Glitzer, Kink und Konsens

Das Kollektiv «Vorspiel» will in Bern bald sexpositive Parties veranstalten. Eher als um reinen Sex geht es ihnen dabei um die Freiheit, sich selbst zu sein.

Kollektiv Sexpositivity Party
hauptstadt.be
© Danielle Liniger
Das Kollektiv «Vorspiel» plant die erste sexpositive Party in Bern. Die Bilder zeigen die sechs Freund*innen bei einem Shooting, das als Inspiration für die Party dienen soll. (Bild: Danielle Liniger)

Sexualität in all ihren Formen akzeptieren, sie als wertvollen Teil des menschlichen Daseins feiern: Dafür steht der Begriff «Sexpositivity».

Alles, was Menschen miteinander anstellen, ist unter diesem Stichwort in Ordnung. Einzige Bedingungen sind der Konsens unter allen Beteiligten und das geltende Recht.

«Wir wollen einen sicheren Raum mit viel Akzeptanz schaffen, um Sexualität ausserhalb der heteronormativen Gegebenheiten zu entdecken», sagt eine 26-jährige Bernerin. Sie ist Teil des Kollektivs «Vorspiel», und wie alle sechs Mitglieder will sie ihren Namen lieber nicht in diesem Bericht lesen.

«Vorspiel» steckt mitten in den Vorbereitungen für die, laut eigenen Aussagen, erste grössere sexpositive Party in Bern.

Neue Pläne nach einer enttäuschenden Nacht

Die sechs Menschen sitzen in ihrer Stammbeiz in der Länggasse, eigentlich sind Betriebsferien und ausser uns ist niemand da. Kerzen auf dem Tisch wärmen den wenig geheizten Raum. Bei Mineralwasser erzählen sie von ihren Plänen.

Was eine sexpositive Party ist, haben die Mitglieder von «Vorspiel» gemeinsam erfahren: Sie besuchten alle zusammen zum ersten Mal eine.

Deshalb sitzen sie jetzt hier: vier Frauen und zwei Männer zwischen 23 und 30, grösstenteils Student*innen, angehende Lehrer*innen oder Sozialpädagoginnen. Alle mögen Ausgang («Nicht mein einziges Hobby, aber es kommen mir gerade auch keine anderen in den Sinn», sagt eine). Die meisten mögen Techno, nur eine lieber Afrobeats und Reggaeton. Einer macht selbst Musik. Und einer sagt von sich, er sei ein «sehr sexueller Mensch», was die anderen zum Lachen bringt. Die sechs sind alte Freund*innen.

Kollektiv Sexpositivity Party
hauptstadt.be
© Danielle Liniger
«Alles, was nicht Penetration ist, wird zum Vorspiel degradiert» – der Name des Kollektivs will auf die Vielfältigkeit von Sexualität aufmerksam machen. (Bild: Danielle Liniger)

«Wir haben uns lange vorbereitet auf den Besuch unserer ersten sexpositiven Party», erzählen sie. Stundenlang hätten sie über ihre Erwartungen, Wünsche und Grenzen gesprochen. Sie verabredeten, wer auf wen aufpassen würde. Sie besorgten sich Outfits und machten sich «den halben Abend lang schön». «Und dann standen wir länger in der Schlange, als wir wirklich an der Party waren», sagt jemand. Alle lachen.

Die Party – sie war nicht in Bern, sondern in einer grösseren Stadt – gefiel ihnen nicht. «Es hatte zu viele Menschen. Man konnte kaum seine Arme bewegen beim Tanzen. Und es drängten immer mehr Leute in die kleinen Räume herein.» Die Outfits, die Deko und das Konzept seien zwar toll gewesen, aber niemand von ihnen fühlte sich wohl.

Zurück in Bern dachten sich die sechs Freund*innen: Wir veranstalten etwas Eigenes. Mittlerweile haben sie unabhängig voneinander andere, bessere Erfahrungen an sexpositiven Parties gesammelt. Und wissen jetzt ziemlich genau, was ihnen vorschwebt.

Sex in allen Facetten

«Alles kann, nichts muss» ist die Devise an einer sexpositiven Party. Möglich und erlaubt ist alles, was im Konsens der Anwesenden geschieht.

«Es geht aber nicht nur um Sex im Sinne von Geschlechtsverkehr», sagt eine der Freund*innen. «Sex» sei auch alles rundherum: Sich in einem Outfit schön und sexy fühlen, in einer geschützten Atmosphäre über sexuelle Vorlieben sprechen, sich inspirieren lassen. «Es ist sehr wichtig, dass die Leute nicht denken, wenn sie an die Party kommen, müssten sie tatsächlich Sex haben. Man ist auch willkommen, wenn man absolut nichts machen will.»

Das unterscheide eine sexpositive Party von «herkömmlicheren» Sex-Events wie etwa Swinger-Parties. Dort sei die Erwartungshaltung grösser, vor allem wegen eigentlichem Geschlechtsverkehr aufzutauchen. Ausserdem ist die sexpositive Party weder auf bestimmte sexuelle Vorlieben und Fetische noch auf bestimmte sexuelle Orientierungen oder Geschlechtsidentitäten beschränkt, sondern explizit offen für alle Spielarten und Neigungen des menschlichen Körpers.

Der Name des Kollektivs hat auch damit zu tun: «In der heteronormativen Sicht auf Sexualität wird Sex auf Penetration reduziert – und alles andere als «Vorspiel» degradiert», erklärt derjenige der sechs, der den Namen vorgeschlagen hat. Mainstream-Pornos würden diese Sicht befeuern. Der Name des Kollektivs will auf die Vielfalt der Sexualität jenseits dieser engen, oft auf die Befriedigung von Hetero-Männern ausgerichteten Definition hinweisen.

