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Profis im inklusiven Theaterschaffen

In der Heitere Fahne in Wabern feiert mit «Heidi» das dreizehnte inklusive Stück des Theaterkollektivs Frei_Raum Premiere. Ein Gespräch mit Gründerin Rahel Bucher und Spielerin Katrin Jenni.

Heitere Fahne 
Theater Frei_Raum Heidi
Kathrin Jenni und Rahel Bucher
© Danielle Liniger
Katrin Jenni (links) und Rahel Bucher arbeiten seit Jahren auf der Theaterbühne zusammen. (Bild: Danielle Liniger)

Um halb zehn Uhr ist Probenstart. Doch als erstes findet eine Kaffeerunde statt. «So können die, die wollen, erzählen, was sie gerade beschäftigt», sagt Rahel Bucher. Sie ist Mitgründerin des Theaterkollektivs Frei_Raum, das seit 13 Jahren inklusive Theaterproduktionen umsetzt. Diese Kaffeerunde ist wichtig, das hat die Theatermacherin über die Jahre gelernt: «Nur so können wir um 10 Uhr mit den Proben beginnen und die Befindlichkeiten beiseite lassen.»

Katrin Jenni nickt – auch wenn diese Runden jetzt in den Endproben etwas zu wild seien. Sie habe eben «einen Streifen Autismus» abbekommen, und da sei es manchmal schwierig, sich in stressigen Situationen wohl zu fühlen.

Katrin Jenni ist von Anfang an immer wieder bei Theaterstücken des Kollektivs als Schauspielerin dabei. So auch beim aktuellsten, das ab dem 13. November gespielt wird. Johanna Spyris «Heidi» in der Regie von Meike Schmitz steht auf dem Programm, Katrin Jenni spielt ihre Wunschrolle: «Das Fräulein Rottenmeier, da kann ich einmal so richtig fies sein», sagt die 47-Jährige und lacht.

Ihr gefalle das Theaterspielen: «Es ist einfach ein spezielles Gefühl, auf der Bühne zu stehen und etwas zu präsentieren. Ich kann zeigen, dass ich hier bin und etwas kann.» Beim Theaterspielen gehe es ihr psychisch besser, hat Katrin Jenni festgestellt. «Dann hast du so einen Panzer um dich herum und fühlst dich stark.»

Katrin Jenni trinkt einen Minztee, eine kurze Pause vom Probenalltag. Gemeinsam mit der ebenfalls 47-jährigen Rahel Bucher gibt sie Auskunft über die langjährige Arbeit, die die Theatergruppe Frei_Raum leistet – seit 2013 im inklusiven Kulturhaus Heitere Fahne in Wabern, das vom Kollektiv gegründet wurde.

«Harte Arbeit, aber fast wie ein Lager»

«Ich finde es cool, dass die Theatergruppe für Menschen mit und ohne Behinderung ist. Und vor allem, dass alle als Menschen angeschaut werden und wir alle auf Augenhöhe miteinander reden», sagt Katrin Jenni. Oft sind dieselben Menschen wiederkehrend an Produktionen beteiligt. «Es ist harte Arbeit, aber auch fast wie in einem Ferienlager», beschreibt Katrin Jenni die Probenzeit.

Rahel Bucher und ihre Mitstreiter*innen haben die Theaterarbeit über die Zeit den verschiedenen Bedürfnissen angepasst. So sind die Tage klar strukturiert, mit Kaffee- und Mittagspause, es wird in der Regel nicht länger als sechs Stunden geprobt und es gibt schon einige Monate vor der Premiere einen Probenblock, so dass sich das Ganze bei den Spielenden und der Crew noch ein bisschen setzen kann.

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Theater Frei_Raum Heidi
Kathrin Jenni und Rahel Bucher
© Danielle Liniger
Auch durch Mitmachen könne man zum Profi werden, sagt Rahel Bucher. (Bild: Danielle Liniger)

«Inklusiv zu arbeiten bedeutet, dass man mehr Ressourcen und mehr Zeit braucht», sagt Rahel Bucher. Das sei bei einem Theaterstück so, gelte aber eigentlich auch für jeden anderen Bereich. Sie spricht aus Erfahrung, denn in der Heitere Fahne, die sie mitleitet, gibt es neben dem Kulturbereich weitere Abteilungen wie Gastronomie oder Event – und alle werden inklusiv betrieben.

Der neueste Wurf: Ab nächstem Sommer wird die Heitere Fahne eine praktische Kulturausbildung für Menschen mit Behinderungen anbieten. Das Ziel: Auch Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten sollen Kultur veranstalten können.

