Der neue Progr
Die neue Dreierleitung des Progr hat für die Zukunft Grosses vor. Aber zuerst steht wegen dem Mieterstreit mit den Turnhalle-Betreibern eine Gerichtsverhandlung an.
Sie wollen Kultur und Kulinarik, sie wollen weniger Kommerz. Und in der Summe eine grössere Durchmischung bei den Gästen. So lässt sich zusammenfassen, was das neue Progr-Leitungsteam in den kommenden Jahren mit dem Atelierhaus mitten in der Stadt vor hat. Seit Anfang Mai ist die Dreierleitung komplett. Sie besteht aus der bisherigen Geschäftsführerin Silvia Hofer, aus dem Veranstaltungsleiter Urs Emmenegger und aus der Gastronomin Eve Angst. Gemeinsam wollen sie den Progr «in die nächste Phase führen», wie Eve Angst es ausdrückt.
Dazu gehört auch, dass die Stiftung Progr den Gastro- und Veranstaltungsbetrieb in der Turnhalle selber führen will. Das beschloss sie an einer Retraite im Jahr 2020. Im April letzten Jahres teilte sie deshalb der langjährigen Betreiberin der beliebten Café-Bar mit, dass sie den befristeten 10-Jahres-Vertrag nicht verlängern würde. Der Vertrag läuft Ende 2022 aus. Erst in diesem Winter erfuhr sie, dass die Après Soleil GmbH die Kündigung nicht akzeptiert. Ein Gang zur Schlichtungsbehörde im April führte zu keinem Resultat, die beiden Parteien konnten keinen gemeinsamen Kompromiss finden. In einem Urteilsvorschlag vom 28. April, der der «Hauptstadt» vorliegt, hält die Schlichtungsbehörde fest, dass die Kündigung per 31. Dezember 2022 gültig sei. Doch dieser Urteilsvorschlag ist nun von der Après Soleil GmbH abgelehnt worden. Was heisst: Die Parteien werden sich vor Regionalgericht wieder treffen.
Ein offener Brief
In einem offenen Schreiben an alle Mieter*innen des Progr beschuldigen die drei Betreiber der GmbH die Stiftung, «kompromisslos» mit ihnen umgegangen zu sein und gerade nach den harten Jahren während der Pandemie nicht mehr zeitlichen Spielraum zugelassen zu haben. Auf Anfrage der «Hauptstadt» schreibt Michael Fankhauser von der Après Soleil GmbH, dass sie immer noch hoffen, «unser 20-jähriges Jubiläum 2024 in der Turnhalle feiern zu können».
Niemand weiss, wie lange es dauern wird, bis der Fall am Regionalgericht behandelt wird. Theoretisch ist danach auch ein Gang ans Obergericht möglich. So lange das Verfahren dauert, können die bisherigen Turnhalle-Pächter in ihrem jetzigen Lokal bleiben.
Und wie geht das neue Leitungsteam des Progr mit dieser Unsicherheit um? «Wir können auf keinen bestimmten Zeitpunkt planen, darum gehen wir in kleinen Schritten vor», sagt Eve Angst. Nun lässt die Stiftung eine Catering-Küche im Ostteil des Progr einbauen. Ab September will der Progr so die internen Caterings neu organisieren und teilweise selber übernehmen. Auch im Hof soll es ab diesem Herbst ein kleines und unabhängiges Progr-Gastro-Angebot geben. Die Devise lautet: Vorwärtsschauen, die Veränderungen trotz dieser Unsicherheiten angehen, bis die Turnhalle-Übernahme definitiv geklärt ist.
Kein verstaubtes Museumskafi
Die Après Soleil GmbH stieg vor 18 Jahren als Betreiberin der Turnhalle ein, als der Progr zuerst nur als Zwischennutzung gedacht war. Schnell wurde die Bar damals zu einem der hippsten Orte der Stadt. Vor allem abends ist sie bis heute ein Treffpunkt für junge Partygänger*innen – auch, weil oftmals so genannter Lounge-Betrieb herrscht. Also laute Musik, aber ohne dass Eintritt verlangt wird. Das soll es laut der neuen Progr-Leitung in Zukunft nicht mehr geben. Die Konzerte des Veranstalters Bee-Flat aber durchaus, dazu sollen vom Progr selber initiierte Club-Formate kommen. «Wir wollen nicht ein verstaubtes Museumskafi werden», sagt Veranstaltungsleiter Urs Emmenegger. «Wir sind nicht daran interessiert, alles zu zerstören, was die Turnhalle aufgebaut hat», sagt Eve Angst.
