Tamedia-Abbau – Projektnews #39
Das Medienunternehmen Tamedia hat am Dienstag einen weiteren Abbau- und Neustrukturierungsschritt bekanntgegeben: Was bedeutet das für den Lokaljournalismus in Bern?
Wir haben im Herbst 2021 in Bern die «Hauptstadt» gegründet als Reaktion darauf, dass der Tamedia-Verlag die Lokalteile von Bund und Berner Zeitung fusioniert. Doch der Abbau beim Riesen Tamedia geht rasch weiter. Heute Dienstag hat das Zürcher Medienunternehmen die nächste drastische Neustrukturierung bekanntgegeben. Es ist uns wichtig, dir hier kurz aus unserer Sicht zu erklären, was die Massnahmen für Bern bedeuten – und was das Handeln des Verlags mit der dramatischen Medienkrise zu tun hat.
Tamedia ist der grösste Medienverlag in der Schweiz, der rund 30 Medientitel herausgibt. In Bern sind dies Bund und Berner Zeitung, die Oberländer Medien Thuner Tagblatt und Berner Oberländer sowie das Langenthaler Tagblatt im Oberaargau. In der ganzen Schweiz hat Tamedia rund 1200 Vollzeitstellen.
Unter dem Titel «Tamedia beschleunigt die digitale Transformation» kündigt der Verlag nun eine nächste einschneidende Abbauetappe an. Die Entscheide in Zürich haben Auswirkungen auf die Mediensituation in Bern. Tamedia schliesst zwei ihrer drei Druckereien und kürzt 200 Stellen, der Druck-Standort im Zentareal in Bern jedoch bleibt erhalten. In den Redaktionen will Tamedia 90 Stellen abbauen. Wie viele in welchen Redaktionen und Regionen, ist öffentlich noch nicht bekannt. Obschon Tamedia verspricht, sich dem «unabhängigen Qualitätsjournalismus» zu verpflichten, kommt eine weitere Redimensionierung des Journalismus auch auf Bern zu. Die Marke des Bund etwa wird zurückgestuft.
Der Mutterkonzern TX Group, zu dem Tamedia gehört, schreibt im ersten Halbjahr 2024 einen im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesteigerten Gewinn von 24 Millionen Franken. Trotzdem kommt nun ein weiterer Abbauschritt. Die Priorisierung auf Profitorientierung und Dividendenzahlungen gegenüber der Publizistik kann man kritisieren. Aber das ist nicht der Punkt, auf den wir als Gründer*innen der «Hauptstadt» hinauswollen.
Das Problem liegt tiefer.
Uns ist es ein Anliegen, am Fall von Tamedia in aller Klarheit aufzuzeigen, dass die Finanzierungskrise in der Medienbranche gnadenlos ist. Und dass sie auch den Lokaljournalismus in Bern immer stärker unter Druck setzt und in Frage stellt.
- Tamedia hat klare Renditeziele (8 bis 10 Prozent), die bis 2027 auch der Bereich der bezahlten Publizistik erfüllen muss. Das setzt diesen einer gewaltigen Zerreissprobe aus. Denn: Auch einem grossen Verlag wie Tamedia gelingt es bei weitem nicht, den Rückgang der Einnahmen bei den Print-Abos mit Wachstum im Online-Bereich zu kompensieren. Die Zahl der Abos steigt zwar, doch die Zahlungsbereitschaft liegt beim digital publizierten Journalismus deutlich tiefer. Gleichzeitig bringen Online-Inserate aufgrund der globalen Konkurrenz von Google & Co. nicht annähernd vergleichbare Einnahmen wie Print-Inserate. Das führt zur paradoxen Situation: Der Journalismus stützt sich bei Tamedia und in vielen anderen Verlagen ökonomisch gesehen immer noch auf die Einnahmen aus dem Print-Geschäft, obschon dieses Geschäft sich wegen der hohen Kosten im Niedergang befindet. Auch wenn im Tamedia-Management-Sprech Optimismus suggeriert wird, ist die Lage verzweifelt. Überzeugende Modelle, die aus der widersprüchlichen Sackgasse führen könnten, sind nicht in Sicht. Niemand hat aktuell ein Rezept dafür, wie man digitalen Journalismus in beschränkten regionalen Märkten nachhaltig finanzieren kann und damit aus der disruptiven Marktsituation findet.
- Im lokalen Online-Journalismus ist die Realität noch einmal härter. Die Erträge sind aufgrund des kleinen Markts naturgemäss tiefer und die Zahlungsbereitschaft vor allem beim jüngeren Publikum kleiner. In einem auf Reichweite ausgerichteten Geschäftsmodell wie bei Tamedia kommt der Lokaljournalismus zusätzlich unter Druck. Der häppchenweise Rückzug aus dem Lokaljournalismus, auch wenn er in der offiziellen Kommunikation von Tamedia kleingeredet wird, ist unvermeidbar und bereits eine Tatsache.
- Die «Hauptstadt» stemmt sich dem – wie andere kleine Berner Medieninitiativen – entgegen. Im Unterschied zum Geschäftsmodell von Tamedia fliessen bei uns sämtliche Erträge in den Lokaljournalismus. Es gibt weder Dividenden noch andere Gewinnausschüttungen. Wir kämpfen hart um die Zahlungsbereitschaft unserer Leser*innen und haben knapp 3000 Abonnent*innen. Wir erreichen einen beachtlichen Selbstfinanzierungsgrad von ungefähr zwei Dritteln, aber bis wir selbsttragend sind, ist es noch ein weiter Weg. Wir arbeiten daran, unser Geschäftsmodell zu diversifizieren und neue Einnahmequellen zu erschliessen. Doch wenn die Abbaumassnahmen bei Tamedia eines verdeutlichen, dann das: Lokaljournalismus in Bern braucht Menschen, die bereit sind, dafür zu zahlen. (Löse hier dein «Hauptstadt»-Abo). Und Lokaljournalismus in Bern braucht Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, die bereit sind, lokale, regionale oder kantonale Unterstützungsmodelle für den Berner Journalismus offen zu diskutieren.
Zuschauen und hoffen, es geschehe ein Wunder, reicht nicht.
PS: Die «Hauptstadt» bietet dir sorgfältigen, konstruktiven Lokaljournalismus. Aber wir engagieren uns auch live für Diskussion und Demokratie. In den nächsten zwei Wochen hier: Freitag, 6. September, 20.30 Uhr, Tojo-Theater, Podium: Freier Markt, freie Kultur? Samstag, 7. September, 20.30 Uhr, Tojo-Theater, «Hauptstadt» on stage: Text theatralisch inszeniert. Dienstag, 10. September, 19.30 Uhr, Kleine Bühne Progr. Podium: Wer wird in Bern Stapi? Alle Events: freier Eintritt. Wir freuen uns, wenn du dabei bist.