Weniger Berührungsängste

All diese Projekte haben ihren Ursprung beim Kollektiv Frei_Raum, das 2009 mit dem Säbeli Bum Festival gegründet wurde. Das Kollektiv ist quasi Profi im inklusiven Kultur- und Theaterschaffen. Und das ist in den letzten Jahren nicht unbemerkt geblieben. Seit 2023 gilt die Heitere Fahne als Kulturinstitution von regionaler Bedeutung und hat einen Leistungsvertrag mit Stadt, Kanton und Regionalkonferenz. Teil des Vertrags sind auch die hauseigenen Theaterproduktionen von Frei_Raum. Für ihre Leistungen werden die Heitere Fahne und das Kollektiv Frei_Raum mit einem jährlichen Betriebsbeitrag von 187’000 Franken entschädigt.

Rahel Bucher sagt, dass sich in der Gesellschaft viel verändert habe: «Es gibt mittlerweile nicht mehr so grosse Berührungsängste, Theater und Kultur auch inklusiver zu denken.» In letzter Zeit bemühten sich auch die grossen Häuser um mehr Inklusion und Diversität, das Thema sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen: «Man sucht überall nach Wegen, dass das Theater die Gesellschaft besser abbildet.» Trotzdem gebe es noch einiges zu tun punkto Inklusion – vor allem auf Struktur- und Leitungsebene von Kulturhäusern.

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Kathrin Jenni und Rahel Bucher
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Als nächstes will Rahel Bucher eine Kulturausbildung für Menschen mit Behinderungen anbieten. (Bild: Danielle Liniger)

Direkte Konsequenz dieser Entwicklungen ist, dass das Theaterkollektiv öfter für Kooperationen angefragt wird: 2022 mit dem Schlachthaus Theater «Zum Glück», 2023 mit Bühnen Bern «La Strada». Und die neueste Produktion «Heidi» ist eine Co-Produktion mit dem Jungspund-Festival in St. Gallen. 

Auch nicht mehr ganz so schwer wie am Anfang ist es, Geld für inklusive Produktionen zu bekommen. «Zuerst taten sich die Fördergremien schwer: Machen wir Kultur? Oder ist es eher soziale Arbeit?», erinnert sich Rahel Bucher. Auch die Frage nach der Professionalität sei aufgetaucht. «Diese Diskussion finde ich eigentlich spannend, weil natürlich viele Menschen mit einer Behinderung nicht unbedingt eine klassische Schauspielausbildung durchlaufen haben.» Und trotzdem sei es anstrengend gewesen, immer wieder von Neuem beweisen zu müssen, dass sich Frei_Raum von einem Laientheater unterscheide. «Wir sind professionelle Theaterschaffende, die professionell mit Menschen mit und ohne Behinderungen zusammenarbeiten.»

Lampenfieber abschütteln

Katrin Jenni liebt die Schauspielerei, ist aber auch oft als Besucherin in Stücken anzutreffen. Schon nur, weil ihre Schwester Schauspielerin ist und in Bärau das «Theater-Werk» leitet. Katrin Jenni macht sich manchmal Gedanken, ob es nötig wäre, eine Ausbildung zu machen, um Schauspielerin zu sein. Doch Rahel Bucher beruhigt sie. Man werde auch beim Mitmachen immer mehr zum Profi. «Vielleicht lernt man vom Mitmachen sogar mehr, als wenn man extra dafür in die Schule geht», überlegt Katrin Jenni, während sie darauf wartet, dass ihr Tee abkühlt. «Es ist einfach eine praktische Ausbildung», ergänzt Rahel Bucher.

Trotz ihrer Erfahrung ist die Rolle der Rottenmeier in «Heidi» für Katrin Jenni eine grosse Herausforderung, wie sie sagt. «Ich glaube, es ist die schwierigste Rolle, die ich jemals hatte.» Es seien sehr viel Text und sehr viele verschiedene Stimmungen, die sie zeigen müsse.

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Kathrin Jenni und Rahel Bucher
© Danielle Liniger
«Ich finde es cool, dass die Theatergruppe für Menschen mit und ohne Behinderung ist», sagt Katrin Jenni. (Bild: Danielle Liniger)

Ob das Mut brauche? Katrin Jenni winkt ab. «Den brauche ich schon lange nicht mehr.» Sie macht einige Drehbewegungen mit Fingern und Händen und sagt: «So! Lampenfieber schüttle ich einfach ab.» Da helfe ihr der Satz, den ihr die Schwester mal gesagt habe: «Ärgere dich nicht am Lampenfieber, freu dich daran.»

Auf etwas freut sich Katrin Jenni aber noch mehr: «Es ist immer ein Hammer-Moment, wenn das Stück fertig ist. Man steht oben, verbeugt sich. Und die Leute applaudieren und schauen zu dir hoch.»

«Heidi»: Vorstellungen Do, 13. November bis Sa, 22. November, Heitere Fahne, Wabern.

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