Urbane Überbauung im Dorfkern

Die Firma Halter AG will in Hinterkappelen eine neue Siedlung bauen. Ende September stimmt die Gemeinde über die Einzonung ab. Obwohl begehrter Wohnraum geschaffen würde, wehrt sich die Anwohnerschaft.

Protest zu Bauprojekt auf der Sahlimatte fotografiert am Montag, 12. September 2025 in Hinterkappelen. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Hier soll die umstrittene Wohnüberbauung entstehen: die Sahlimatte (Bildmitte) in Hinterkappelen. (Bild: Simon Boschi)

Wer in diesen Tagen durch Hinterkappelen fährt, sieht an Strassenrändern und in Gärten Plakate hängen mit der Aufschrift «Sahlimatte nein». 

Die Sahlimatte ist ein Landstück im Dorfkern. Die Gemeinde Wohlen bei Bern, zu der Hinterkappelen gehört, stimmt am 28. September über dessen Einzonung ab. Es soll von Landwirtschafts- zu Bauland werden, um Raum für eine neue, urban anmutende Überbauung zu bieten. Dagegen richten sich die Plakate. 

Halter AG plant günstigen Wohnraum

Bauen will die Immobilienfirma Halter AG. Sie ist in der Region Bern etwa bekannt durch die Genossenschafts-Siedlung Huebergass in Holligen. Auch den Bäre-Tower in Ostermundigen oder das Hammerwerk Worblaufen hat die Halter AG gebaut.

Die Sahlimatte-Überbauung soll aus 67 Wohneinheiten bestehen, mit einem Mix aus Reihenhäusern und Wohnungen. Ein Drittel der Einheiten wird preisgünstiger Wohnraum gemäss den Vorgaben des Bundes. Das schreibt die Gemeinde bei der Einzonung vor. Ob das Miet- oder Eigentumswohnungen werden und in welchem Verhältnis, ist noch nicht klar. 

Eine Viereinhalb-Zimmer-Wohnung im Neubau würde gemäss den Vorgaben unter 1950 Franken Miete im Monat kosten (inklusive Nebenkosten). Eine gleich grosse Eigentumswohnung gäbe es für unter 680'000 Franken. In einer ersten Vermarktungsphase hätten Einwohner*innen der Gemeinde Wohlen Vorrang für die preisgünstigen Wohnungen. 

Für die anderen zwei Drittel ist ein Marktpreis vorgesehen. Diese Wohnungen und Häuser werden verkauft. «Auch dort gibt es keine Luxuswohnungen», sagt Thomas Jäggi, Projektleiter der Halter AG, gegenüber der «Hauptstadt». Die Halter AG habe ein Interesse daran, dass die Einheiten schnell verkauft werden. «Nicht nur Mietwohnungen sind in der Region Bern knapp, sondern auch Eigentumswohnungen», sagt Jäggi.

Protest zu Bauprojekt auf der Sahlimatte fotografiert am Montag, 8. September 2025 in Hinterkappelen. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Zu hoch, zu dicht: In den Augen der Gegner*innen passt die geplante Siedlung nicht nach Hinterkappelen. (Bild: Simon Boschi)

Ziel ist eine durchmischte Klientel: Von Familien bis zu älteren Menschen. Oder wie es Jäggi formuliert: «Die Überbauung muss Kinderwagen- und Rollator-tauglich sein und bezahlbaren Wohnraum bieten.» 

Die Sahlimatte sei für dieses Projekt ein optimaler Standort. «Es ist ein Grundstück mitten im Dorf, man muss also kein Kulturland weiter aussen opfern.» Ausserdem seien Bushaltestelle und Einkaufsmöglichkeiten zu Fuss erreichbar und mit dem Velo sei es nicht weit bis Bern. 

Gemeinde unterstützt das Projekt  

Die Gemeinde Wohlen hat eine Lehrwohnungsziffer von 0,65 Prozent. Das ist leicht höher als in der Stadt. Hinterkappelen ist der stadtnächste Ortsteil der weitläufigen Gemeinde mit rund 10’000 Einwohner*innen.

