Stadtlandwirtschaft

Sieben Tipps vom Märit-Experten

Wenn du dich regional und saisonal ernähren willst, kaufst du am besten auf dem Wochenmarkt ein. Worauf du dabei schauen solltest, verrät Slow-Food-Experte Marco Petralia bei einem Märit-Rundgang.

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Mit Rucksack und Gemüsetasche ist Marco Petralia bereit für die Märit-Tour. (Bild: Niklas Eschenmoser)

Ein Gemüsestand reiht sich auf dem Bundesplatz an den anderen. Auf der Seite zum Bundeshaus hin stehen vereinzelte Käse- , Fleisch- und Pflanzenstände. An einigen stehen die Leute Schlange, an anderen hat es noch kaum Menschen. Wir treffen Marco Petralia, Mitglied des Vereins Slow Food Bern, an der Ecke gegenüber der BEKB. Den fast leeren Rucksack lässt er lässig über die Schulter hängen. Darin befinden sich nur einige Stoff- und Plastiksäckli und ein Eierkarton. Petralia ist gut vorbereitet.

Doch wo anfangen? Der Markt ist gross, ja gar der grösste Gemüsemarkt der Schweiz, wie Petralia erzählt. So viel Auswahl kann schnell überfordern. Einmal pro Saison führt er deshalb Interessierte im Rahmen von Slow Food Bern durch den Berner Wochenmarkt, teilt seine Tipps und ermutigt sie, den Marktverkäufer*innen Fragen zu stellen. Die «Hauptstadt» hat ihn begleitet.

Tipp 1 – Genug Zeit haben und Fragen stellen 

«Eeeh, ciao Marco!», ruft ihm ein bärtiger Mann zu. Sie wechseln kurz auf Italienisch ein paar Worte. Schwärmerisch übersetzt Petralia: «Er hat selbst angebaute Tenerumi gebracht. Die kenne ich von Sizilien, es sind die Blätter und Stängel einer Zucchinisorte und sooo fein.» Petralia kennt die Marktverkäufer*innen und spricht mit allen, bei denen er etwas kauft. «Wie geht es dir?»; «Bist du froh, dass das Wetter umschlägt?» Es sei fast wie eine zweite Familie. Eine Marktfamilie. 

Eine wichtige Zutat für den Gang auf den Markt ist Zeit. «Ich arbeite 80 Prozent, damit ich am Dienstagmorgen auf den Märit gehen kann», kokettiert Petralia. «Wenn du Zeit hast, kannst du dich mit den Leuten austauschen. So hast du direkten Kontakt mit den Produzent*innen deines Essens. Nutze das.» So erfahre er, weshalb ein Stand kein Bio-Zertifikat habe oder ob das Gemüse dieses Jahr gespritzt wurde. Ein Beispiel gefällig? Der Fenchel schmeckt dieses Jahr fade, weil es zu trocken gewesen ist. Und aufgrund des heissen Sommers wurde das Gemüse kaum gespritzt – weder beim konventionellen noch beim Bio-Anbau.

Petralia ist halb Sizilianer und halb Hamburger. Aufgewachsen in Sizilien als Sohn eines Fischers, hat er frisches Essen früh zu schätzen gelernt. Und wenn er seine Grossmutter in Hamburg besucht hat, gingen sie zusammen auf den Markt. Rein sensorisch mache die Qualität der Produkte auf dem Markt für ihn einen grossen Unterschied, erklärt er. «So macht das Kochen und Essen für mich viel mehr Spass.» Als er nach Bern gezogen ist, hat er dank dem Märit Berndeutsch gelernt. «Oft wusste ich nicht, welches Gemüse ich kaufen sollte oder was ich damit kochen kann und habe dann einfach gefragt.» Entweder habe er Tipps oder Rezepte von den Marktverkäufer*innen erhalten oder von anderen Leuten, die neben ihm einkauften – mit dem positiven Nebeneffekt, dass er so Berndeutsch gelernt habe. 

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Immer für einen kurzen Schwatz zu haben: Petralia und Marktstand-Inhaberin Alice. (Bild: Niklas Eschenmoser)

Tipp 2 – Keine Einkaufsliste

Nach ein paar Schritten bleibt Petralia bei einem Stand stehen und hält längliche, dünne, hellviolette Auberginen hoch. «Das sind die besten», meint er begeistert. Während die verbreiteten und bekannten ovalen Auberginen bitter werden können und deshalb oft zuerst mit Salz eingerieben werden müssen, passiere das bei den kleineren nicht. «Da nehme ich einige.» Er greift in die grüne Harasse. Bezahlen tut er bar. Genug Bargeld dabei zu haben, sei wichtig, wenn auch nicht mehr zwingend, sagt er. Seit der Corona-Pandemie bieten immer mehr Stände Twint und Kartenzahlungen an.

