Privateigentum – Stadtrat-Brief #19
Sitzung vom Donnerstag, 23. November 2023 – die Themen: Immobilienkauf; Hindernisfreie Haltestellen; Wohnraum; Zwischennutzung; «Baba News». Ratsmitglied der Woche: Michael Burkard (GFL).
Sie müsse den Immobilienkauf «anhand eines Weihnachtsmarkts visualisieren», sagte FDP-Stadträtin Simone Richner. Sie nahm Stellung zum geplanten Kauf von sechs Liegenschaften im Länggasse-Quartier, den der Stadtrat am Donnerstag debattierte. Der Gemeinderat will die Gebäude am Wildhainweg dem Schweizerischen Nationalfonds (SNF) für 33,9 Millionen Franken abkaufen. Simone Richner sah es so: «Überall glänzen Lichtlein, man fühlt sich impulsiv angezogen von der glitzernden Fassade und kauft etwas, ohne zu wissen, ob es ein nützliches Produkt ist.»
Die Liegenschaften befinden sich an zentraler Lage in einer Wohnzone. Der Gemeinderat will die Immobilien zum Marktwert erwerben, sie so der Spekulation entziehen und wenn möglich zu Wohnraum umgestalten. Das ist der Plan. Wie die Gebäude konkret genutzt werden sollen, ist allerdings noch nicht klar. Finanziert würde der Kauf durch den städtischen Fonds für Boden- und Wohnraumpolitik.
Die linke Mehrheit im Stadtrat unterstützte das Projekt. Widerstand kam von SVP, FDP und GLP: Ihrer Ansicht nach lässt sich der Gemeinderat von der zentralen Lage der Liegenschaften blenden. Es sei unklar, ob sie sich überhaupt sinnvoll zu Wohnraum umnutzen lassen. «Das Geschäft wird zum Fass ohne Boden», warnte Michael Ruefer (GLP).
Die Mitte stellte sich, zum Unmut der SVP, hinter den Liegenschaftskauf – anders als zuletzt beim Erwerb des Grundstücks für den Spielplatz im Untermattquartier. Im Gegensatz zum Spielplatz sei der Kauf dieser Liegenschaften an zentraler Lage in der Länggasse eine einmalige Gelegenheit, sagte Mitte-Stadträtin Sibyl Eigenmann.
«Wenn sich alle Fraktionen so engagiert äussern, machen auch wir das», erklärte zum Schluss Raffael Joggi von der AL/PdA-Fraktion, und wurde etwas übermütig. Er winde dem Gemeinderat ein «Kränzli», sagte er: «Wir sind total motiviert für den Kauf. Die Stadt sollte so lange Liegenschaften kaufen, bis es kein Privateigentum mehr gibt.»
Der Rat stimmte mit 48 Ja zu 20 Nein für den Kauf. Entscheiden wird aber das Stimmvolk. Das Geschäft kommt voraussichtlich im Frühling 2024 zur Abstimmung.
Michael Burkard, geboren 1966, sitzt seit 2022 zum zweiten Mal für die GFL im Stadtrat. Erstmals zog er 2016 ins Stadtparlament ein, wurde 2020 aber abgewählt. Burkard ist Rechtsanwalt.
Warum sind Sie im Stadtrat?
Weil ich glanzvoll gewählt wurde.
Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?
Für meine Fisherman's Friend-Täfeli mit Mint-Geschmack, die ich meinen Sitznachbar*innen im Rat jeweils anzubieten pflege.
Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?
Meine Abwahl im Jahr 2020.
Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?
Auf mein Nachrutschen zwei Jahre später.
Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?
Die Altstadt, weil dort das Rathaus steht, in dem ich jeden zweiten Donnerstagabend politisieren darf.
Diese Themen waren ebenfalls wichtig:
- Hindernisfreie Haltestellen: Der Stadtrat hiess einen Rahmenkredit von 67,5 Millionen Franken für die Umgestaltung von ÖV-Haltestellen gut. Konkret sollen 94 Bus- und Tramhaltestellen in der Stadt Bern behindertengerecht umgebaut werden. Definitiv entscheiden wird auch hier das Stimmvolk. Der Rat unterstützte den Kredit einstimmig. Abgelehnt wurde ein Antrag der bürgerlichen Minderheit, die eine Klausel zur Prüfung der Verhältnismässigkeit bei der Realisierung der Projekte einführen wollte. Die Stadt ist zur Umgestaltung der Haltestellen gemäss dem Eidgenössischen Behindertengleichstellungsgesetz verpflichtet. Die geplanten Sanierungen sind Teil des städtischen Gesamtprojekts Umsetzung hindernisfreier öffentlicher Raum (UHR).