Glitzerig, flauschig, kinky

 «Vorspiel» will mit dieser ersten Party einen halb-öffentlichen «Pilotversuch» starten. Später sollen öffentliche Veranstaltungen folgen. Aber für den ersten Anlass werden Ort und Datum nur an Menschen bekanntgegeben, die mit den Organisator*innen zuvor in Kontakt waren. Auf Instagram können sich Interessierte zu einem privaten Account hinzufügen lassen.

Der Ort für die erste Party steht fest. Auch Teile des Programms. Neben einem Dancefloor soll es eine Kuschelecke geben, einen Darkroom und auch einen «Safe Space» – einen ruhigen Ort, wo sich eine Pause gönnen kann, wer eine braucht.

Der Einlass wird auf 60 bis 70 Personen beschränkt sein. Geplant sind ein gemeinsamer Start, eine Pole-Dance-Show, verschiedene DJs. Genügend Platz und keine ständig wechselnden Besucher*innen sind dem Kollektiv nach der eigenen Party-Erfahrung wichtig.

Und: Es gibt einen Dresscode. «Kinky, flauschig, glitzerig, farbig, sexy», sagt ein Mitglied des Kollektivs. In Strassenkleidern darf niemand auftauchen – aber auch nicht komplett nackt.

«Wir wollen, dass sich die Leute Mühe geben mit ihrem Outfit.» Es ist für viele aus dem Kollektiv ein essenzieller Bestandteil einer sexpositiven Party. «Ich liebe es, mich extravagant zu kleiden», sagt die 29-jährige Sozialpädagogin. Und genau das sei im regulären Ausgang oft nicht möglich, ohne komisch angeschaut oder gar belästigt zu werden. «Es ist unglaublich befreiend, sich so zeigen zu dürfen, wie man sich wohl und sexy fühlt.»

Kollektiv Sexpositivity Party
hauptstadt.be
© Danielle Liniger
Glitzerig, kinky, flauschig, sexy: So oder ähnlich sollen die Besucher*innen auftauchen. Hauptsache ist, dass sie sich Mühe geben mit ihrem Outfit. (Bild: Danielle Liniger)

Auch die Definition, was im herkömmlichen Sinne als sexy gilt, will die Gruppe herausfordern: «Die heteronormative Welt sagt uns, sexy seien ein Tanga und ein knapper BH. Aber es gibt so viel mehr», sagt ein angehender Lehrer. Deshalb sei es wichtig, dass sich alle an den Dresscode halten – denn würde die Hälfte der Besucher*innen in Alltagskleidern auftauchen, wirkten extravagante, kreative Outfits unter Umständen wieder schräg und unangemessen. Und genau davon will sich das Kollektiv ja befreien.

Bern hat Lust

Das Interesse an den Plänen von «Vorspiel» scheint gross zu sein. Überall, wo die Gruppe Flyer aufgelegt hat, waren diese innert kurzer Zeit weg. «Berner*innen haben Lust auf sowas», sagt eine der sechs Freund*innen. «Sie sind am Start.»

Es gebe im Nachtleben der Stadt bisher wenig Räume, um sich auf diese Weise frei zu fühlen. Wenn, dann seien es eher private Events. «Wir sind selbst keine Expert*innen in dieser Szene. Es ist eine Nische, in der man sich seinen Platz suchen muss. Aber wir sind neugierig und motiviert. Das erhoffen wir uns auch von den Besucher*innen.»

Eine Party, an der alles möglich sein soll, spielt sich in einem Bereich ab, in dem die Gefahr von Übergriffen besonders gross sein kann. Dessen sind sich die Organisator*innen bewusst. Sie erarbeiten ein strenges Awareness-Konzept. Es werden im Vorfeld und an der Party Broschüren verteilt, bei Einlasskontrollen werden Fragen gestellt, ein Awareness-Team (bestehend aus den Mitgliedern des Kollektivs) wird bereitstehen. «Wer sich übergriffig verhält, fliegt sofort raus und wird auch für weitere Parties gesperrt», sagt eine der Freund*innen.

So verspielt ihre Vision von Berns erster sexpositiven Party ist, so ernsthaft wirkt ihre Herangehensweise: Das Kollektiv trifft sich regelmässig zu Sitzungen, sie sprechen von «Ressorts», für die einzelne Mitglieder zuständig sind, und nach ihrem Pilotversuch wollen sie «wissen, was funktioniert, und aus Fehlern lernen».

An der Party selbst, sagen sie und lachen, werde wohl niemand von ihnen Sex haben. Sondern die Bar schmeissen, DJs betreuen, dafür sorgen, dass sich alle wohl fühlen. Und ohnehin: «Selbst wenn am Schluss überhaupt niemand von den Besucher*innen an unserer Party Sex hatte, ist das völlig okay.» 

Auch finanziell wird für die Organisator*innen kaum etwas rausschauen – ihr einziges Ziel wird es vorerst sein, mit den Eintrittspreisen die Ausgaben zu decken. 

Und wann steigt nun die erste Party? «Im Frühling, wenn alle horny sind.» Mehr verrät «Vorspiel» noch nicht.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Diskussion

Unsere Etikette
David Billeter
20. Januar 2024 um 18:44

ich wünsche den veranstaltenden glück, ne schöne und stimmige party(s), angenehme gästinnen und gratuliere zum mut, dies durchzuführen.

tönt wirklich sehr gluschtig :)