Run aufs Bundeshaus
Rekordmässig viele Menschen bewerben sich im Kanton Bern um einen Sitz im Nationalrat. GLP und Mitte sind dabei besonders einfallsreich.
24 Nationalratssitze werden im Kanton Bern am 22. Oktober vergeben. Um diese Mandate bewerben sich 776 Personen, wie die Staatskanzlei mitteilt. Das ist ein Rekord. Bei den letzten nationalen Wahlen waren es 651 Kandidat*innen. Vier Jahre zuvor, 2015, waren es noch 567. Im Wahljahr 2023 werden nur gut 3 Prozent aller Berner Kandidierenden auch wirklich gewählt werden.
Auffällig ist, dass die Namen auf 39 verschiedenen Listen stehen (bisheriger Rekord 2019: 34 Listen). Wollen sich Wahlberechtigte im Kanton Bern fundiert informieren, müssen sie sich also durch 39 Listen mit je bis zu 24 Kandidierenden kämpfen.
GLP mit Listenrekord
Allein neun der Listen hat die GLP eingereicht, darunter die Unterlisten «Grünliberale Tier und Natur», «Grünliberale Energie» oder «Grünliberale Queer & Allies». Auch die Mitte versucht mit sechs Listen zusätzliche Wähler*innenstimmen zu fischen. Bei der EVP sind es vier Listen. Diese drei Parteien werden zudem auch untereinander eine Listenverbindung eingehen, um damit allenfalls ein Restmandat zu ergattern.
Der Grund für die vielen Listen ist simpel: durch eine breite Abdeckung aller denkbaren Spezialinteressen (lokale Wirtschaft, Landwirtschaft, Kultur, Sprachregionen) versuchen die Parteien zu möglichst vielen Stimmen zu kommen. Denn alle Stimmen dieser Unterlisten werden der Partei gutgeschrieben. Echte Wahlchancen haben dabei jedoch nur die Kandidat*innen auf der Hauptliste.
Die Mitte mit Kandidat*innenrekord
Zudem bringt jede kandidierende Person potentiell zusätzliche Menschen, vielleicht sogar bisherige Nichtwähler*innen, an die Urne, die der Partei wieder Stimmen abliefern.
So müssen vor allem die Strateg*innen der Mitte überlegt haben: Keine andere Partei stellt mehr Kandidat*innen. Insgesamt 141 Mitte-Politiker*innen kandidieren im Kanton Bern auf sechs Listen. Nur gerade auf ihrer «Landwirtschaftsliste» steht nicht die maximale Anzahl von 24 Namen. Bei der GLP kandidieren 132 Personen, bei der EVP 96.
Neues Gesetz macht es möglich
Dass Parteien mit so vielen Listen antreten, ist erst seit den letzten Wahlen 2019 verbreitet. Zuvor musste jede zusätzliche Liste einer Partei mit 400 Unterschriften (im Kanton Bern) eingereicht werden. Auf solche zusätzlichen Listen setzt zum Beispiel die SP bereits seit längerer Zeit, indem sie eine Frauen- und eine Männerliste einreicht. Dabei haben jedoch Kandidierende auf beiden Listen Wahlchancen.
Die Unterschriften-Regel gilt heute nur noch für neu kandidierende Organisationen wie zum Beispiel die beiden Corona-Massnahmen-kritischen Gruppierungen Aufrecht und Massvoll. Alle Gruppierungen, die bereits Sitze oder Wähleranteile über 3 Prozent besitzen, brauchen hingegen seit 2019 keine Unterschriften mehr. Grund dafür ist eine Gesetzesänderung, bei der der entsprechende Passus auf Antrag der früheren Berner EVP-Politikerin Marianne Streiff gestrichen wurde.
2019 sorgte die CVP im Kanton Aargau mit der damals neuen Strategie für Aufsehen: Sie war mit fast 130 Kandidat*innen auf neun Listen angetreten, legte 1,3 Prozent zu und schaffte so einen zweiten Sitz im Nationalrat. Ob sich dieser Coup in Bern für die GLP oder die Mitte wiederholen lässt, wird sich im Oktober zeigen.