Wie viele Solaranlagen braucht der Kanton?
Am 9. Februar kommt die kantonale Solar-Initiative zur Abstimmung. Was du dazu wissen solltest.
Das Stimmvolk im Kanton Bern kann bald über zwei Klima-Vorlagen entscheiden: die nationale Umweltverantwortungsinitiative und die kantonale Solar-Initiative kommen am 9. Februar zur Abstimmung. Die erste fordert umfassende Massnahmen gegen die Umweltbelastung durch unseren Konsum. Bei der zweiten geht es um Solaranlagen auf Dächern und an Fassaden im Kanton Bern. Die «Hauptstadt» liefert dir einen Überblick über die Berner Vorlage.
Die Solar-Initiative wurde 2021 von den Grünen eingereicht. An die Urne kommt nun neben der Initiative auch ein Gegenvorschlag des Kantonsparlaments.
Die Initiative
Die Solar-Initiative verlangt, dass geeignete Flächen auf Dächern und an Fassaden im Kanton Bern künftig mit Solaranlagen ausgestattet werden. Als geeignet gilt eine Fläche, wenn sie genügend Sonne abbekommt und mit vertretbarem Aufwand ans Stromnetz angeschlossen werden kann. Mit den Anlagen kann Strom oder Wärme für Heizung und Warmwasser produziert werden.
Bei Neubauten soll die Solarpflicht immer gelten. Bei bestehenden Bauten dann, wenn sie saniert werden. Spätestens 2040 müssten alle bestehende Bauten mit Solaranlagen ausgerüstet sein. Wer nicht selbst eine Solaranlage erstellen will, kann sein Dach verpachten und Dritte damit beauftragen oder eine Ersatzabgabe leisten.
Für die Initiative sind Grüne, GLP, SP und EVP, verschiedene Umweltorganisationen sowie die Kleinbauern-Vereinigung. Auch die Energiedirektor*innen der Städte Bern, Biel und Thun sowie der Gemeinde Köniz unterstützen sie.
Ein rascher Ausbau der Solarenergie würde laut den Befürworter*innen nicht nur das Klima schützen und zur Energiewende und Versorgungssicherheit beitragen, sondern auch das lokale Gewerbe stärken und Arbeitsplätze schaffen, weil viele neue Anlagen installiert würden.
Gegner*innen geht die Initiative zu weit. Sie finden, eine Solarpflicht greife zu stark ins Privateigentum von Hauseigentümer*innen ein. Ausserdem seien in den letzten Jahren viele Solaranlagen freiwillig gebaut worden. Es brauche keine Vorschrift. Zudem komme die Energie-Branche beim Bau von neuen Solaranlagen ohnehin schon nicht hinterher.
Der Grosse Rat hat einen Gegenvorschlag erarbeitet. Er hat ihn letzten Herbst mit einer Mehrheit von 107 zu 26 Stimmen bei 20 Enthaltungen verabschiedet. Die Initiative empfiehlt er zur Ablehnung.
Der Gegenvorschlag
Der Gegenvorschlag will ebenfalls eine Solarpflicht für Neubauten, allerdings nur für Dächer und nicht für Fassaden. Kleinere Dächer müssten ausserdem im Gegensatz zur Initiative nicht vollständig mit Solaranlagen ausgerüstet werden.
Der grösste Unterschied zur Initiative ist: Der Gegenvorschlag sieht keine Solarpflicht für bestehende Bauten vor. Bei Sanierungen sollen Hauseigentümer*innen lediglich verpflichtet werden, sich über Solarenergie zu informieren. Zum Installieren von Solarzellen würden sie nicht gezwungen.
Nur im Gegenvorschlag, nicht aber in der Initiative enthalten sind Parkplätze. Neue, grössere kostenpflichtige Parkplätze müssten mit Solaranlagen überdacht werden.
Für den Gegenvorschlag und gegen die Initiative sind die Mitte, FDP, SVP und EDU, der Hauseigentümerverband, der Immobilienbranchenverband, der Bauernverband und weitere Wirtschaftsverbände.
Den grössten Unterschied machen bestehende Bauten
Bereits jetzt schreibt das Bundesrecht eine eingeschränkte Solarpflicht bei Neubau-Dächern vor, allerdings nur bei grossen Flächen von über 300 Quadratmetern. Bei der Abstimmung vom 9. Februar ist zu erwarten, dass zumindest der Gegenvorschlag angenommen wird. Das heisst: Sehr wahrscheinlich wird im Kanton Bern eine erweiterte Solarpflicht bei Neubauten eingeführt, unabhängig von ihrer Dachgrösse.
Welchen Unterschied macht es, wenn statt dem Gegenvorschlag die Initiative angenommen wird – und damit zusätzlich eine Solarpflicht bei bestehenden Bauten kommt?
Aufgrund einer Anfrage im Parlament hat die Kantonsregierung dazu Berechnungen angestellt. Diese zeigen: Eine Solarpflicht bei bestehenden Bauten würde massiv mehr zum Ausbau der Solarenergie beitragen als jene bei Neubauten. Die Ziele, die sich der Kanton in seiner Energiestrategie gesetzt hat, können höchst wahrscheinlich nur mit einer Annahme der Initiative erreicht werden. Mit dem Gegenvorschlag nicht.
Konkret sollte der Kanton gemäss Energiestrategie im Jahr 2050 so weit sein, dass er jährlich 5.6 Terawattstunden Solarstrom produziert. Mit Neubauten kann er gemäss Berechnungen des Regierungsrates eine Terawattstunde dazugewinnen. Mit bestehenden Bauten nach Vorgaben der Initiative sind es zwölf. Für freiwillig gebaute Anlagen auf bestehenden Dächern – auf die der Gegenvorschlag setzt – gibt die Regierung eine pessimistische Prognose ab. Sie nimmt an, dass damit nur etwa 0.5 Terawattstunden dazugewonnen würden.
Prozentual ausgedrückt sieht das so aus: Mit dem Gegenvorschlag würde man im Resultat bis 2050 voraussichtlich nur rund 25 Prozent des Ziels der Energiestrategie erreichen. Mit der Initiative hingegen über 230 Prozent – sie würde den angepeilten Wert sogar übertreffen.
Das Fazit: So oder so befindet sich der Solarstrom im Aufwind – selbst wenn beide Vorlagen abgelehnt würden. Denn schweizweit wächst der Photovoltaik-Markt seit Jahren rasant. Auch das per Januar in Kraft getretene nationale Stromgesetz fördert den Solarausbau. Will der Kanton Bern aber seine selbst gesteckten Ziele erreichen, braucht es wohl mehr als die von der bürgerlichen Parlamentsmehrheit vorgeschlagene Pflicht für Neubauten.