Eine Einkaufsliste hat er nicht. Er lasse sich lieber vom Angebot inspirieren und entdecke so neues Essen und neue Menüs. Das rät er auch allen Marktneulingen. «Wenn du dir vornimmst, etwas zu kaufen, das vielleicht noch gar nicht Saison hat, verpasst du so viele andere gute Produkte.» 

Diese Taktik empfiehlt Petralia allerdings nur für den Märit, nicht etwa für den Supermarkt. «Aufgrund des geschickten Marketings verlässt man den Laden sonst mit mehr Produkten, als man zu kaufen beabsichtigt hat», sagt er. Deshalb sollte man für den Gang zum Supermarkt unbedingt eine Einkaufsliste schreiben.   

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Sind viele Leute am Stand ein gutes Zeichen? – Petralia hat andere Tipps auf Lager. (Bild: Niklas Eschenmoser)

Tipp 3 – Überblick verschaffen

Eine Kundin reicht mit einem scheuen Lächeln einer Marktverkäuferin eine Zucchini und eine Peperoni. Die Verkäuferin wägt die beiden Gemüse ab und notiert jeweils den Preis, den die Waage anzeigt. «Sonst noch etwas?», fragt sie geschäftig und reicht ihr das Gemüse, eingepackt in einen Plastiksack. Doch die Kundin ist bereits zufrieden und bezahlt mit einem Fünfliber. Diese beispielhafte Szene hat Marco Petralia schon öfter erlebt: «Es ist so schade. Die Leute gehen auf den Markt und sind überfordert von der ganzen Fülle an Gemüsen, dass sie gar nicht wissen, was sie kaufen sollen.» Anstatt sich inspirieren zu lassen oder bei den Produzent*innen nachzufragen, greifen sie lieber auf das zurück, was sie bereits kennen. 

«Vor dem Einkaufen macht es Sinn, sich zuerst einen Überblick zu verschaffen», erklärt Petralia. Das gelinge am besten, indem man als erstes eine Runde durch die Marktstände drehe. So findet man heraus, was gerade Saison hat, wo was angeboten wird und zu welchen Preisen. Denn die Preise können je nach Marktstand stark variieren. Er nennt dies die «Preisüberwachungs-Runde»: Dazu wählt er ein saisonales Gemüse oder eine Frucht und vergleicht die Preise an den Ständen. Hat man erst einmal alles gesehen, schwindet auch das Gefühl der Überforderung.

Tipp 4 – «Schau auf die Hände, die dich bedienen»

Petralia zeigt auf einen der Pflanzen-Marktstände: «Das ist der Stand meines Vertrauens. Im Sommer schwirren alle Bienen um diese Pflanzen, während bei den anderen Ständen kaum welche sind.» Und wie ist es bei den Gemüse-Marktständen? Woran erkennt man, welcher Stand besser ist als ein anderer? 

«Wenn alle Waren aus Eigenproduktion stammen, kannst du davon ausgehen, dass es ein guter Stand ist.» Oft werde auch Gemüse zugekauft. Das könne es aufgrund eines Ernteausfalls mal geben. «Das ist ein Weg, wie Produzent*innen finanziell überleben können. Aber es zeigt auch, dass wir uns durch den Grosshandel ein viel zu grosses Angebot gewohnt sind.» 

Gemüse aus Eigenproduktion zu erkennen, ist meist einfach. Die Stände schreiben neben den Preisangaben die Herkunft ihrer Produkte an. Steht zum Beispiel «Seeland, Schweiz» oder «Italien» statt «Eigenproduktion», ist die Sache klar. Hier rät er, mit den Marktstand-Besitzer*innen zu sprechen: «Frag lieber einmal mehr nach und erkundige dich, warum sie bei einem spezifischen Gemüse keine Eigenproduktion anbieten.» Danach kann man abwägen, ob man das Gemüse kaufen will. Zudem gelte es zu unterscheiden, ob das Gemüse aus dem Ausland stammt oder von einem anderen Hof in der Nähe, differenziert Petralia. Ist die Herkunft nicht angeschrieben, solle man ungeniert nachfragen. 

Er bevorzugt aus zwei Gründen Produkte aus eigener Herstellung: «Erstens sind die Produkte viel frischer. Zweitens erhalten die Produzent*innen mehr Geld für ihre Arbeit – und du zahlst weniger.»

