Früher Krieg und Sport, heute Pasta und Fleisch

Ruben Sprich reiste als Pressefotograf jahrelang um die Welt. Jetzt verkauft er neben selbstgemachter Pasta auch Fleisch in der Berner Altstadt. Und belebt ein serbelndes Gewerbe.

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Ruben Sprich bietet in seiner Metzgerei neben Fleisch auch Pasta, Fischsuppe und mehr an. (Bild: Manuel Lopez)

Es riecht nach Wurst in den Räumen der Metzgerei «Chez Max» in der Rathausgasse der Berner Altstadt. Aber zwischen Fleischmessern und Wurstmaschinen stehen auch Pastageräte und Teigschüsseln. 

Ruben Sprich hat vor einem Jahr die Metzgerei Grunder in der Rathausgasse übernommen. Er suchte damals eigentlich nur ein grösseres Ladenlokal, um Tajarin, eine Spezialität aus dem Piemont, herzustellen und zu verkaufen. Die Räume der Metzgerei waren eigentlich perfekt, aber zu gross, um darin nur Pasta herzustellen. Nun führt er die Metzgerei weiter – mit der Hilfe des vorherigen Besitzer Max Grunder und weiteren Partnern. Darum heisst sie jetzt «Chez Max».

Sprich ist 57 und gelernter Fotograf. Bevor er auf Pasta – und seit einem Jahr auch Fleisch – umgesattelt ist, war er 28 Jahre bei der internationalen Nachrichtenagentur Reuters angestellt. 21 Jahre davon war er Chef-Fotograf für die Schweiz. Im Jahr 2016 wurde ihm aus wirtschaftlichen Gründen gekündigt. 

«Mach etwas, was du gut kannst»

Damals war er Anfang 50, einen neuen festen Job zu finden war schwierig, und die Medienkrise tat ihr übriges. Zwar versuchte er es als freischaffender Fotograf. Doch einen Kundenkreis aufzubauen, war nicht einfach. «Ich habe 30 Jahre lang Angebote ausgeschlagen, weil ich bei der Agentur angestellt war. Niemand hat auf mich gewartet», sagt Ruben Sprich. 

Dazu kam die Corona-Pandemie: Viele Kundenmagazine, für die Sprich fotografiert hat, wurden eingestellt oder reduziert. «Das hatte nicht nur Einfluss auf mich als Fotograf, sondern auch auf Grafiker*innen, Texter*innen oder die Druckereien.»

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Selbstgemachte Tagliatelle aus Hartweizendunst, Eigelb und Wasser für 5 Franken pro 100 Gramm. (Bild: Manuel Lopez)

Den Rat eines Angestellten des Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums (RAV), «etwas zu tun, was ich gut kann», nahm Ruben Sprich zu Herzen. Schon während seiner Arbeit bei Reuters hat er als Ausgleich Tajarin hergestellt.

Er habe mit ganz kleinen Maschinen begonnen und produzierte für die Familie und das Umfeld, erzählt Sprich. Heute verarbeitet er zirka 30 Kilogramm Teig pro Monat.

Tajarin sind eine Piemonteser Spezialität. Es sind ganz dünne Nudeln, die aus Hartweizendunst, Wasser und Eigelb bestehen. Viel Eigelb: Auf ein Kilogramm Hartweizen kommen 30 bis 35 Eigelbe – je nach Feuchtigkeit und Temperatur. Hartweizendunst ist noch feiner gemahlen als Mehl, «fast wie Staub». Aus demselben Teig macht Sprich auch Tagliolini und Tagliatelle. Ausserdem stellt er – aus einem etwas anderen Teig – kleine gefüllte Teigwaren her, die sich Raviolini, Agnolotti und Plin nennen. 

Die speziellen Teigwaren kennt er, weil er mit der Familie oft ins Piemont in die Ferien fuhr. «Als ich sie zum ersten Mal gegessen habe, war ich begeistert und habe Rezepte gesucht.» Später zeigten ihm Piemonteser*innen, wie sie diese Pasta herstellen. 

Zu Hause tüftelte er an den Füllungen und dem Teig: «Der Salbei schmeckt hier anders als im Piemont. Auch der Rosmarin, der Lorbeer, das Ei.» Bis auf den Hartweizendunst, den es in der Schweiz in grossen Mengen nicht gebe, kommen alle seine Zutaten aus der Region. 

Foodwaste versucht er zu vermeiden: Das viele Eiweiss, das übrig bleibt, überlässt Sprich der Bäckerei Bread à Porter für Glasuren sowie einigen Köchen, die es als Saucenbinder brauchen. 

