Neue Direktorin, altes Lied
Finanzdirektorin Melanie Mettler (GLP) präsentiert die Stadtberner Rechnung 2024 trotz Rekordeinnahmen mit einem Defizit. Doch: Die Linke applaudiert nicht nur, Mitte-Rechts kritisiert nicht nur.
Das Wachstum sei «unheimlich», die Entwicklung «brachial»: Moritz Jäggi (64), Leiter der Stadtberner Steuerverwaltung, wählte drastische Worte, als er am Donnerstag vor den Medien die Steuereinnahmen des Jahres 2024 beschrieb. Sie lagen um 41 Millionen Franken über dem Budget, um 23 Millionen Franken über dem Vorjahr und erreichten den neuen Rekordwert von 609 Millionen Franken.
Das Erstaunliche daran: Während in früheren Jahren die Zunahme der Steuereinnahmen vor allem auf juristische Personen (also die Wirtschaft) zurückzuführen war, verhielt es sich 2024 anders. Für die spektakulären Mehreinnahmen sorgten jetzt die gewöhnlichen Steuerzahler*innen – und das trotz eher sanfter Bevölkerungszunahme. Dabei gibt es in der Stadt Bern laut Jäggi nach wie vor 616 Steuerzahlende weniger als vor der Pandemie.
Qualitatives Stadtwachstum
Der unerwartete Boost der Steuereinnahmen hat laut dem Steuerverwalter vor allem zwei Gründe: Durch Steuernachzahlungen aus dem Vorjahr floss überdurchschnittlich viel Geld in die Stadtkasse. Und: Spürbar war die steigende Zahl der Sonderveranlagungen wegen Kapitalbezügen. Salopp gesagt: Mehr Menschen haben ihre Konten der 2. und 3. Säule aufgelöst, für die Kapitalbezugssteuern fällig werden.
Was Moritz Jäggi aber auch klarstellt: Rund die Hälfte der Mehreinnahmen kann man dem «qualitativen Stadtwachstum» anrechnen. Die Steuerpflichtigen haben mehr Steuern bezahlt, weil sie mehr Geld eingenommen haben.
Trotzdem war die Freude über das fröhlich sprudelnde Steuergeld bei der neuen Finanzdirektorin Melanie Mettler (GLP), dem einzigen bürgerlichen Regierungsmitglied, verhalten. Denn weil Ausgaben und anderweitige Mindereinnahmen sich noch stärker aufsummierten als die Steuererträge, bleibt in der Rechnung unter dem Strich ein Defizit von 12 Millionen Franken hängen.
Wachsender Schuldenberg
Je nach finanzpolitischer Brille, die man trägt, kann man das zwar beim Gesamthaushalt der Stadt Bern von 1,5 Milliarden Franken auch als quasi schwarze Null bezeichnen. Also nicht weiter tragisch. Aber: Bringt es die Stadt nicht einmal dann zustande, schwarze Zahlen zu produzieren, wenn die Einnahmen überdurchschnittlich steil ansteigen – was passiert, wenn die Erträge dereinst stagnieren oder sogar zurückgehen werden? Damit rechnen sowohl Melanie Mettler wie Moritz Jäggi, weil sich die Einnahmenentwicklung zurzeit deutlich über dem langjährigen Trend bewegt.
Gemäss der langfristigen Finanzstrategie, die sich noch der frühere Gemeinderat verordnet hat, sollten in der Erfolgsrechnung Überschüsse produziert werden, damit die Stadt Investitionen in ihre Weiterentwicklung oder zur Modernisierung veralteter Infrastruktur aus eigenen Mitteln finanzieren kann. Davon ist die Stadt Bern weit entfernt. Der Selbstfinanzierungsgrad der Investitionen liegt bei gut 50 Prozent. Die andere Hälfte der Mittel muss beschafft werden, indem die Stadt Schulden macht, für die Zinsen fällig werden. Der Stadtberner Schuldenberg beläuft sich mittlerweile auf 1,5 Milliarden Franken. Das sind 10’000 Franken pro Einwohner*in.
Für schlechtere Zeiten ist die Stadt Bern finanziell denkbar schlecht gerüstet.
GFL will schwarze Zahlen
Ob das wirklich so ist, darüber streiten sich die politischen Parteien in einem stets wiederkehrenden Ritual. Die Einschätzungen aus den Parteizentralen zur ersten Rechnungspräsentation der GLP-Finanzdirektorin zeigen im Unterschied zu früher indessen interessante Differenzierungen.
Das Grüne Bündnis sieht Bern «auf einem guten Weg», der Gemeinderat müsse davon wegkommen, die Finanzlage ohne Not schlechtzureden, schreibt GB-Stadträtin Franziska Geiser. Die SP sieht es etwas weniger rosig und hält fest, dass sie künftig den Aufbau eines finanziellen Polsters für angezeigt hält. Und die GFL, dritte Partnerin des Rot-Grün-Mitte-Bündnisses, fordert sogar, dass Gemeinderat und Stadtrat im Budget 2026 kein Defizit zulassen dürfen.
Die Mitte hält es für fahrlässig, auf steigende Steuereinnahmen abzustellen, während die FDP am konkretesten wird und einem Entlastungspaket inklusive Schuldenbremse das Wort redet. Die SVP wünscht sich allgemeiner «eine griffige, sparsame Finanzpolitik». Eher soft Stellung nimmt die GLP, die Partei von Melanie Mettler. Zusammen mit der EVP schreibt die GLP, sie begrüsse es, dass der Gemeinderat angesichts des Defizits mitten im konjunkturellen Höhenflug finanziellen Handlungsbedarf sehe – «auch wenn die Einsicht spät kommt».
Hart am Wind
Laut Melanie Mettler gilt der Handlungsbedarf ab sofort – also bereits für das Budget 2026. Die Finanzdirektorin blieb vage, was die Stadtregierung unter finanziellem Handlungsbedarf genau versteht: «Wir dürfen den Leuten nicht mehr versprechen, als wir halten können», formulierte sie den Grundsatz.
Aktuell arbeiteten die fünf Direktionen der Stadtverwaltung an ihren Budgets 2026. Wenn sie sich alle an den Grundsatz halten, nicht mehr zu planen, als die finanziellen Mittel hergeben, glaubt Melanie Mettler, dass kein Sparpaket geschnürt werden müsse – und auch keine Steuererhöhung drohe. «Aber klar», meinte sie, «wir segeln finanzpolitisch hart am Wind.»
Wie steif der Wind aus welchen Richtungen wirklich weht, wird sich für Melanie Mettler jedoch erst zeigen, wenn sie – wohl noch vor den Sommerferien – das Budget 2026 in die politische Debatte bringen wird. Dort wird sich zeigen, wer verzichten muss beim Einsatz der städtischen Gelder.