«Es ist wie bei einer Scheidung, da ist auch viel Trennungsschmerz drin», sagt Silvia Hofer, die auf operativer Ebene weiter mit den Turnhalle-Betreibern zusammenarbeitet. Es sei nie ein Entscheid gegen die Après Soleil GmbH, es sei der Entscheid für eine Weiterentwicklung des Atelierhauses gewesen.
Auch wenn die Turnhalle-Betreiber auf Anfrage keine Zahlen kommunizieren: Eine beliebte Café-Bar an dieser zentralen Lage wirft viel Geld ab. «Sie sind Unternehmer, es ist okay, dass sie Geld verdienen», sagt Silvia Hofer, «aber dass dieses Geld nicht in die Kultur fliesst, das ist für uns ein Problem.» Das war denn auch seit Jahren ein Streitpunkt zwischen den beiden Parteien. Die Turnhalle mit lauten und beliebten Partys auf der einen Seite – der Progr, der gerne auch mehr andere kulturelle Anlässe und mehr Durchmischung beim Publikum gehabt hätte, auf der anderen Seite.
Mit dem Gastrobetrieb möchte der Progr, dessen Betrieb laut Eigendeklaration ausschliesslich mit Mietzinseinnahmen finanziert wird und der keine städtischen Gelder erhält, in Zukunft die Kultur im Haus quersubventionieren. Auch wenn Geschäftsführerin Silvia Hofer gleich präzisiert: «Es geht nicht nur um finanzielle Anreize. Die Turnhalle ist auch das Schaufenster und der Begegnungsort im Progr.» In Zukunft sei etwa ein offener Mittagstisch für Mieter*innen und Bevölkerung in der Turnhalle denkbar. «Kunstaffine Leute jeder Altersklasse sollen sich an diesem Ort treffen», sagt Eve Angst.
Die Vision des Leitungsteams geht aber noch weiter. «Viele Berner Festivals waren mal im Progr – und gingen dann wieder weg», sagt Urs Emmenegger, «wir wollen sie zurückholen». Er sieht sich als Ermöglicher, führt Gespräche mit Festivals wie dem Theaterfestival Auawirleben oder dem Musikfilmfestival Norient, denkt neue Formate an. So wird auch die Hochschule der Künste (HKB) im Progr präsenter werden, so wie vergangenes Wochenende mit einem dreitägigen Jazzfestival. «Da ist ein riesiges Potenzial», sagt Emmenegger mit Blick auf die Berner Kulturszene.
Und wieso wurde das bisher nicht ausgeschöpft? Silvia Hofer verweist auf die Geschichte des Progr, der von einer Zwischennutzung, die kulturell von der Stadt kuratiert wurde, zu einem dauerhaften Atelierhaus wurde. Seit 2009 betreibt die Stiftung den Progr. «Kulturell gab es da einen Zusammenbruch», sagt sie, «die Stiftung konnte sich neben der Sanierung nicht auch noch ein kuratiertes Programm leisten, die Turnhalle wollte nicht.» 2015 war die Sanierung abgeschlossen, Hofers Vorgängerin Franziska Burkhardt, die heute Leiterin der städtischen Kulturabteilung ist, war danach damit beschäftigt, den Stiftungsrat von einer operativen auf eine strategische Ebene zu überführen. Ende 2018 trat Silvia Hofer an, bald darauf kam Corona.
Das also ist die neue Phase, von der das Leitungsteam spricht. «Wir können und wollen uns durch diesen Mieterstreit nicht bremsen lassen», sagt Silvia Hofer, «die Lust auf Veränderung ist sehr intakt».