Learning by doing

Aber Sprich ist ja nicht nur Pasta-Produzent, sondern neuerdings auch Fleischverkäufer. Sein neuer Job, den er sich selber geschaffen hat, ist umfangreicher geworden. Er muss sich auch um den Fleischnachschub kümmern. Das sei anspruchsvoll. Er habe in diesem Jahr unglaublich viel gelernt. Zum Beispiel auch, wie das Fleisch in die Theke legen, damit es anmächelig aussieht.

Ruben Sprich Chez Max Würste
Ruben Sprich will Würste bald auch allein herstellen können. (Bild: Manuel Lopez)

Er habe «jenste Bücher über Fleisch» gelesen. Trotzdem fühle er sich wie ein Anfänger. «Jeden Tag passiert etwas, das ich noch nicht auf dem Radar hatte.» Partner sowie der ehemalige Besitzer Max Grunder helfen ihm beim «Wursten» oder Fleisch zerlegen. Für Sprich ist aber ganz klar: Irgendwann will er das alleine können. 

Den Fotografen-Job hat er aber nicht vollends an den Nagel gehängt. Ruben Sprich führt auch heute noch ab und zu Fotoaufträge aus. Und doch sind es Welten zu seinem früheren Fotografenberuf bei Reuters.

14 Stunden statt 24

Als Fotograf war Sprich immer auf Abruf. «Es war ein 24-Stunden-365-Tage-Job», erzählt er. Wenn etwas war – auch an Feiertagen –  musste er zur Stelle sein. Er erinnert sich an den Tag im Dezember 2013, als der frühere Autorennfahrer Michael Schumacher den Skiunfall in den französischen Alpen hatte: «Ich hatte nicht besonders Freude, dass ich gehen musste, es war zwei Tage vor Silvester.» Aber er sei der einzige im Reuters-Team gewesen, der Skifahren und Französisch konnte. 

«Es war eine geniale Zeit», schwärmt Sprich. «Ich bin in der ganzen Welt rumgekommen. Ich war an den Hotspots, von denen die halbe Welt gesprochen hat, habe Leute getroffen, die man sonst nie treffen würde.» YB-Spieler und  Bundesrät*innen kannten seinen Namen. «Es war nicht nur Krieg, Krise und Politik. Ich habe auch Unwetter fotografiert, Olympische Spiele, WMs, alles Mögliche. Es wurde nie langweilig.» Erst, wenn er jetzt darüber nachdenke, sehe er, wie wahnsinnig sein Leben war. 

Der Schritt zu seiner heutigen Arbeit sei ihm nicht leicht gefallen, sagt Sprich. Trotzdem ist er sich sicher: Er möchte nicht wieder zurück. «Ich sehe, wie es ist: Überall in der Medienbranche wird gespart.» Heute arbeite bei Reuters noch ein Fotograf für die ganze Schweiz. «In den Blütezeiten hatte Reuters einen Pool mit 27 Fotograf*innen, davon waren 800 Stellenprozent festangestellt, der Rest arbeitete auf Stundenbasis», erinnert sich Ruben Sprich.

Ruben Sprich in den Produktionsräumen der Metzgerei Chez Max
Noch nicht immer kann Sprich die Fragen seiner Kund*innen zum Fleisch beantworten. Er lernt jeden Tag dazu. (Bild: Manuel Lopez)

Heute arbeite er nicht mehr auf Abruf und müsse nicht immer erreichbar sein. Aber ein «9-to-5-Job» ist es trotzdem nicht: «Es gibt immer etwas zu tun.» Sprich arbeitet von 6 bis 20 Uhr, aber es mache ihm Spass: «Es muss einfach auch wirtschaftlich laufen.»

Metzger-Business

Das Metzger-Business ist auf dem Rückzug. Letztes Jahr hat die Metzgerei Lehmann in der Länggasse geschlossen, bis zum 31. Dezember 2024 wird dort Cidre hergestellt und auf der Verkaufsfläche verschiedene Lebensmittel – darunter auch die Pasta von Sprich – angeboten. Die Metzgerei Steiner an der Kramgasse wich 2012 einer Gelateria, die Metzgerei Richner an der Aarbergergasse übergab ihre Schlüssel 2013 Kurt Sahli für eine Ängelibeck-Filiale. 

