich online, welche neuartigen und nachhaltigen Materialien auf dem Markt erscheinen. Konkret schaut sie sich die Produkte kleiner, fairer Modemarken an. Stösst sie dort auf ein Material, das sie als sinnvoll erachtet, recherchiert sie dieses genau.
Dann greift Mirjam Liechti ab und an auch auf ein Übersetzungsprogramm zurück: «Ich versuche, in den jeweiligen Landessprachen nach den Stoffen zu suchen. Zum Beispiel auf Litauisch oder Japanisch.» Oft finde sie die Webseiten der Händler nur so.
Die weitere Kommunikation mit einem Händler erfolgt dann aber auf Englisch. Mirjam Liechti versucht herauszufinden, woher die Rohstoffe stammen und wie der Händler produziert. «Ich hinterfrage kritisch, was der Stoffhändler zu bieten hat und welche Werte er vertritt», sagt sie. Nicht immer erhalte sie Antworten. Doch dann sei für sie klar, dass der Stoff nicht in Frage kommt.
Nähen als Event
Mirjam Liechti will auch eine Näh-Community fördern. Sie bietet bereits verschiedene Events, wie etwa «Näh-Strick-Flick-Abende», kostenlos an. «Für mich sind es schöne Momente, wenn ich Menschen bei mir im Atelier zusammenbringen kann», sagt sie.
Für die Zukunft schwebt Mirjam Liechti ein Kursformat vor, in dem sie interessierte Menschen in Textilkunde unterrichtet, mit Fokus auf Nachhaltigkeit. «Viele Leute sind sehr interessiert, doch in der intransparenten Textilbranche ist es nicht einfach, Informationen zu verstehen und sich einen Durchblick zu verschaffen», sagt sie.
Nebst ihrem eigenen Engagement wünscht sich Mirjam Liechti auch Bestrebungen der Textilbranche. Ausser einzelnen Firmen wende sich die Branche aber von sich aus nicht der Nachhaltigkeit zu. «Es ist an der Politik, dies zu regulieren», sagt sie. «In der EU gibt es Bemühungen, aber in der Schweiz hinken wir hinterher.» Bis es so weit ist, werden wohl noch einige Meter Stoff aus dem «Atelier Goldfaden» in diverse Projekte verwandelt.