Mit der Überbauung Kappelenring aus den 1960er-Jahren und der Siedlung Aumatt aus den 1980ern gibt es in Hinterkappelen bereits zwei grössere Wohnsiedlungen. Die «Sahlimatte» hätte weniger Fläche und läge dazwischen, im aktuell von kleineren Häusern dominierten Dorfkern.

Auch der Wohlener Gemeinderat steht hinter der Überbauung. Die Halter AG will das Land zwar von Privateigentümern kaufen, doch die Einzonung musste von der Gemeinde veranlasst werden. Das Areal ist schon seit 2010 im Rahmen eines Entwicklungskonzeptes der Gemeinde als mögliches Bauland vorgesehen. Nun kann das Volk darüber abstimmen.

Gemeindepräsident Bänz Müller (SP) sagt zur «Hauptstadt»: «Wir brauchen dringend durchmischten Wohnraum.» Viele ältere Personen, die jetzt in Häusern in anderen Ortsteilen wohnten, seien auf der Suche nach kleineren und zentralen Wohnungen. «Wenn diese Personen umziehen, schafft das Wohnraum.» Aber auch bezahlbare Wohnungen für Familien in Stadtnähe seien gesucht. Es gebe in der Gemeinde Wohlen relativ viele teure Wohnungen. 

«Das Projekt wäre ein Paradebeispiel für Verdichtung, wie sie der Kanton mit seiner Raumplanung vorschreibt», sagt Gemeindepräsident Müller. Dementsprechend empfiehlt der Gemeinderat für die Abstimmung ein Ja.

Zu hoch und zu urban

Teile der Anwohnerschaft sind damit nicht einverstanden. Die Vereinigung IG Dorfstrasse, die zu einem grossen Teil aus Anwohner*innen rund um das Areal Sahlimatte besteht, wehrt sich gegen das Projekt. Die Gruppe mobilisiert für ein Nein an der Urne.

Helena Dali ist eine von ihnen. Sie besitzt ein Haus direkt oberhalb des Areals. Sie sagt: «Die geplanten Gebäude sind zu hoch und die Überbauung zu dicht.» Die geplante Höhe von bis zu fünf Stockwerken sei nicht verträglich mit dem Ortsbild. Ausserdem sei die vorgesehene Ausnützungsziffer zu hoch – es seien zu viele Personen auf zu engem Raum. «Schulen und Zufahrtsstrassen kämen an den Anschlag», befürchtet Dali. «Die Überbauung passt nicht in die Umgebung.»

Dali und die IG Dorfstrasse wären zwar grundsätzlich einverstanden mit einer Überbauung des Geländes. Doch was die Firma Halter AG plane, sei zu urban. Dali sagt: «Es ist gut, dass man Städte verdichtet. Aber ländliche Gebiete sollten nicht auch noch zu Agglomerationen werden.» Die Gemeinde habe keine sinnvolle Abwägung gemacht, sondern «das Maximum an Nutzungsprivilegien» vergeben. Die Gegner*innen hätten sich Gebäude mit ähnlichen Massen wie die umliegenden Häuser als passend vorgestellt. Davon sei die geplante Überbauung weit entfernt.

Gemeindepräsident Bänz Müller sagt dazu: «Ich verstehe die Angst der Anwohnerschaft. Aber im Interesse der ganzen Gemeinde braucht es diese Überbauung.»

Das letzte Wort hat das Stimmvolk am 28. September. Bei einem Ja zur Einzonung könnte die Halter AG bald ein Baugesuch einreichen. Die Firma möchte ab 2027 bauen.

Ohne Dich geht es nicht

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Das unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Das geht nur dank den Hauptstädter*innen. Sie wissen, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht und ermöglichen so leser*innenfinanzierten und werbefreien Berner Journalismus. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 3’000 Menschen dabei. Damit wir auch in Zukunft noch professionellen Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 3’500 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die «Hauptstadt» und für die Zukunft des Berner Journalismus. Mit nur 10 Franken pro Monat bist du dabei!

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren