Schon wieder Container – Stadtrat-Brief #31

Sitzung vom 30. Mai – die Themen: Entsorgung, Stellvertretung, Historisches Museum, Richtlinienmotion, Gemeinderat, Digitalisierung.

Stadtrat-Brief
(Bild: Silja Elsener)

Wie weiter mit der vom Stimmvolk geforderten Containerpflicht? Übungsabbruch oder allerletzte Chance?

Diese Fragen füllten einen beachtlichen Teil der Sitzung des Stadtrates von gestern Abend.

Der Auftrag des Stimmvolkes ist klar: Stadt Bern, führe eine Containerpflicht für Kehrichtsäcke und ein Trennsystem mit Farbsäcken ein!

Mit 58,3 Prozent Ja-Stimmen wurde dieser Vorschlag der Regierung in einer Volksabstimmung im November 2021 angenommen. Doch diesen März hat SP-Gemeinderätin Marieke Kruit mitgeteilt, dass die Containerpflicht nicht umgesetzt werden könne. Rechtliche Bestimmungen zum Schutz des Stadtbildes und von Vorgärten stehen im Weg. Offenbar hat der Gemeinderat vor der Abstimmung die gesetzlichen Voraussetzungen nicht ausreichend geklärt.

Gestern Abend präsentierte der Gemeinderat seinen Vorschlag für das weitere Vorgehen. Aus der vollständigen soll eine teilweise Containerpflicht entstehen. Diese sei zu entkoppeln vom Farbsack-Trennsystem, das als Pilotversuch weitergeführt würde, jedoch neu mit kostenpflichtigen Farbsäcken. Beide Teile würde er dann prüfen und aufgrund der Erkenntnisse dem Stadtrat eine neue Vorlage präsentieren.

FDP, Mitte und SVP waren damit nicht einverstanden. Bereits im März verlangten sie den sofortigen Stopp des Geschäfts, kamen damit aber nicht durch im Stadtrat. Nun erinnerten Alexander Feuz (SVP) und Lionel Gaudy (Mitte) erneut daran, dass sie bereits vor der Abstimmung gesagt hätten, dass sich die Vorlage nicht umsetzen liesse. Ursula Stöckli (FDP) sprach von einem «Knorz», man verbiege sich und es wäre befreiend, das Projekt abzubrechen.

Alle anderen Parteien wollten noch nicht aufgeben. Kritik am Gemeinderat äusserten aber auch sie. «Es ist eine erschreckende Fehlleistung, Probleme erst so spät zu identifizieren», monierte Irina Straubhaar (GLP). Doch man solle jetzt vorwärts schauen «statt zu töipelen».

Einig waren sich alle Redner*innen darüber, dass die Gesundheit der Belader*innen besser geschützt werden müsse. Das war auch eines der Hauptargumente des Gemeinderates im Abstimmungskampf. Würde der Müll in Containern gesammelt, müssten sie nicht mehr schwere Säcke hieven.

In der Abstimmung setzte sich dann ein Antrag der AL/PdA-Fraktion durch. Inhaltlich liegt er nahe am Vorschlag des Gemeinderates, verlangt aber formell ein leicht anderes Vorgehen. Die teilweise Containerpflicht und das Farbsack-Trennsystem seien in zwei separate Geschäfte zu trennen, statt als zwei Teilbereiche im gleichen Geschäft zu behalten. Ausserdem soll der Antrag den Gemeinderat zu raschem Handeln anspornen: Innerhalb von einem Jahr soll er zeigen, ob sich die teilweise Containerpflicht und das Farbsack-Trennsystem umsetzen lassen.

Die Bitte von Marieke Kruit um «genügend Zeit» hat das Parlament damit nicht erfüllt. Keine Überraschung bei dieser Vorgeschichte.

Oliver Berger
Ratsmitglied der Woche: Oliver Berger

Oliver Berger sitzt seit Januar 2024 im Stadtrat. Zum zweiten Mal: Bereits zwischen 2018 und 2020 war er Mitglied im Parlament. Er hat Betriebswirtschaft und Filmwissenschaften studiert und arbeitet in der Unternehmensberatung.

Warum sind Sie im Stadtrat?

Ich interessierte mich schon in der Jugend für gesellschaftliche und politische Themen. Dass ich selbst einmal Politiker werde, war nicht geplant und ist einfach beim Machen so gekommen. Ich war lange operativer Leiter in Non-Profit-Organisationen, da ging es oft um verbandspolitische Themen. Ein guter Freund riet mir, mit meinem Knowhow doch direkt in die Politik einzusteigen. Ich habe mich kurz darauf bei der FDP angemeldet.

Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?

Für meine Leidenschaft in der Sache und die notwendige Hartnäckigkeit sowie einen gewissen jugendlichen Schalk. Für meine Dossiersicherheit und die pointierten sowie kritischen Voten zur Ausgaben- und Mobilitätspolitik der rot-grünen Mehrheit. Und dass man nach meinen Voten jeweils das Rednerpult wieder nach unten stellen muss… 😉

Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?

Mein Vorstoss zur Förderung der kombinierten Mobilität ist leider aus rein ideologischen Gründen an der rot-grünen Machtphalanx gescheitert. Er hätte den Ausbau von Park+Ride-Möglichkeiten an den Stadttoren Berns vorgesehen und wurde auch von der Regionalkonferenz Bern-Mittelland gefordert sowie vom Gemeinderat unterstützt.

Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?

Es ist ein Privileg, in einer Demokratie politisch aktiv zu sein. Ich politisiere mit hohem Einsatz und versuche die Sachpolitik für das Allgemeinwohl in den Vordergrund zu stellen. Als ich Präsident der Agglomerationskommisssion war, wurde ich von links bis rechts für meine Amtsführung und Sitzungsleitung geschätzt. Obwohl wir als FDP derzeit in der Minderheit sind und oft unterliegen, gebe ich nicht auf, sondern setze mich weiterhin mit Herzblut für liberale Lösungen in der Stadt Bern ein.

Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?

Der Stadtteil III Mattenhof-Weissenbühl ist mir über die letzten 20 Jahre sehr ans Herz gewachsen. Er wird oft unterschätzt. Zu Unrecht aus meiner Sicht, denn er bietet viele Möglichkeiten und ist im Aufschwung begriffen.

  • Historisches Museum: Das 130-jährige Gebäude des Bernischen Historischen Museums (BHM) soll erstmals umfassend saniert werden. Stadt, Kanton und Burgergemeinde teilen sich die Kosten für die Projektierung zu gleichen Teilen. Kanton und Burgergemeinde haben die 2,5 Millionen Franken bereits gesprochen, gestern hat auch der Stadtrat die Summe ohne Gegenstimme genehmigt. Jedoch mit zwei vom GB eingebrachten Auflagen: Das BHM darf keine fossilen Energieträger beim Heizen verwenden und es muss prüfen, ob sich auf den Dächern PV-Anlagen installieren lassen. Pikant: Gegen die Anträge stimmten Mitglieder der GLP.
  • Stellvertretung: Einigkeit von links bis rechts: Das Parlament will sich selbst eine Stellvertretungsregelung geben. Stadträt*innen sollen sich für eine Dauer von drei bis sechs Monaten vertreten lassen können – ohne einen Grund anzugeben. Die fehlende Begründungspflicht wurde in vielen persönlichen Voten gelobt. So würde man nicht zu einem «Outing» gezwungen, was abschreckend sein könnte, sagte Tom Berger (FDP). Und Marcel Wüthrich (GFL) gab zu, dass er sich immer wieder ein «mehrmonatiges Time-Out» gewünscht hätte, weil Termine sein Leben diktierten. Natalie Bertsch (GLP) hielt ihr erstes Votum und illustrierte mit einem aktuellen Beispiel, wie nötig die Regelung sei: In ihrer Partei fehlen zwei Stadträt*innen, weil sie im Mutterschaftsurlaub sind. Einstimmig hat der Rat die Stellvertretungsregelung angenommen. Es kommt jedoch zu einer zweiten Lesung, später zu einer Volksabstimmung. Somit ist es nicht möglich, dass die neue Regelung wie geplant auf den Beginn der neuen Legislatur im Januar 2025 in Kraft tritt.
  • Richtlinien-Motion: Technisch gesehen wird die Stellvertretung eingeführt, indem die Gemeindeordnung (GO) geändert wird, quasi die Verfassung der Stadt Bern. Die AL/PdA-Fraktion wollte die Revision nutzen, um das in der GO festgehaltene Instrument der Richtlinienmotion abzuschaffen. Diese Art von Vorstoss betrifft den Kompetenzbereich des Gemeinderates und ist deswegen für ihn nicht bindend. Nach Ansicht der AL/PdA erfüllt das Postulat den gleichen Zweck. Sogar noch besser, weil bei einem Postulat der Stadtrat den Prüfbericht des Gemeinderates annehmen oder abhlehnen kann. In der Abstimmung wurde der Antrag abgelehnt. Doch viele Redner*innen signalisierten Interesse daran, die Richtlinienmotion abzuschaffen. Jedoch in einem eigenen Geschäft, nicht kombiniert mit der Einführung der Stellvertretung.
  • Gemeinderat: Gleich noch ein anderes Anliegen wollte die AL/PdA-Fraktion im Windschatten der GO-Revision umsetzen: Die Aufstockung des Gemeinderates von fünf auf sieben Mitglieder. Auch für diese Idee gab es Sympathien, jedoch nicht für die Art der Umsetzung. Demokratiepolitisch sei es heikel, es brauche eine breite Diskussion, äusserte sich Franziska Geiser (GB). Barbara Keller (SP) kündigte an, in den nächsten Wochen einen entsprechenden Vorstoss einzureichen. Der Antrag für die Aufstockung wurde abgelehnt.
  • Digitalisierung: Diskussionslos angenommen wurde das Projekt «Data Excellence – Datenmanagement für den Service Public». Der Stadtrat hat dafür einen Investitionskredit von 1,4 Millionen Franken bewilligt. Damit sollen unter anderem Daten für den digitalen Service Public bereitgestellt und die Datenkompetenz der Verwaltungsmitarbeiter*innen gestärkt werden.

PS: Für Milena Daphinoff (Mitte) und Michael Sutter (SP) war es die letzte Sitzung. In seinem Rücktrittsschreiben kritisierte Sutter den in letzter Zeit erstarkenden Fokus auf den Abbau des Pendenzenbergs: «So könnte man Sitzungen gleich auf dem Zirkularweg abhalten.» Und Daphinoff verabschiedete sich mit einem Zitat ihres 6-jährigen Sohnes. Dieser sei entsetzt über ihren Rücktritt, weil der Stadtrat doch das Spannendste sei, das seine Mutter mache.

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