Licht am Ende des Tunnels?
Trotz steigender Steuereinnahmen budgetiert die rot-grüne Berner Stadtregierung für 2025 ein Defizit und wachsende Schulden. Das befeuert den Wahlkampf.
1,4 Milliarden Franken gibt die Stadt Bern pro Jahr aus. Ein Grossteil dieser Ausgaben ist gebunden, etwa durch Zahlungen an den Kanton oder in den Finanzausgleich. Der beeinflussbare Teil des Budgets hingegen gehört zu den streitbarsten Themen der Lokalpolitik. Man legt fest, für was man wie viel Geld ausgibt, darin zeigt sich, ob und wie politischer Wille in die Realität umgesetzt wird.
Am Montag legte der Ende Jahr abtretende Finanzminister Michael Aebersold (SP) das letzte Budget seiner Gemeinderatskarriere vor. Ein bisschen erinnerte er an einen Buddhisten, der unverdrossen seine Mantras wiederholt. Seit Jahren sind seine Hauptbotschaften dieselben.
Bern sei eine attraktive Stadt, was sich darin äussere, dass die Steuereinnahmen von juristischen wie von natürlichen Personen stark wachsen – 2025 rechnet man mit einem rekordmässigen Plus von sieben Prozent. Trotz dieses Grosserfolgs auf der Einnahmenseite budgetiert der Gemeinderat ein Defizit von 28 Millionen Franken – aus einem einfachen Grund: Die Ausgaben nehmen noch stärker zu, wobei Zusatzkosten von sieben Millionen Franken für eine allfällige Ausrichtung des Eurovision Song Contest (ESC) in Bern noch nicht eingerechnet sind.
Plus 118 Stellen
Für Aebersold und die rot-grüne Regierungsmehrheit sind die prognostizierten roten Zahlen das logische Resultat der «steigenden Kosten für eine wachsende Stadt». Zum Beispiel: Mehr Schüler*innen bedeuten auch Zusatzkosten für Tagesbetreuung oder Schulinformatik. Mehr entsiegelte Flächen oder Grünräume führen zu mehr Unterhaltskosten. Neue Massnahmen wie etwa der vom Stadtrat kürzlich beschlossene Gegenvorschlag zur Stadtklima-Initiative bedingen zusätzliches Personal. Insgesamt 118 zusätzliche Stellen will der Gemeinderat 2025 in unterschiedlichen Bereichen schaffen.
Man kann sich fragen, ob ein Budgetdefizit von 28 Millionen Franken überhaupt ein Problem ist – besonders angesichts der Tatsache, dass die Rechnungen der letzten Jahre trotz veranschlagten Defiziten mit knapp schwarzen Zahlen abschlossen. Allerdings: Zu den «steigenden Kosten für eine wachsende Stadt» gehören auch die rekordhohen Investitionen vor allem in Schul- und Sportanlagen. 2025 will die Stadt fast 200 Millionen Franken investieren.
Da gibt es ein grosses Problem: Weil die Überschüsse, die sie dafür auf die Seite legen kann, viel zu klein sind, kann die Stadt weit weniger als die Hälfte der Investitionen aus eigenen Mitteln finanzieren.
Entspannung ab 2031?
Die Folge: Sie muss ihre Verschuldung mit entsprechender Verzinsung weiter erhöhen. Laut Michael Aebersold zeitigen 100 Millionen Franken Neuinvestitionen langfristige jährliche Folgekosten für Abschreibungen und Zinsen von sechs Millionen Franken. Gemäss mittelfristiger Finanzplanung steigt die Verschuldung bis 2028 auf 1,8 Milliarden Franken. Ab 2031 lasse der Investitionsdruck aus heutiger Sicht etwas nach, sagt Aebersold. Erst dann sehe er «Licht am Ende des Tunnels» – vorausgesetzt jedoch, dass nicht «weitere Bestellungen» hinzukämen. Die Realisierung des Museumsquartiers zum Beispiel würde die Entspannung an der Investitionsfront gleich wieder nachhaltig stören.
Bern steckt im Hamsterrad: Die Bevölkerung muss wachsen, damit die Steuererträge zunehmen. Doch das Wachstum erzeugt Kosten, mit denen die Steuererträge nur knapp Schritt halten. Ein Ausbruch aus dem Hamsterrad wäre eine Erhöhung des im Vergleich mit den übrigen Agglomerationsgemeinden relativ tiefen Steuersatzes in der Stadt Bern.
Aber selbstverständlich nimmt dieses Wort im Wahljahr niemand gerne in den Mund.
Gesund? Ungesund?
«Die Finanzen der Stadt Bern sind gesund. Es ist richtig, jetzt möglichst viele Investitionen zu tätigen, etwa in Klimaschutz und Armutsbekämpfung», sagt Ursina Anderegg, GB-Stadträtin und Gemeinderatskandidatin, gemäss Mitteilung ihrer Partei. Das vorgelegte Budget zeuge «von einer Finanzpolitik im Sinne eines starken Service public», schreibt Lena Allenspach, Co-Präsidentin der SP Stadt Bern.
Ganz anders sieht es auf der anderen Seite des politischen Spektrums aus. Mitte, SVP und FDP lehnen das Budget ab. Namentlich die Mitte sieht die Stadt direkt auf dem Weg zu einer Steuererhöhung.
Florence Pärli, Stadträtin und Gemeinderatskandidatin der FDP, ging zeitgleich mit der Veröffentlichung des Budgets mit ihrer Wahlkampf-Website online. Aus ihrer Sicht ist die rot-grüne Finanzpolitik ungesund. Ihr ist die hohe Verschuldung ein Dorn im Auge: «Es geht hier um den Erhalt des finanziellen Spielraums», sagt Pärli. Die Stadt gebe für Schuldzinsen pro Jahr bald doppelt so viel aus wie für die Kultur.
Ihrer Meinung nach ist ein Ausbruch aus dem finanziellen Hamsterrad möglich, wie sie auf Anfrage festhält: «Es ist mir wirklich wichtig, dass die Stadt die Steuern nicht erhöht», hält sie fest. Dafür müsse die Stadt ihre Konsumausgaben in den Griff kriegen und etwa nicht einen millionenteuren 1:6-Betreuungsschlüssel für alle Kinder, inklusive der Zwölfjährigen, in der Tagesschule anbieten. Zudem sei es nötig, «davon wegzukommen, immer um jeden Preis den maximalen Ausbaustandard anzustreben.»
Als Beispiel nennt sie etwa die Gesamtsanierung des Schwimmbads Ka-We-De für 60 Millionen Franken. Sie wurde zwar vom Stimmvolk mit einem Ja-Stimmen-Anteil von 80 Prozent angenommen. Aber Pärli kritisiert das Fait accompli der Stadt aufgrund des hohen Sanierungsdrucks: Sie habe eine offene Debatte schmerzlich vermisst darüber, ob man sich den teuren Erhalt des Wellenbads aus denkmalpflegerischen Gründen leisten wolle oder nicht. Scharf kritisiert Pärli auch teuren Alleingänge der Stadt im IT-Bereich, etwa bei der Fallbearbeitungssoftware Citysoftnet, die nicht wie gewünscht läuft und Folgekosten in Millionenhöhe nach sich zieht.
Wahlkampf hin oder her. Was feststeht: Bei der Präsentation des Budgets 2026 in einem Jahr wird jemand anderes die Mantras des finanzpolitischen Hamsterrads der Stadt Bern herunterbeten.