Rotes Bern – Stadtrat-Brief #36
Sitzung vom 12. und 13. September 2024 – die Themen: Budget; die Erhöhungen im Budget im Detail; Lehrschwimmbecken Kleefeld.
Der Stadtrat hat ein Herz für Kultur und Soziales. Das ist nach dem zweitägigen Budget-Marathon klar. Im Sozial- und Bildungsbereich will die Mehrheit des Parlaments insgesamt rund eine Million Franken mehr ausgeben, als der Gemeinderat beantragt hat. Im Kulturbereich sind es knapp 700’000 Franken. Die Details dazu gibts bei den Kurzmeldungen weiter unten.
Nach gut sieben Stunden Beratung resultiert so im Budget 2025 ein Defizit von 29,8 Millionen Franken, ursprünglich veranschlagt waren knapp 28 Millionen Franken. Die Ausgaben wurden also vom Stadtrat um 1,8 Millionen Franken erhöht.
Auffällig dabei: Nie zeigt sich die Macht der SP im Berner Stadtrat deutlicher als bei der Budgetdebatte, bei der die Stadträt*innen disziplinierter als sonst mit der Fraktion stimmen. Das heisst aber auch: Wenn die SP einen Antrag befürwortet, kommt er durch. Wenn nicht, dann scheitert er.
Und so wurden sämtliche Kürzungsanträge der bürgerlichen Seite abgelehnt. Auch das Grüne Bündnis brachte seine Anträge, die insbesondere Mehrausgaben im Kultur- und Sozialbereich umfasst hätten, ohne Hilfe der SP nicht durch. Nur ein einziger SP-Antrag, für die Aufstockung des Wirtschaftsamts um 100’000 Franken zu Gunsten der Kreislaufwirtschaft, scheiterte. Dort stimmten auch die grünen Bündnispartner*innen dagegen.
Zwar ist der abtretende Finanzdirektor Michael Aebersold ebenfalls ein Genosse. Seine Mahnung, dass die Stadt 2024 nicht wie in den beiden letzten Jahren besser als budgetiert abschliessen und es – wie veranschlagt – zu einem Defizit von rund 40 Millionen Franken kommen werde, hatte auf das Verhalten seiner Partei keinen Einfluss.
Ein beachtlicher Teil der Berner Kulturszene – etwa Bühnen-Bern-Intendant Florian Scholz und die Schlachthaus-Direktorinnen Maria Spanring und Ute Sengebusch – verfolgten die Kulturdebatte von der Publikumstribüne aus. Die Szene hat gut lobbyiert, denn wer in Bern etwas erreichen will, muss die SP mit im Boot haben.
Die bürgerlichen Parteien bekämpfen das nun verabschiedete defizitäre Budget geschlossen. Am 24. November, am Tag der Wahlen in der Stadt Bern, wird die Stimmbevölkerung darüber abstimmen können.
Francesca Chukwunyere (62) ist seit 2019 für die GFL im Stadtrat und Präsidentin ihrer Fraktion. Die mehrfache Mutter und Grossmutter ist Integrationsexpertin und leitet seit Sommer 2022 den Betrieb der temporären Asyl-Unterkunft im Viererfeld. In ihrer Freizeit liest sie gerne gute Krimis, arbeitet im Garten oder bekocht grosse Tischrunden.
Warum sind Sie im Stadtrat?
Weil mich Politik interessiert. Weil sie im Kleinen – eben auf Gemeindeebene – verankert sein muss. Und weil mir offenbar genügend Leute das Vertrauen schenken, sie dort zu vertreten und mich deshalb gewählt haben.
Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?
Für meine Voten, die meist Grundsätzliches ansprechen und oft nicht entlang eines simplen (meines Erachtens veralteten) Rechts-links-Schema verlaufen.
Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?
Dass die von mir und Lea Bill (GB) lancierte überparteiliche Motion zu einem Pilotprojekt für ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht für dringlich erklärt und deshalb bis heute nicht traktandiert wurde.
Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?
Dass es mir immer mal wieder gelungen ist, über Parteigrenzen hinweg konstruktiv an Geschäften zu arbeiten (z.B. in der Aufsichtskommission bei der Untersuchung des Debakels anlässlich der Einführung der Schul-IT oder dem Selektionsverfahren für die Datenschutzbeauftragte der Stadt). Dass ich mich immer auch dafür einsetze, wie man ein Ziel erreicht.
Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?
Der Stadtteil 6 (Bümpliz Oberbottigen), weil ich dort aufgewachsen bin, mich dort nach wie vor zu Hause fühle und weil dieser Stadtteil sehr lebendig ist und immer noch über ein riesiges Potential verfügt.
Die wichtigsten Zusatzausgaben im Budget 25:
- Kulturförderung: Die Kulturförderung erhält ab nächstem Jahr jährlich 620’000 Franken mehr. Das ist eine Erhöhung um 20 Prozent. Damit will der Stadtrat gewährleisten, dass auch mit dem neuen Fördersystem, das in diesem Jahr eingeführt worden ist, gleich viele Projekte durchgeführt werden können. Die Ausgaben für einzelne Projekte sind nun höher, weil die Stadt Bern in den Budgets marktübliche Gagen und Sozialabgaben verlangt, wie du in diesem «Hauptstadt»-Text nachlesen kannst. Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL), zuständig für das Dossier Kultur, wies vergeblich darauf hin, dass Gemeinderat und Verwaltung zuerst Erfahrungswerte sammeln wollen, bevor man das Budget erhöhe.
- Museumsquartier: Ebenfalls gegen den Willen von von Graffenried sprach das Parlament nicht nur für 2025, sondern auch für die folgenden Jahre je 75’000 Franken an den Verein Museumsquartier. Mindestens für nächstes Jahr haben auch Kanton und Burgergemeinde noch Beträge gesprochen. Stapi von Graffenried betonte, dass die Stadt über mehrere Jahre eine Anschubfinanzierung geleistet habe und es jetzt auch Zeit sei, dass die Museen selbst etwas investieren würden.
- Seenotrettung: Wie bereits letztes Jahr war die AL/PdA-Fraktion gemeinsam mit den Jungparteien Juso und JA! erfolgreich mit dem Antrag, 70’000 Franken für die Seenotrettung auf dem Mittelmeer zu überweisen. Das Geld soll die Stadt Bern an die Organisation Sea Eye spenden. «Damit können 10 Rettungseinsatztage finanziert werden», sagte David Böhner (AL).
- Öffentlicher Raum: Die linke Mehrheit (ohne GFL) brachte einen Antrag durch, der das Budget von KORA für 2025 und auch die folgenden Jahre um 100’000 Franken erhöht. KORA ist das Kompetenzzentrum öffentlicher Raum der Stadt Bern. Es ist für Begrünungen und Aufwertungsmassnahmen zuständig und fördere, so die Ratsmehrheit, die «physische und psychische Gesundheit» der Berner Bevölkerung.
- Sportvereine: Bis ins bürgerliche Lager Unterstützung fanden die Förderbeiträge für Sportvereine im Umfang von 220’000 Franken fürs Jahr 2025. Zugutekommen sollen sie nicht-kommerziellen, städtischen Sportvereinen, insbesondere als Unterstützungsbeiträge für ehrenamtlich arbeitende Nachwuchstrainer*innen und zur Integrationsförderung. Dieser Posten war bereits ab 2018 im Budget gewesen, 2020 aber im Rahmen eines Sparpakets sistiert worden.
- Jugendarbeit: Um 300’000 Franken höher dotiert wird der Leistungsvertrag mit dem Trägerverein für offene Jugendarbeit (toj). So werde sichergestellt, dass toj auch in den kommenden Jahren die bestehenden Angebote aufrechterhalten könne, argumentierte die linke Ratsmehrheit.
- Notschlafstelle für Jugendliche: Unterstützung bis zur FDP fand die Forderung, dem Pilotprojekt Notschlafstelle für Jugendliche (Pluto) im Jahr 2025 eine Unterstützung von 100’000 Franken zu gewähren. Im nächsten Jahr soll das Angebot eine Betriebsbewilligung vom Kanton erhalten und so in einen regulären Betrieb übergehen.
- Rassismus: Eine linke Ratsmehrheit unterstützte den Juso-Antrag, der Fachstelle für Migrations- und Rassismusfragen zusätzliche 142’000 Franken zuzusprechen. Damit soll sie inbesondere Antisemitismus, Antiziganismus und antimuslimischen Rassismus bekämpfen können, der oft auch Menschen betreffe, die keinen «Migrationshintergrund» hätten.
- Digitale Bildung: Das Angebot «Digitales Gleichgewicht», das Kinder sensibilisiert für den Umgang mit digitalen Medien, soll auf alle Schulen ausgeweitet werden. Die linke Mehrheit im Parlament hiess dazu für 2025 und die folgenden Jahre je 125’000 Franken gut.
- Wohnberatung: Dem GB/JA!-Antrag nach einer Erhöhung des Budgets für die Wohnberatung um 80’000 Franken wurde von der linken Ratsmehrheit stattgegeben. Weil die Nachfrage dort so gross sei, brauche es zusätzliche Ressourcen.
- Lehrschwimmbecken Kleefeld: Ein einziges Traktandum wurde ausserhalb des Budgets beraten. Es betrifft aber auch die Finanzen. Selten geeint (nur die GLP stimmte dagegen) überwies der Stadtrat am Donnerstag eine dringliche überparteiliche Motion, die den Erhalt des Lehrschwimmbeckens Kleefeld im Berner Westen fordert. Vergeblich wies die zuständige Gemeinderätin Franziska Teuscher (GB) darauf hin, dass die Kinder immer noch in den Lehrschwimmbecken Bümpliz und Bethlehem schwimmen lernen könnten. Gegen den Erhalt spreche aus Sicht des Gemeinderats der Umstand, dass das Lehrschwimmbecken für sieben Millionen Franken saniert werden müsse. Diese Investition sei nicht im Finanzplan drin. Die nun überwiesene Motion hat den Charakter einer Richtlinie, da der Gemeinderat für das Anliegen zuständig ist.
PS: Seinen Rücktritt aus dem Rat nahm Claudio Righetti (Mitte) am Freitag zum Anlass, allen Ratsmitgliedern ein Buch zu schenken: Adam Smiths Grundlagenwerk der Wirtschaftswissenschaften «Wohlstand der Nationen», vor über 200 Jahren geschrieben. «Das könnte für einige von uns ein Denkanstoss sein», meinte er in seinem Rücktrittsschreiben. Worauf der Ende Jahr abtretende Finanzdirektor Michael Aebersold (SP) sich später bedankte und augenzwinkernd sagte: «Keine Angst, ich werde euch Ende Jahr nicht allen Karl Marx aufs Pult legen.»