- Wohnraum: Sechs Vorstösse zum Thema Wohnraum wurden an der Sitzung vom Donnerstag gemeinsam behandelt. Für Diskussionen sorgte eine interfraktionelle Motion von SVP, FDP, GLP und Mitte. Die Motionär*innen wollten die Vergabekriterien für vergünstigte städtische Wohnungen verschärfen. Sie stören sich daran, dass bei der Vergabe nicht berücksichtigt wird, weshalb Menschen Teilzeit arbeiten. Wer nur wegen der Wahl eines Lebensstils weniger arbeite, komme so ungerechtfertigt in den Genuss von vergünstigten Wohnungen. Alexander Feuz (SVP) führte aus, was er damit meinte: «Ein 50-jähriger Kadermitarbeiter ohne Betreuungspflichten, der sich in seiner Freizeit lieber um autogenes Training kümmern will.» Das Anliegen fand bei der Ratsmehrheit kein Gehör, sie lehnte die Motion mit 45 zu 21 Stimmen ab.
- Zwischennutzung: Mit 38 zu 26 Stimmen nahm der Rat eine Motion der Fraktionen AL/PdA und GB/JA! aus dem Jahr 2022 an. Sie fordern städtischen «Freiraum statt Planraum»: Die Stadt soll ein Areal zur Verfügung stellen, das frei und ergebnisoffen genutzt und umgestaltet werden kann – im Stile einer Zwischennutzung, aber ohne Ablaufdatum. Tom Berger (FDP) sah einen Widerspruch: Eine Zwischennutzung habe definitionsgemäss ein Ablaufdatum. Einen Leerstand mit kreativem Leben zu füllen mache Sinn, aber dazu gehöre eben auch, dass es irgendwann vorbei ist. Erich Hess (SVP) nahm die Diskussion zum Anlass, Zwischennutzungen lautstark und generell als «Diebstahl am Steuerzahler» zu bezeichnen. Jede Zwischennutzung sei ein massives Versagen der Regierung, die sich nicht um die Gebäude und Räume gekümmert habe. Es nützte nichts: Die Ratsmehrheit verlangte einen Raum für ewige Zwischennutzung.
- «Baba News»: Der Gemeinderat hat am Donnerstag eine kleine Anfrage von FDP, Mitte und GLP beantwortet zum Onlinemedium «Baba News». Es war wegen umstrittener Berichterstattung zum Nahost-Konflikt in die Kritik geraten. Daraufhin strich der Kanton Bern dem Medium Unterstützungsbeiträge. FDP, Mitte und GLP wollten wissen, wie gross die finanzielle Unterstützung der Stadt für «Baba News» sei. In den vergangenen fünf Jahren zahlte die Stadt dem Portal 27’600 Franken, teilt der Gemeinderat mit. Dabei handelte es sich aber nicht um Fördermittel oder Sponsoring, sondern unter anderem um das Preisgeld für den Sozialpreis der Stadt Bern von 10’000 Franken. Der Gemeinderat sieht keinen Anlass, finanzielle Unterstützung zu streichen, wie in der Anfrage thematisiert.
PS: Verantwortungslose Machtausübung! Das wirft die bürgerliche Minderheit der Linken vor. Die FDP-Stadträt*innen Tom Berger und Simone Richner äusserten auf X ihren Unmut über die gängige Praxis der rot-grünen Ratsmehrheit, bei bürgerlichen Interpellationen gar nicht erst auf eine Diskussion einzusteigen, während bei eigenen Anliegen die Redezeit maximal ausgeschöpft werde. In der Tat: An der Sitzung vom Donnerstag verhinderte Rot-Grün bei satten acht bürgerlichen Interpellationen, dass überhaupt debattiert wurde.