Gründe für die Schliessungen seien zum einen die Verdrängung durch Grossverteiler, andererseits fehlende Nachfolge, schreibt Leonhard Sitter vom Fleischfachverband Kanton Bern. Die Metzgerei Grunder, die nun Sprich übernommen hat, ist eine Ausnahme: Hier ist die Nachfolgersuche geglückt. 

In der Innenstadt ist Sprichs Metzgerei die letzte. «Ich übernehme ein vom Aussterben bedrohtes Business», bestätigt Ruben Sprich. Das Geschäft laufe nicht mehr so wie früher. Die Menschen kaufen anders ein, sagt Sprich. Er spüre die Konkurrenz wie den Voi in der Kramgasse oder den Aldi am Kornhausplatz. 

Lieber spezialisieren statt konkurrenzieren

Sprich hat deshalb die Öffnungszeiten angepasst: Offen ist nun über den Mittag statt frühmorgens, und es gibt eine vielfältigere Auswahl, die er in nächster Zeit auch noch vergrössern will. Heute verkauft Sprich neben dem Fleisch und seiner Pasta, ein paar Käsesorten, Fischsuppen von Perle Bleue, einem Berner Meeresfrüchte und Importeur. Bald habe er auch schwarzen Berner Trüffel im Sortiment. «Es liegt auf der Hand, dass wir zu Fleisch und Pasta noch mehr verkaufen.» Sprich versuche weitere Bedürfnisse seiner Kund*innen herauszufinden und danach zu handeln. Dabei will er nicht dasselbe anbieten wie Detailhändler*innen. Mit deren Preisen könne er sowieso nicht mithalten. Und andere kleine Betreiber*innen wolle er nicht konkurrenzieren.

Ruben Sprich Chez Max Tajarin Pasta
Noch rentiert der Laden nicht. Sprich hält sich mit Fotoaufträgen über Wasser. (Bild: Manuel Lopez)

Eine seiner Geschäftsideen ist es, Würste für Gastrobetriebe herzustellen. 

Auf diese Idee ist er dank seinen Partnern gekommen: Die Gastronomen vom Camping-Restaurant Serini im Eichholz: Bruno Bucher und sein Team stellen für das Serini Würste her. Auch Christian Steiner von der früheren Metzgerei Steiner und Christian Gilgen, der Inhaber von Perle Bleue, unterstützen Sprich. 

Sie alle helfen, «das Ganze in Schwung zu bringen und zu halten, damit es den Laden noch möglichst lange gibt». 

Nicht mehr Fleisch, aber anderes

Seine Familie habe den Wandel vom viel gereisten Fotografen zum Metzgereibetreiber gut aufgenommen, sagt Sprich. Einzig die beiden Töchter, die reiten, hätten Mühe damit gehabt, dass Sprich nun Pferdefleisch verkaufe. Mittlerweile finden sie es cool. 

Das Image der Pferdemetzgerei haftet am Laden. Oft müsse Sprich die Kund*innen darauf hinweisen, dass er auch Kalb, Rind, Schwein und Huhn anbiete. «Es gibt auch gar nicht mehr so viel Pferdefleisch aus der Schweiz wie früher», sagt Sprich. 

Sein eigener Fleischkonsum habe sich mengenmässig nicht verändert. Aber die Auswahl schon: «Ich esse eher mal den An- oder Abschnitt von Stücken oder Resten. Weil ich die nicht den Kund*innen geben will.» 

Die Beziehung zu den Nahrungsmitteln, die Sprich nun verkauft, haben sich verändert. «Ich sehe, dass es vom Tier auf der Weide bis auf den Teller ein langer Weg ist.» Es brauche viel. Viel Wissen, aber auch viel Zeit. «Mit einem Huhn, das ein Ei legt, hast du noch keine Eierteigwaren.» Mit Eigelb und Hartweizendunst die Teigwaren zu machen, sei ein langer Weg. Ebenso sei es beim Fleisch. 

Davor, dass ihm die Lebensmittel verleiden, mit denen er sich täglich beschäftigt, hat Sprich keine Angst: «Pasta kann man immer essen.»

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Diskussion

Unsere Etikette
Olaf Schleusing
03. Dezember 2024 um 11:28

Wir haben das Geschäft vor zwei Jahren entdeckt, und waren dann sehr sehr erfreut, als wir von der Nachfolgelösung gehört haben. Ruben macht das super, die Qualität ist ausgezeichnet und die Preise mehr als fair.

Thomas Bollinger
12. Oktober 2024 um 07:21

Sehr ansprechender Artikel, Danke. ☺️