Reduzierte Debatte – Stadtrat-Brief #8

Sitzung vom 25. Mai 2023 – die Themen: Reduzierte Debatte; Recht und Ordnung; Gesamtsanierung Kleine Schanze; Mobilfunkantennen; Mattetreppen; Frauennamen in Strassen; Erschliessung Inselspital; Metroparking.

Stadtrat-Brief
(Bild: Silja Elsener)

Im Stadtrat fand am Donnerstag erstmals eine reduzierte Debatte statt: Die Redezeit war auf drei Minuten beschränkt (statt acht), bei Einzelvoten auf eine (statt fünf). Mit diesem Regime sollten rekordverdächtige 46 Vorstösse behandelt werden – letztlich reichte es immerhin für 24.

Alle Parteien hatten selber bestimmt, welche Vorstösse sie für die reduzierte Debatte einreichen wollten. Viele davon waren unumstrittene Anliegen oder solche, die bereits umgesetzt oder nicht mehr aktuell sind.

Das führte dazu, dass der Bogen weit gespannt wurde: Von regenbogenfarbenen Fussgänger*innenstreifen über die Reduktion der Lebensmittelverschwendung bis zu Bauprojekten im Wankdorf.

Zu den hitzigsten Diskussionen führten Vorlagen, die mit Recht und Ordnung zu tun hatten. Da wurde selbst die «reduzierte» Debatte lang. Etwa beim FDP-Vorstoss für eine Ausweitung des Perimeters von Casablanca, ein Verein, der sich gegen Tags und Graffiti an Gebäuden einsetzt. Während bei Rot-Grün der Tenor herrschte, dass mit Graffiti «trostlose Wände mit ein bisschen Farbe verschönert» würden (Anna Jegher, JA!) und es «kreative Beiträge für eine lebendige Stadt» seien (David Böhner, AL), betonte Sibyl Eigenmann (Die Mitte), sie finde Tags nicht schön und sowieso sei es «absolut daneben, wie man hier mit dem Rechtsstaat umgeht». Der Vorstoss wurde schliesslich knapp mit 31 zu 35 Stimmen abgelehnt.

Damit war auf beiden Seiten die ideologische Grundhaltung für den Rest des Abends gefestigt. Der Puls ging weiter hoch, als es um die Umbenennung der Berner «Fremdenpolizei» ging. «Es ist ein Riesenaufruhr wegen nichts. Wir kritisieren das Wort ‚fremd‘ an Fremdenpolizei», betonte Einreicherin Corina Liebi (GLP). «Es ist kein Angriff auf die Kompetenz der heutigen Fremdenpolizei, wir stellen sie nicht in Frage.» Sympathien für den GLP-Vorstoss gab es von SP und GB, während die bürgerliche Seite sich mehrmals an den im Saal anwesenden Amtsleiter der Fremdenpolizei, Alexander Ott, wandte und ihm für seine Arbeit dankte.

Selbst der Appell des Sicherheitsdirektors Reto Nause (Die Mitte), dass man damit die Institution schwäche, fand kein Gehör. Der Vorstoss wurde mit 44 zu 24 Stimmen überwiesen. Da die Benennung der Behörde im Zuständigkeitsbereich des Gemeinderats liegt, kann er selbst ermessen, inwieweit er den Auftrag erfüllen will.

Damit war aber der Reigen an Niederlagen für Reto Nause noch nicht vorbei, denn zwei weitere Vorstösse befassten sich mit Racial Profiling bei der Kantonspolizei. Zu diesem Zeitpunkt war der Abend schon weit fortgeschritten, die Stimmung aufgeheizt. Rot-grüne Voten erhielten Szenenapplaus von links, bürgerliche von rechts und Ratspräsident Michael Hoekstra (GLP) ermahnte mehrmals: «Wir sind hier nicht in der Arena». Die Vorstösse wurden schliesslich überwiesen, nachdem Nause den Saal bereits einmal wutentbrannt verlassen und schliesslich mit einem müden Fingerwinken auf ein Schlussvotum verzichtet hatte.