Er hat noch einen weiteren Trick auf Lager: «Schau auf die Hände, die dich bedienen. Wenn sie von der Erde schmutzig sind, ist es ein gutes Zeichen», erklärt er.

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Was hat denn hier nun Saison? (Bild: Niklas Eschenmoser)

Tipp 5 – Nicht alles ist saisonal, was aus der Region kommt 

Petralias Lieblingssaison ist der Frühling. «Dann gibt es so viele Produkte, die Frische vermitteln», schwärmt er. Er zählt auf: «Ich freue mich immer auf die Erbsen, Rhabarbern und die vielen verschiedenen Salatsorten.» Dass für die besten Tomaten und Zucchini erst ab Mitte Juli, wenn die meisten Menschen in den Ferien sind, die Saison in der Schweiz beginnt, wüssten viele nicht. Deshalb sei es wichtig, nicht nur auf die Regionalität der Produkte zu achten, sondern auch auf ihre Saison. 

Denn auch bei regionalen Produkten gibt es Grenzen. Kauft man im Mai Tomaten aus der Region, stammen sie aus dem beheizten Gewächshaus. Auf dem Markt hilft es, direkt bei den Händler*innen nachzufragen, was sie an saisonalen Produkten zu bieten haben. Da müsse man keine Angst haben, sich zu blamieren oder vermeintlich dumme Fragen zu stellen, erklärt Petralia. «Die Produzent*innen freuen sich, wenn man Interesse an ihren Produkten zeigt.» 

Ein weiterer Pluspunkt: Wählt man regionale und saisonale Produkte, ist man oft auf der günstigeren Seite. 

Tipp 6 – Ungewaschen hält länger 

Sind die Produkte eingekauft, hat Petralia für die Lagerung noch einige Ratschläge. Rüebli oder Kartoffeln zum Beispiel halten ungewaschen länger. Auf dem Märit kann man oft zwischen Gewaschenen und Ungewaschenen wählen – und meistens sind die Ungewaschenen etwas günstiger. 

Hat es noch Kraut am Gemüse (zum Beispiel am Kohlrabi, an den Randen oder den Karotten), sollte man dieses entfernen, bevor man sie lagert. Die Feuchtigkeit geht sonst ins Grün über und das Gemüse wird schneller schrumpelig. Das Kraut kann zum Beispiel für Suppen oder Pesto genutzt werden. 

Salate oder Spargeln bleiben in einem feuchten Tuch eingewickelt länger frisch. Und Basilikum und andere Kräuter verderben in einem dicht verschliessbaren Behälter weniger schnell. 

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Ein voll gefüllter Rucksack ist das halbe Glück. (Bild: Niklas Eschenmoser)

Tipp 7 – Gemüse zweiter Klasse kaufen

Zurück zu Petralias «Preisüberwachungsrunde»: Wir wählen die Zucchini und stellen eine Preisspanne zwischen 2.90 und 8 Franken pro Kilo fest. In der unteren Preiskategorie liegen die konventionellen, im oberen Segment die biozertifizierten grünen Kürbisgewächse. Ist der Einkauf auf dem Markt sogar teurer als im Supermarkt? «Je nachdem, welche Prioritäten man setzt», meint Petralia. Ihm sind sowohl Regionalität und Saisonalität wie auch das Biosiegel sehr wichtig. 

Es gebe aber ein paar Tricks für preiswerteres Einkaufen auf dem Markt. Oft wird Gemüse und Obst zweiter Klasse angeboten. Er zeigt auf einen Stand etwas weiter entfernt. «Dort gibt es Zweitklass-Äpfel in den Kisten hinter den Verkäufer*innen.» Diese seien etwas kleiner als die anderen, aber genauso gut. «Da kann man schon ein paar Franken pro Kilo sparen.» Letztendlich würde sich ein Besuch auf dem Markt allemal lohnen. Das Obst und Gemüse ist frischer als das im Grosshandel. Es wird am Vortag gepflückt und hält sich somit länger im Kühlschrank. Das beugt auch Foodwaste vor. 

Wir sind fast am Ende der Markttour angekommen. Petralia will nur noch Zwetschgen kaufen. «Die schnetzel ich mir morgen in mein Müesli», sagt er. Sein Rucksack ist jetzt gut gefüllt. 

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Diskussion

Unsere Etikette
Andreas Joss
21. September 2022 um 14:24

Ein schöner Beitrag, der das Einkaufen auf dem Märit so richtig gluschtig macht. Ob Märit oder Einkaufszentrum, ein Einkaufszettel ist bei mir aber immer ein Muss.

Markus Schafroth
25. August 2022 um 09:01

Jeden Samstag uf ä Märit, Frage, Lehre luege lose u schmöcke...

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