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Ratsmitglieder der Woche: Anna Jegher

Anna Jegher ist 23 Jahre alt und sitzt seit Juli 2021 im Rat für die Junge Alternative (JA!). Sie studiert zurzeit Gender Studies und Politikwissenschaften in Basel.

Warum sind Sie im Stadtrat?

Weil ich viele Privilegien geniesse, die ein Stadtratsmandat überhaupt erst möglich machen. Ich sehe es als Verantwortung, diese Privilegien möglichst sinnvoll zu nutzen. Aber auch weil mir die parlamentarische Arbeit gefällt. Insbesondere die Schnittstelle zwischen institutioneller Politik und ausserparlamentarischem Aktivismus und die Möglichkeit auf lokaler Ebene ganz konkret etwas zu verändern, finde ich sehr spannend.

Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?

Wahrscheinlich vor allem dafür, dass ich immer mit queer-feministischen Themen nerve und eine grundsätzliche Skepsis gegenüber Grossveranstaltungen habe. Und vielleicht auch dafür, dass ich während den Sitzungen immer am Snacken bin.

Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?

Ich bin immer noch enttäuscht, dass unser JA!-Vorstoss für eine autofreie Stadt Bern abgelehnt wurde. Etwas utopischer und mutiger zu denken, würde diesem Rat manchmal – nein eigentlich immer – nicht schaden. Und dass die Abschaffung der Bewilligungspflicht für politische Kundgebungen nicht angenommen wurde, ist mir schlicht unverständlich.

Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?

Dass wir versuchen, alle Menschen aus der JA!, die Lust haben mitzudenken, in unsere Arbeit miteinzubeziehen. Das gelingt uns zwar nicht ganz immer, aber doch häufig ziemlich gut, wie zum Beispiel bei unseren Anträgen zum Stadtfest. Und dass ich mit jedem Mal, wenn ich vor dem Rednerpult stehe, weniger nervös bin.

Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?

Tief im Herzen bleibe ich wohl immer ein Breitsch-Kind, am meisten mag ich die Stadt Bern aber als Ganzes, mit all ihren verschiedenen Quartieren und Menschen.

Diese Themen waren ebenfalls wichtig:

  • Kleine Schanze: Der Park auf der Kleinen Schanze wurde 1817 erstellt und war schweizweit die erste gärtnerische Umgestaltung einer barocken Befestigungsanlage. Nun soll die Parkanlage erstmals gesamtsaniert werden. Der Stadtrat hat dazu ohne Diskussion und einstimmig einem Kredit über 4,2 Millionen Franken zugestimmt. Die Sanierung, die auch das Café umfasst, wird ab diesem Herbst in zwei Etappen erfolgen, so dass ein Teil des Parks jeweils zugänglich bleibt. Abgeschlossen werden soll sie im Sommer oder Herbst 2025.
  • Mobilfunkantennen: Seit 2005 gibt es auf städtischen Liegenschaften ein Moratorium für Mobilfunkantennen. Eine Motion von Ursula Stöckli (FDP) forderte, dieses aufzuheben. «Auf euren Tischen liegen die neuesten Handys und Computer und ihr wollt am Moratorium festhalten?», sprach Stöckli ihren Ratskolleg*innen ins Gewissen. Studien hätten längst bewiesen, dass diese Antennen keine Schädigungen hervorrufen würden. Die SP mit Sprecher Diego Bigger stellte sich hingegen – wie auch der Gemeinderat – auf den Standpunkt,dass die heutige Regelung genüge. Etwas überraschend wurde der Vorstoss schliesslich mit 34 zu 11 Stimmen (bei 22 Enthaltungen) überwiesen.
  • Mattetreppen: Ein interfraktionelles Postulat forderte Lösungen für die vier düsteren Mattetreppen zwischen der Altstadt und der Matte. Eindrücklich schilderte Simone Richner (FDP), wie ihre Mutter als 25-Jährige nachts auf dem Heimweg nur knapp einem Übergriff entgangen war. «Die Geschichte ist 45 Jahre her – aber die Situation hat sich noch nicht verbessert.» Das Postulat war nicht bestritten und wurde ohne Abstimmung überwiesen. Es fordert den Gemeinderat auf zu prüfen, wie die Benutzung der Mattetreppen sicherer werden kann, insbesondere sei auch der Betrieb des Mattelifts in der Nacht in die Überlegungen miteinzubeziehen.
  • Frauen-Strassen-Namen: Eine vor vier Jahren eingereichte Motion der GB-Fraktion verlangt, dass mehr Strassen nach Frauen benannt werden. Sie wurde nun überwiesen mit 54 zu 7 Stimmen. Inzwischen hat der Gemeinderat aber bereits gehandelt. Frauen werden bei der Neubenennung von Strassen seit 2019 bevorzugt. Und der Gemeinderat beabsichtigt, für die Auswahl der Strassennamen im zu überbauenden Viererfeld/Mittelfeld das interdisziplinäre Zentrum für Geschlechterforschung der Universität beizuziehen. Die Kosten für den Rechercheauftrag an die Universität Bern belaufen sich auf rund 30’000 Franken.
  • Erschliessung Inselspital: Ein Vorstoss der SVP-Fraktion wurde überraschend angenommen. Er fordert, dass die unterirdische Weiterführung der RBS-Linie Richtung Inselspital und Köniz zumindest planerisch sichergestellt wird. «Es geht nicht ums Bauen, aber um die rechtzeitige Sicherung», betonte Alexander Feuz (SVP) – auch wenn der Bauentscheid letztlich nicht in der Kompetenz der Stadt liege. «Der RBS-Sackbahnhof ist eine Fehlplanung, wir brauchen bessere ÖV-Verbindungen zum Inselspital», stimmte GFL-Sprecher Lukas Gutzwiller zu. Da sich die GB/JA!-Fraktion enthielt, wurde der Vorstoss schliesslich mit 30 zu 18 Stimmen überwiesen.
  • Metroparking-Ausfahrt: Mittels Kleiner Anfrage wollte Ursula Stöckli (FDP) wissen, ob Planungsarbeiten laufen, um die heutige Ausfahrt des Metroparkings direkt beim Kunstmuseum an einen anderen Ort zu versetzen. In seiner Antwort schreibt der Gemeinderat, dass es tatsächlich Bestrebungen in diese Richtung gebe, um mehr Möglichkeiten bei der Umgestaltung der Hodlerstrasse und dem Erweiterungsbau des Kunstmuseums zu haben. Im Moment laufe eine Machbarkeitsstudie, wofür der Gemeinderat einen Projektierungskredit genehmigt habe. Bis heute würden sich die Kosten auf rund 80’000 Franken belaufen.

PS: Am Ende der Pause mutete der Perimeter um Nicole Silvestris Sitzplatz an wie eine Promo-Aktion am Bahnhof, wenn es gratis Milchdrinks oder Softgetränke gibt. Bei der SP-Frau und Campaignerin gab es Fahnen zu ergattern: «Ja zum Klimaschutzgesetz am 18. Juni». Sie fanden regen Absatz – bis zu GLP (Gabriela Blatter) und FDP (Tom Berger) – und wurden auch gleich für Fotoaktionen genutzt.

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Diskussion

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Tobias Frehner
26. Mai 2023 um 12:09

Ich finde es tragisch, dass in diesem Stadtrat-Brief die Entgleisungen der ratslinken Extremisten mit keinem Wort erwähnt werden. Im Gegenteil, ausgerechnet die Stadträtin, welche öffentlich zum Rechtsbruch aufgerufen hat, erhält noch eine Plattform und darf zwei, drei völlig unkritische Fragen beantworten. Das ist aus meiner Sicht nicht in Ordnung.